Nackt liegt der junge Mann auf dem Boden. Bewegt langsam die Arme, als wären sie kein Teil von ihm. Singt mit verstörtem Gesicht davon, nicht zu wissen, wohin er gehen soll. Seine Welt ist ein dunkler Ort. Aber nicht ohne Hoffnung. „It’s alright“, wiederholt er. Es sind Szenen aus dem neuen Video der Band Hunger, mit denen Sänger Lucas Fendrich für Aufsehen sorgt. Selbst in der skandalerprobten Popwelt sieht man zweimal hin, wenn jemand alle Hüllen fallen lässt. Ist dieser jemand der Sohn von Sänger Rainhard Fendrich, erst recht.
Diese filmische Umsetzung des Songs „Naked“ war unabdingbar, erzählt Fendrich. Sie soll das Gefühl von Leere und Verletzlichkeit transportieren. „Wir alle sind es gewohnt, einen Schutzschild zu tragen, sowohl im Internet als auch im echten Leben. Man stumpft einfach ab. Der Song und das Video sind ein Aufruf, sich wieder zu öffnen. Die Botschaft ist: Sei du selbst, es ist okay, wie du bist“, so Fendrich. Den Balanceakt, die Hoffnung nicht aufzugeben, obwohl man sich zerstört fühlt – wie in „Naked“ besungen wird – ,musste die Band kürzlich selbst bewältigen. Zu Beginn schien ihre Karriere wie im Märchen: Sänger Lucas Fendrich, Gitarrist Daniel Rumpel und Bassist und Keyboarder Johannes Herbst fanden einander vor fünf Jahren, begannen, Songs zu schreiben, Filmmusik sollte es anfangs sein. Als sich die Band von Rumpel und Herbst auflöste, gründeten sie Hunger. Sie setzten auf dunklen Electronic-Pop und wurden dank ihres Produzenten Dan Weller nach Los Angeles eingeladen, noch bevor das Debütalbum fertig war.
Am großen Pokertisch
Anfangs ging es rasant nach oben: Die Single „Amused“ wurde für den Soundtrack der Netflix-Hit-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ ausgewählt, Taylor Swift nahm den Song in ihre persönliche Spotify-Playlist „Songs Taylor Loves“ zwischen James Blunt und Miley Cyrus auf, und er war in der Mitsubishi-Eclipse-TV-Kampagne zu hören. Eine 30 Konzerte starke Tournee mit der US-Band Against The Current folgte. Doch gerade als der Hype um Fendrich und seine Band losging, bekamen sie Schwierigkeiten mit ihrem US-Firmenpartner. Als Folge konnten sie geraume Zeit keine neue Musik veröffentlichen. „Sehr schade“, sagt Fendrich über die Zwangspause. Die soll mit „Naked“ nun ein Ende finden. Im November fliegt die Band, die nach wie vor in Österreich wohnt, wieder nach Los Angeles, um die Karriere voranzutreiben. „In den USA weht ein anderer Wind. Der Konkurrenzkampf ist groß, die Industrie riesig, alle wollen mitmischen. Andererseits spürt man den Geist des amerikanischen Traums“, sagt Daniel Rumpel. Er definiert – neben dem zehn Jahre lang aufgebauten Netzwerk in der Musikbranche – als Erfolgsgeheimnis der Band, dass sie bis zum Management fast alles selbst machen, dadurch sehr flexibel und effizient arbeiten. „Wir haben es an den großen Pokertisch geschafft, wie lange man dort überlebt, ist eine andere Frage. Das Musikbusiness ist ein Marathon“, so Fendrich. Die Konstitution dafür hat er jedenfalls bewiesen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 42 2018