19.500 Höhlen sind in Österreich bekannt. Sie sind für die Trinkwasserversorgung von zentraler Bedeutung und geben Aufschluss über Klimadaten der vergangenen Jahrtausende. Mit Forscherinnen und Forschern des NHM Wien durch die Lurgrotte.
Eckdaten Lurgrotte
Info
Höhlenart: Tropfsteinhöhle
Entdeckt am 1. April 1894 vom steirischen Höhlenforscher Max Brunello
Länge: 10,2 Kilometer lang sind die Gänge der Lurgrotte
Besonderheiten: Es führt ein Weg durch den Berg von Peggau nach Semriach
Praktische Links
Irgendwann geht ohne Stirnlampe gar nichts mehr. Zunächst fällt noch etwas Licht durch den Höhleneingang, später ist es die künstliche Beleuchtung des Schauteils der Lurgrotte in Peggau, das den Weg sichtbar macht. Doch die Gänge führen noch viele Kilometer tiefer in den Berg hinein - und dort ist es stockdunkel.
Die Lurgrotte in der Steiermark ist leicht zugänglich und sehr gut erforscht. Für Lukas Plan ist sie "eine der bedeutendsten Höhlen Österreichs". Plan ist Höhlenführer und -forscher. Seit seiner Jugend ist er fasziniert von der einzigartigen Welt unterhalb der Erdoberfläche. Er studierte Geologie, seit 2008 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Karst- und Höhlen-Arbeitsgruppe am NHM Wien. Außerdem ist Plan Obmann des Landesvereins für Höhlenkunde in Wien und Niederösterreich und hat im Laufe der Jahre bereits mehrere hundert Höhlen entdeckt. Rund 19.500 Höhlen sind derzeit in Österreich dokumentiert. Die meisten davon in den nördlichen Kalkalpen. "Um als Höhle zu gelten, muss die Ganglänge mindestens fünf Meter betragen", erklärt Plan.
Höhlenforschung: Mehrere Tage ohne Sonnenlicht
Den Forscher stört es nicht, mehrere Tage ohne Sonnenlicht zu verbringen. In dieser Zeit bereitet er das Essen mit dem Gaskocher zu. Getrunken wird das Wasser, das durch die Höhle fließt. Dieses Wasser ist eines der Forschungsgebiete Plans und es ist jenes Wasser, das in rund der Hälfte der österreichischen Haushalte aus der Leitung kommt. "Karstquellen haben eine große Bedeutung für die Trinkwasserversorgung", sagt Plan. Um es schützen zu können, sei es wichtig, Details zu den Wasserläufen und darüber, wo genau es in den Felsen gespeichert wird, zu erforschen.
In Kooperation mit der MA31, die zuständig für das Wiener Wasser ist, arbeitet der Wissenschafter gerade daran, mehr über das Wasser im Hochschwab-Massiv herauszufinden. Vor allem das Gebiet unter der Kläfferquelle, einer der größten Trinkwasserquellen Mitteleuropas, ist dabei von Bedeutung. Denn täglich gelangen von hier bis zu 217 Millionen Liter Trinkwasser nach Wien. "Diese Daten sind notwendig, um die Gebiete besser vor Verunreinigungen schützen und schneller und besser reagieren zu können, sollten Verschmutzungen auftreten", so Plan.
Ein weiteres Forschungsgebiet des Höhlenexperten ist der Klimawandel. Gemeinsam mit seinem Team erarbeitet er Modelle, die zeigen wie sich unterschiedliche Niederschlagsszenarien auf das Wassersystem auswirken.
Lurgrotte als Fundgrube für Paläontologen
Der Weg durch die Lurgrotte führt über nasse, schlammige Felsen und unter faszinierenden Felsformationen durch. Vorbei an riesigen, über Zehntausende Jahre gewachsene Tropfsteine und von der Kraft des Wasser kunstvoll ausgewaschene Felsen.
Insgesamt 10,2 Kilometer an Gängen sind bekannt und vermessen. Eine Besonderheit der Lurgrotte ist die durchgängige und mit einem Höhlenführer begehbare Verbindung von Peggau und dem 259 Meter höher gelegenen Semriach.
Laut Lukas Plan sind Höhlen auch für andere Wissenschaftsbereiche von großer Bedeutung: "Sie sind beständig. Das Gestein ist viele Millionen Jahre alt. So können Daten zur Klimageschichte gesammelt und Spuren vergangener Erdbeben ausgewertet werden." Anhand von Vermessungen der Tropfsteine sind beispielsweise Rückschlüsse auf Temperaturen und Niederschlagsmengen der vergangenen Zehntausenden Jahre möglich.
Und nicht zuletzt sind Höhlen eine Fundgrube für Paläontologen.
Grabungen in der Lurgrotte: Viele Knochen und ganze Skelette
Seit 150 Jahren werden in der Lurgrotte Grabungen durchgeführt. Die Forscherinnen und Forscher tragen vorsichtig die oberste Schicht quadratmeterweise Zentimeter für Zentimeter ab. Dabei finden sie unter anderem immer wieder Knochen von Höhlenbären.
Ein Skelett dieser ausgestorbenen Verwandten von heutigen Braun- und Eisbären ist gleich im ersten Teil der Schauhöhle in Peggau zu sehen. Bisher wurden in Österreich in 40 Höhlen Reste des Tieres, das bis zu 1.500 Kilo schwer werden konnte, gefunden.
"Wir haben im NHM an die hunderttausend Einzelknochen von Höhlenbären", sagt Ursula Göhlich, die als Kuratorin für Wirbeltierpaläontologie am Naturhistorischen Museum für die umfangreiche Sammlung fossiler Wirbeltiere zuständig ist. "Der Höhlenbär, der nur in Europa und fast ausschließlich in gebirgigen Lagen vorkam, war ein reiner Pflanzenfresser", erklärt die Wissenschafterin. Das könne anhand des Gebisses festgestellt werden. Und obwohl er so heißt, habe der Bär nie wirklich in der Höhle dauerhaft gelebt, sondern sei nur zum Überwintern gekommen.
Höhlenwasserasseln und Fledermäuse
Nach wie vor leben praktisch keine Tiere dauerhaft in der Dunkelheit. Es gibt Höhlenwasserasseln, die sich über viele Generationen an das unterirdische Leben angepasst haben: Sie sind weiß, blind und mit maximal acht Millimeter Körperlänge viel kleiner als ihre Artgenossen. In einigen Pfützen am Boden leben - ebenfalls weiße und blinde - Höhlenflohkrebse. Fledermäuse wiederum kommen nur für vier bis fünf Monate im Jahr zum Überwintern in die Lurgrotte, in der konstant acht bis zehn Grad herrschen. Es sind vor allem Kleine Hufeisennasen mit einer Größe von bis zu vier Zentimetern, die sich hier niederlassen. Vereinzelt entdeckt die Biologin und Fledermausforscherin Katharina Bürger in der Lurgrotte sogar die vom Aussterben bedrohte Große Hufeisennase. "Die gibt es kaum mehr bei uns", weiß sie. Vergangenen Winter habe sie in Niederösterreich gerade einmal acht Exemplare registriert. Durch den Klimawandel siedeln sich zudem laufend neue Fledermausarten in Österreich an. Darunter die Mittelmeer-Hufeisennase, die im Jänner 2022 hierzulande erstmals gefunden wurde.
Geisterschaft und Großer Dom
Rund sechs Kilometer lang ist die Strecke zwischen Peggau und Semriach. Gegen Ende führt der Weg noch rund 100 Höhenmeter bergauf durch den sogenannten Geisterschaft, bevor der Weg in den Schaubereich der Lurgrotte in Semriach mit dem beeindruckenden Großen Dom mündet. Von hier sind es nur mehr wenige Schritte aus der Dunkelheit zurück ans Tageslicht.
Die Reise in die Lurgrotte folgte auf Einladung des NHM Wien.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2023 erschienen.