Nach vorne schauen, wenn gar nichts geht. Das hat Lucas Fendrich nicht nur als Sänger der Band Hunger gelernt. Auch dass Glück nichts mit Geld zu tun hat und Privates privat bleiben muss
Kaum hatte die Karriere so richtig Fahrt aufgenommen, warf das Leben den Prüfstein in den Weg. "Eine schwere Zeit", sagt Lucas Fendrich über ein Jahr erzwungenen beruflichen Stillstands. Zuvor hatte ein Song seiner Band Hunger außerordentliches Hitpotenzial bewiesen: Streaminggigant Netflix wählte den Ohrwurm "Amused" für die Erfolgsserie "Tote Mädchen lügen nicht", er lief auf US-Radiostationen, und Popstar Taylor Swift nahm ihn auf Spotify in die Liste ihrer Lieblingssongs. Es folgte ein Disput mit dem US-Label der Band, der sie zwang, ein Jahr lang keine neue Musik zu veröffentlichen. Das schmerzt, wenn die Erfolgskurve gerade nach oben geht.
Fendrich betont rückblickend trotzdem die guten Seiten der Erfahrung: die Idee, die Band zu formen, die Chance, in Los Angeles Musik zu produzieren, die vielen Kontakte zu internationalen Musikbranchengrößen. Dass aus ihm, Bassist und Keyboarder Johannes Herbst und Gitarrist Daniel Rumpel eine Band wurde, war Idee des US-Plattenlabels gewesen, das die drei entdeckt hatte. Ursprünglich hatte das Trio Songs für Filme schreiben wollen.
Der Stolz und das Tabu
Fendrich ist froh, dass es anders gekommen ist. "Diese Energie, die du live vom Publikum bekommst, erlebst du sonst nie. Dieses Gefühl wünscht du dir immer wieder", gibt der 34-Jährige zu. Der Sänger, der in Lederjacke und mit Sonnenbrille zum Gespräch erscheint, wirkt unaufgeregt, fast reserviert, wenn er über vergangene Erfolge und die aktuell guten Aussichten spricht. Seit Juli veröffentlicht Hunger jeden Monat einen Song des Albums "Mosaik", das Ende Dezember erscheint. Mit höchst professionellem Video, versteht sich. Die Strategie sei der Notwendigkeit geschuldet, in den sozialen Medien Dauerpräsenz zu zeigen, erklärt Fendrich: "Du musst täglich Inhalte anbieten, um das Interesse von Fans zu stillen." Fast 30.000 Abonnenten auf Instagram und 140.000 Hörer pro Monat auf Spotify trotz Zwangspause sind das zukunftsweisende Ergebnis der ersten Songs "Light It Up" (Juli),"My Shirt Your Dress" (August) und "Honey" (September). Sie bieten satten, 80er-Jahreinspirierten Synthiesound, durch den sich als Wiedererkennungsfaktor Fendrichs Stimme zieht. Es ist der Vorzug, den Vater Rainhard betont, wenn man ihn nach dem Sohn fragt: "Er hat eine tolle Stimme, eine viel bessere als ich." Lucas ist es wichtig, Privates wie Familie oder Freunde vollkommen aus der Öffentlichkeit zu halten. "Ich bin, wer ich bin, und trage meinen Namen mit Stolz. Mehr gibt's dazu nicht zu sagen", erklärt er. "Ich habe gesehen, was passiert, wenn du dein Privatleben öffentlich machst, deshalb ist meines tabu."
"Habe gelernt, im Augenblick zu leben"
Dem Erfolg steht Fendrich nach dem frühen Scheitern seines Traums vom Tennisprofi als Teenager, erfolglosen Versuchen mit Punk-Pop-Bands etwas später und der Zwangspause jüngst pragmatisch gegenüber. "Ich habe gelernt, im Augenblick zu leben. Wenn du das Leben annehmen kannst, wie es gerade ist, bist du viel freier im Kopf." Entgegen allen Klischees über endlose Partynächte hat auch die Zeit in Los Angeles die Arbeitsmoral geschärft. "Es ist beeindruckend, was die Leute dort in Kauf nehmen, um es zu schaffen. Du siehst gut gekleidete Menschen auf Parkbänken schlafen, weil sie diese Woche gerade die Miete nicht zahlen können. Sie geben trotzdem nicht auf", erzählt der Sänger. Ist die Band in Los Angeles, kreist der Tag um Studioarbeit, Videodrehs und das obligate Dinner mit Branchen-Kollegen zum Netzwerken. Fendrich: "Ich war in fünf Jahren auf zwei Partys."
Fendrich schätzt sein Leben. "Ich kenne Leute, die viel Geld verdienen und unglücklich sind. Ich freue mich jeden Tag, dass ich Musik machen kann, auch wenn andere mehr verdienen." Eine Einstellung, wie sie die Prüfsteine des Lebens hervorbringen.