Im "Bundesministerium für Irreres" ist Daniel Sattler der Chef. Mit der Parodie auf die Corona-Pressekonferenzen schuf Comedystar Gernot Kulis seinen größten Hit. Und einen neuen Stern am Himmel des Witzes.
Es ist spät abends, wenn Daniel Sattler sein Büro bei einem renommierten Bauunternehmen gegen den Platz hinter dem Rednerpult tauscht. Statt die Marketingagenden für Hoch-und Tiefbau voranzutreiben, trägt er dann vor der Kamera gefaltete Hände und ernste Miene zur Schau. Mit kieksender Stimmbruchstimme und staatstragender Wichtigkeit wendet er sich seit drei Monaten in der Rolle des "Bundesbasti" an die "geschätzten Literaten der Boulevardpresse auf den Ehrenplätzen". Zupft gewissenhaft seine Sakkoärmel zurecht. Und betrachtet leicht irritiert, wie seine Kollegen vom "Bundesministerium für Irreres" die pandemischen Umstände erklären. Heinz Spassmann, der den Babyelefanten durch eine Giftschlange ersetzen will. Karl Schmähhammer, der stets betont: "Inschsizifieren Sie sich nicht!"
Bereits seit drei Jahren leiht Sattler im Hitradio Ö3 Bundeskanzler Kurz in Parodien seine Stimme. Doch erst der Erfolg der Social-Media-Serie von Gernot Kulis macht ihn nun zum Rising Star. "Es ist unfassbar, wie die Begeisterung immer weiter steigt", freut sich der Marketingkommunikationsmanager über die Serie. Die Lorbeeren gehören -das möchte Sattler festhalten - dem Schöpfer des "Bundesministeriums für Irreres", Gernot Kulis.
Kulis größter Coup
Der Comedystar, der als "Callboy","Professor Kaiser" und mit seinem jüngsten Programm "Herkulis" zur heimischen Kabarett-Fixgröße avancierte, kam im Sommer auf die Idee, die regelmäßigen Pressekonferenzen der Regierung kabarettistisch zu verarbeiten. Mit einem Team von Maskenbildnerinnen und Dekorateuren interpretierte der 44-Jährige die Corona-Pressekonferenzen in täuschend originalgetreuer Umgebung neu. "Eine Parodie wird gut, wenn das Setting gelernt ist", erklärt der Profi. "Dann muss es möglichst identisch nachgestellt werden, weil die Fallhöhe der Figuren dann extrem groß wird, wenn sie im authentischen Umfeld Blödsinn reden." Somit trugen die stetigen Ansprachen der Regierungsmitglieder das Ihre zum Gelingen von Österreichs jüngstem Kabarett- Höhepunkt bei. Kulis gesteht freilich, dass manche Verordnungen parodistisch nur schwer zu toppen sind.
Als erste Figur erfand er vergangenen September Karl Schmähhammer samt dem Markenzeichen-Satz, der Innenminister Nehammer vermutlich über die Amtszeit hinaus begleiten wird: "Ich bin außen schön und innen Minister."
Als Rudi Warnschober parodierte er dann mit beruhigender Singsang-Stimme Gesundheitsminister Anschober: "Ich habe auch ein paar Zahlen für Sie: drei, 17,21 und 44 zum Beispiel. Das sind sehr schöne Zahlen." Zuletzt erklärte er als Heinz Spassmann im Look von Bildungsminister Faßmann den Übergang vom "Homeschooling zum Schoolschooling":"Die eine Gruppe der Schüler kommt Montag und Mittwoch, die andere Dienstag und Donnerstag. Und am Freitag kommen die Lehrer."
Die Texte schreibt Kulis im kreativen Schlagabtausch mit Comedy-Autor Gregor Barcal-Korrak. So viel Spaß an der Sache hat das Duo, dass der erste Spassmann-Auftritt spontan am Schminktisch entstand: Der Bildungsminister-Look wurde beim Probeschminken so gut, dass er unbedingt vor die Kamera musste.
Es war November, als Kulis Stimmenimitator Daniel Sattler an Bord holte und seine Comedyserie endgültig zum Fliegen brachte. "Der Bundeskanzler fehlte bis dato im Bundesministerium für Irreres, und Daniel war als Kurz so exakt und auf den Punkt gebracht in seiner Darstellung, dass ich das selbst nicht toppen konnte. Wir ergänzen uns perfekt", beschreibt er die Entstehung der Doppelconférencen.
Besser als das Original
Kulis und Sattler kannten einander flüchtig vom Radiosender Ö3. Seit 2017 hatte Sattler dort Spaß am leidenschaftlichen Nebenjob als Stimmenimitator. "Ich habe Gernots Arbeit natürlich verfolgt und insgeheim auf eine gemeinsame Pressekonferenz gehofft", sagt der 28-Jährige. Die Fangemeinde des "Bundesministeriums für Irreres" wächst seit knapp sechs Monaten stetig und erreicht dieser Tage neue Höhen. In den letzten drei Wochen wurden die Ansprachen von Gernot Kulis und Daniel Sattler 1,5 Millionen Mal auf den Social-Media-Kanälen von Gernot Kulis (Facebook, Instagram, YouTube) abgerufen. "Ich verzichte ab sofort auf das Original. Ich schaue nur noch eure Pressekonferenzen!", schreibt ein Fan. Es mag an Sätzen wie diesem liegen, die helfen, der zunehmenden Pandemie-Verzweiflung mit einem Lachen zu begegnen: "Sobald der Termin für die Impfung feststeht, werden wir von der Bundesregierung den Termin nennen, an dem wir den Termin ankündigen, zu dem wir den Termin verkünden werden." Sattler sagt ihn mit dem überzeugten Impetus des Bundeskanzlers. Er hat anfangs nicht gedacht, dass dies jemals zu schaffen sein könnte.
Star im zweiten Anlauf
Bis die "Bundesbasti"-Perücke gefunden war und richtig saß, dauerte es eine Stunde maskenbildnerischer Feinstarbeit. Die Kanzlerstimme dagegen dauerte Monate. Die Lehrer-Parodien in der HTL gingen dem gebürtigen Mödlinger leicht über die Lippen. "Schon in der Schule haben mir alle geraten: Mach was aus diesem Talent!", erzählt Sattler. Das Berufsziel schien trotz vielfach gelobter Klassenclown-Befähigung nebulös. Sattler absolvierte die Ausbildung im Fachzweig Wirtschaftsingenieurswesen. Parodien betrieb er als Hobby mit einem Freund. "Wir haben You-Tube-Videos gemacht, in denen wir Sportmoderatoren parodiert haben", erzählt er. Oliver Polzer war seine liebste Imitation. "Es ist offenbar ein angeborenes Talent, Menschen in Mimik und Gestik zu analysieren", beschreibt Sattler den Werdegang als Quereinsteiger ohne Schauspiel-oder Stimmausbildung. "Meine Freundin findet es manchmal gruselig, wie ich neue Bekanntschaften nach wenigen Minuten erfasst habe." Die Juristin, die kurz vor der Rechtsanwaltsprüfung steht, ist seit zehn Jahren an Sattlers Seite.
Den ersten Schritt in eine professionelle Richtung brachte Kabarettist Alex Kristan, der das Schaffen des Jungtalents vor acht Jahren entdeckte und Sattler kontaktierte. Eine geplante Zusammenarbeit zerschellte an Kristans Terminkalender. Doch bei einem neuerlichen Treffen zwei Jahre später empfahl Kristan eine Bewerbung bei Ö3, wo stets Stimmenimitatoren und Comedytalente gesucht würden. Sattler folgte dem Rat und bewies strategisches Feingefühl. Neben seinen Fußballer-Parodien -u. a. Andi Herzog, Josef Hickersberger -trainierte er sich kurzerhand Bundeskanzler Christian Kern an. Und wurde am Tag nach der Bewerbung mittels Soundfile im Dezember 2016 engagiert.
"Ich war 24 Jahre alt und hatte einen Nebenjob bei Ö3", erinnert sich Sattler an das Highlight. Überbieten konnte er dieses, als nach monatelangem Training rechtzeitig zur Wahl die Stimmenimitation von Bundeskanzler Kurz gelang. "Ich hatte schon abgesagt, weil ich nicht geglaubt habe, dass Kurz' Stimme zu schaffen ist. Es ist unfassbar schwer, weil nicht festzulegen ist, ob sie hoch oder tief ist. Es ist keine Stimmbruchstimme, aber sie hat unregelmäßige, hohe Ausreißer. Dieser abrupte, unharmonische Wechsel ist unglaublich schwer. Letztlich hat es über die Mundstellung mit diesen gespitzten Lippen geklappt."
Mit dem Erfolg steht Sattler nun vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens. "Mein Leben ist gerade wie eine Wundertüte", beschreibt er. "Da sind die konservativen Familienmitglieder, die mich daran erinnern, wie sicher in diesen Zeiten mein Beruf in der Baubranche ist. Und dann gibt es die Freunde, die sagen: Lebe deinen Traum! Geh auf eine Bühne!"
Abseits des Kabarettfachs - vielleicht sogar gemeinsam mit Kulis? - wäre auch Sattlers Passion für die Musik applaustauglich. Seit fünf Jahren ist er Gitarrist der Band The Palais. Die Pandemie bremste zwar jüngste Konzertpläne, doch die Indierock-Formation hat nun drei Singles am Start, die gerade in London gemastered werden und kurz vor der Veröffentlichung stehen. "Ich genieße gerade jeden neuen Schritt, aber natürlich hat auch mein Tag nur 24 Stunden. Bald muss ich mir überlegen wie es weitergehen soll", sagt Sattler. Und gesteht auf Nachfrage, dass die prekäre Situation von Kunst und Kultur während der Pandemie den Gedanken eines Neustarts als Künstler trübt.
Mit dem Rücken zur Wand zwei Tore
Bittet man den Vater des Erfolges, Gernot Kulis, die Freude über seine Neuschöpfung gegenüber der Verzweiflung über die Krise abzuwägen, ist seine Antwort klar. "Ich werde nie jammern, denn ich bin jemand, der sich, auch wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, befreit und zwei Tore schießt. Bei mir ist es gut gelaufen während der letzten Jahre. Aber bei vielen geht es durch diese erzwungene Pause um die Existenz", so Kulis.
Da sind nun einmal Menschen wie der Techniker, dem die Tournee mit Kulis' Programm "Herkulis" mit über 100 Terminen den Lebensunterhalt finanziert. Der keinen Anspruch auf Umsatzersatz hat, weil die selbstständigen Künstler bis dato als "nicht direkt Betroffene" gehandelt werden. "Damit wird die Kulturszene zerstört, die gerade jetzt so wichtig ist. Das zeigt allein der Erfolg dieser Comedyserie, für die sich so viele bedanken, weil sie trotz allem lachen können", sagt Kulis.
Missstände aufzuzeigen, bezeichnet er zwar nicht als Motiv, aber doch als Ergebnis seines Werks. "Ich schaue mit der Lupe auf den Zustand der Gesellschaft, damit die Betrachter ihn zehnfach vergrößert sehen. Ja, Satire zeigt auf. Aber Kunst soll für mich immer einen positiven Einfluss haben. Der Gegner ist ja immer noch das Virus, nicht die Regierung."
Beim Innenminister ist Kulis Überzeugung jedenfalls angekommen. Karl Nehammer meldete sich mit versteckter Kamera beim Kabarettisten und forderte ihn auf, bei der Frisur nachzukorrigieren: "Die passt noch nicht ganz!" Wenn die Parodierten derart mitlachen können, ringt das Kulis Respekt ab. "Das Opfer solidarisiert sich also mit dem Täter, man nennt es das neuartige Comedy-Stockholm-Syndrom", so Kulis.
Ist eine neue Folge des "Bundesministeriums für Irreres" im Kasten, erspart der Familienvater seinen Lieben gerne das Thema Corona. Den Kindern -sie sind fünf und acht Jahre alt - werden die Umstände erklärt, aber fernab von Angst und Hysterie gehalten. "Ich leide nicht, weil wir eine tolle, funktionierende Familie in dieser Zeit als Basis haben", sagt Kulis. Und streut seiner Frau Petra Kulis-Jesenko, Ö3-Pressesprecherin, Rosen: "Zum Glück ist sie in sämtlichen WhatsApp-Gruppen der Schule, und ich kann zuhause für den Spaß zuständig sein."
Auch beruflich scheint der Spaß virusbedingt noch länger gesichert. Und doch träumt sogar Kulis bei allem Erfolg von einer Zukunft, in der wir uns an die Pandemie als die Zeit erinnern, in der wir über Schmähhammer, Warnschober und Bundesbasti gelacht haben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 07/2021 erschienen.