NEWS.AT: „Warum wählt ein kluges, hübsches und junges Mädchen ausgerechnet diesen Beruf?“. Diese Frage stellen sich wohl viele Menschen. Was sagen Sie denjenigen, die wissen wollen, warum Sie sich zur Prostitution entschlossen haben?
Lisa Müller: Ich habe mit 10 Jahren diesen Film gesehen („Natalie – Endstation Babystrich“; Anmerkung der Red.)und mir damals in den Kopf gesetzt, ich will das irgendwann einmal machen. Warum, weiß ich nicht. Als ich 14 war und den Mann (erster Freier; Anmerkung der Red.)kennenlernte, habe ich die Chance gesehen es zu tun. Ich habe schon immer ein komisches Verhältnis zu Geld gehabt. Ich habe es immer als Sicherheit gesehen. Vielleicht ist das der Grund. Schneller kann man Geld nicht verdienen. Der Beruf ist nicht wirklich normal. Aber es gibt ganz viele, die das im Geheimen machen. Bei mir hat es auch niemand mitbekommen.
NEWS.AT: Wie schwierig war es für Sie das Buch zu schreiben?
Müller: Es war eigentlich eine Therapie für mich. Ich musste auch manchmal aufhören zu schreiben, weil es mir wieder schlecht ging, weil einfach alles hochkam. Aber nachdem ich es wieder hochgeholt und verarbeitet hatte, ging es mir besser. Als das Buch dann fertig war, war dieses Kapitel für mich abgeschlossen. Jetzt blicke ich nur noch nach vorne.
NEWS.AT: Sie verwenden eine schonungslose Sprache. Ein Kapitel heißt zum Beispiel: „Erster Kuss, erster Schwanz“. Wie wichtig ist diese klare Sprache für Sie?
Müller: Das wäre gar nicht anders gegangen. Ich musste das einfach so schreiben. Ich habe es wirklich exakt so geschrieben, wie ich es mir gedacht habe. Ich habe auch entsprechende Ausdrücke verwendet. Etwas anderes würde nicht passen.
NEWS.AT: Sie schreiben im Buch auch über Ihre Kindheit und Familienverhältnisse. Sie sind ein Scheidungskind. Welche Rolle hat das für Ihr späteres Leben als Prostituierte gespielt?
Müller: Meine Kindheit war ganz durchschnittlich. Es herrscht nirgends immer Friede, Freude Eierkuchen. Dass meine Familie etwas mit meiner späteren Entscheidung zu tun hatte, glaube ich nicht.
NEWS.AT: Mit 13 Jahren hatten sie Ihr erstes Mal mit einem 18-jährigen „Zirkus-Zigeuner“ (Anm.: Zitat aus dem Buch) in einem Wohnwagen. Laut Gesetz hat sich der junge Mann sogar strafbar gemacht. Wie sehen sie diese Situation rückblickend?
Müller: Es waren fünf Jahre Unterschied. Das fand ich damals nicht schlimm und heute auch nicht. Wenig junge Mädchen stehen auf 13- oder 14-jährige Jungs, die sind auch vom Kopf her noch ganz anders als Mädchen in dem Alter.
NEWS.AT: Im Alter von 13 Jahren wurden Sie auch vergewaltigt. Inwieweit konnten Sie das damals begreifen und verarbeiten?
Müller: Ich habe das einfach verdrängt. Erst ein halbes Jahr später als ein bisschen Alkohol im Spiel war, kam es wieder hoch. Dann habe ich es einer Freundin erzählt. Damals wollte ich es einfach nicht wahrhaben.
NEWS.AT: Warum war dennoch dieser starke Drang nach neuen sexuellen Erfahrungen da?
Müller: Wenn man etwas verdrängt, dann ist das weg. Die Vergewaltigung hat daher keine Rolle gespielt. Ich brauchte die Bestätigung und die habe ich durch Sex bekommen. Darum habe ich das gemacht.
NEWS.AT: Sie waren also auf der Suche nach Anerkennung?
Müller: Ich war als Kind nicht gerade hübsch. Irgendwann war das anders und dann wollte ich das auch bestätigt haben. Deshalb war der Drang nach Bestätigung so groß.
NEWS.AT: Wie sind Sie schließlich von den zahlreichen wechselnden Sexualpartnern in die Prostitution geschlittert?
Müller: Das war überhaupt kein großer Schritt, weil ich es nur wegen der Bestätigung gemacht habe. Wenn ich jetzt die Bestätigung und auch noch Geld dafür bekomme, dann ist das umso besser. Es war also gar nicht schwer.
NEWS.AT: Wie hat dann Ihre Familie von Ihrer Arbeit erfahren?
Müller: Ich habe es meiner Schwester erzählt und die hat es meiner Mutter erzählt. Meine Mutter hat mich gefragt, warum, wieso und weshalb. Ich habe versucht, es zu erklären, aber natürlich versteht eine Mutter so etwas nicht. Es wurde alles unter den Tisch gekehrt. Seit sie mein Buch mit meinem Bild und meinem Namen gesehen hat, spricht sie nicht mehr mit mir. Ich komme eben aus einem kleinen Dorf und jeder dort kennt meine Mutter. Sie macht sich vielleicht auch Vorwürfe, wenn andere Leute fragen, warum sie das nicht gemerkt hat. Das ist ein Schock für sie, aber sie wird sich wieder beruhigen. Mit meiner Schwester telefoniere ich ab und zu und sie hat auch gemeint, dass es sich wieder legen wird.
NEWS.AT: Wie gehen Sie mit Kritik um?
Müller: Das ist mir scheißegal. Mir war es schon immer egal, was Leute über mich denken und das wird auch weiterhin so sein. Jeder hat seine eigene Meinung, aber mich interessiert das nicht. Im Internet bin ich beschimpft worden: „Warum gehst du nicht zur Polizei und zeigst sie an, anstatt ein Buch zu schreiben“ ist da gepostet worden. Diese Meinung dürfen sie haben und mir auch sagen, aber das geht an mir vorbei.
NEWS.AT: Warum haben Sie sich dafür entschieden, mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Müller: Das war mein Leben, ich stehe dazu. Ich möchte kein Geheimnis mehr daraus machen, wie die Jahre zuvor. Ich möchte andere junge Mädchen warnen und die Leute darauf aufmerksam machen, damit sie die Augen nicht verschließen. Wie kann es sein, dass eine 14-, 15- oder 16-Jährige sich in einem Dorf prostituieren kann, ohne dass es jemand merkt? Ich lebe und ich bin so, aber es hätte auch anders ausgehen können. Ein 50-Jähriger Mann, der Sex mit einer 14-Jährigen hat, kann doch nicht normal sein. Woher soll man wissen, dass er nichts anderes mit dem Mädchen anstellen will. Ich habe einfach Glück gehabt, dass ich da herausgekommen bin.
NEWS.AT: Was war das Schlimmste während Ihrer Zeit als Prostituierte?
Müller: Am abartigsten fand ich die Gespräche mit den Männern. Sie haben mir dann von ihrer Familie erzählt und ihren Kindern, die so alt waren wie ich. Oder wenn sie mir mehr Geld gezahlt haben, damit sie auf meinem Ausweis sehen durften, dass ich wirklich so jung bin. Das war für mich wirklich das allerschlimmste überhaupt. Das fand ich einfach nur widerlich. Das hat etwas von meiner Vorstellung einer heilen Welt kaputt gemacht.
NEWS.AT: Sie schreiben auch, dass Sie der Beruf letztendlich psychisch zerstört hat. Wie hat es die ganze Zeit über in Ihnen drinnen ausgesehen?
Müller: Man baut eine Mauer um sich herum. Dein Körper ist zwar da, aber du bist weg. Wie wenn dein Geist sich verflüchtigt. Ich glaube, dass muss man können. Wer das nicht kann, hat es in dem Job schwierig. Irgendwann war es scheißegal mit wem ich Sex hatte, ob der 30 oder 60 war. Man stumpft irgendwann einfach ab. Die ersten zwei Jahre hat es mir gar nichts ausgemacht. Dann kamen immer wieder Momente, in denen ich widerliche Bilder im Kopf hatte. Ein paar Tage lang habe ich niemanden getroffen. Danach habe ich das wieder weggedrückt und mir gesagt: „Ich muss weitermachen, weil ich will Geld haben.“ Irgendwann war das dann so geballt, dass ich nicht mehr konnte. Mir ging es wirklich schlecht, ich habe mich in meiner Wohnung verschanzt. Ich wollte niemanden sehen. Der Gedanke daran mit einem fremden Mann Sex zu haben, war für mich plötzlich so weit weg. Ich konnte es einfach nicht mehr. Dann habe ich mir gesagt, ich muss es lassen.
NEWS.AT: Was war der ausschlaggebende Moment für Sie, um mit der Prostitution aufzuhören?
Müller: Die geballten psychischen Probleme. Ich war nicht in der Lage irgendetwas zu tun. Es war Selbstschutz. Ich habe mir gedacht, dass ich vollkommen kaputt gehe, wenn ich so weitermache. Zum Glück habe ich den Warnschuss gehört.
NEWS.AT: Sie haben schließlich den Absprung geschafft. Im Buch war am Ende auch von der Eröffnung eines SM-Studios die Rede.
Müller: (lacht)Nein, das habe ich nicht vor. Wenn man einmal gesehen hat, wie einfach es geht, Geld zu verdienen, dann ist der Gedanke ab und zu einmal wieder da und es kommen solche Ideen. Aber das wäre ein Riesenschritt, den ich mittlerweile machen müsste, um so etwas wieder zu tun. Ich will das auch gar nicht. Ich will ein ganz normales Leben führen, heiraten und einen Job haben.
NEWS.AT: Sie hatten auch öfter Angst „rückfällig“ zu werden. Warum?
Müller: Es ist wirklich so. Es ist wie eine Sucht. Wenn man einmal den Schritt gegangen ist, ist es viel einfacher, als für jemanden, der das noch nie gemacht hat. Ich habe es als Rettungsboot gesehen. Wenn alle Stricke reißen, dann könnte ich es wieder machen. Einen Rückfall kann niemand 100-prozentig ausschließen, der das schon einmal gemacht hat. Der Gedanke wird immer da sein. Wie beim Alkoholiker, der den Alkohol sieht. Aber im Moment wäre das ein riesiger Schritt für mich und ich will es auch gar nicht.
NEWS.AT: Was machen Sie jetzt beruflich?
Müller: Ich arbeite als Sekretärin in einem Büro und möchte im Sommer wieder in die Schule gehen. In der Abendschule will ich innerhalb von vier Jahren mein Abitur machen.
NEWS.AT: Wie reagiert Ihr Arbeitgeber auf Ihr Vorleben?
Müller: Wir haben bis jetzt noch nicht darüber gesprochen. Das steht noch im Raum, aber das wird demnächst auch kommen. Wie es ausgehen wird, kann ich nicht sagen.
NEWS.AT: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Müller: Ich habe seit etwa zwei Jahren eine Beziehung. Ich will auf jeden Fall heiraten. Ob ich Kinder haben will, weiß ich noch nicht. Ich will einfach ein Zuhause haben.
Lisa Müller
"Nimm mich, bezahl mich, zerstör mich! – Mein Leben als minderjährige Prostituierte in Deutschland"
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag
288 Seiten
ISBN 978-3-86265-238-9
9,95 Euro, Taschenbuch
Zur Person: Lisa Müller wurde 1992 in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg geboren. Sie wächst laut eigenen Angaben in einer gutbürgerlichen Familie auf. Im Alter von 14 Jahren prostituierte sich die Autorin zum ersten Mal. Mit 18 schafft sie den Ausstieg. In den vier Jahren als Prostituierte hatte sie an die 500 Sexualkontakte. In ihrem Buch hat Lisa Müller sich das Erlebte von der Seele geschrieben.
Kommentare
AnmeldenMit Facebook verbindenIvoirDo., 28. März. 2013 01:37meldenantwortenProstitution hat viele Gesichter, aber immer nur den einen Zweck, das schnelle Geld, ohne dafür vorher viel investieren zu müssen. Das eigentliche Problem sind ja die Zuhälter und ihre Skrupellosigkeit, mit der sie die Mädchen und Frauen gefügig machen. Es ist bestimmt physisch und psychisch sehr anstrengend, mit den grundverschiedensten Freiern in die Horizontale zu gehen. Man muß eventuell auch Praktiken akzeptieren die man bis dahin abgelehnt hat, vielleicht sogar angewidert war. Nicht jeder hat immer das Glück einen Adonis abzuschleppen. Man bekommt nicht immer nur die Rosinen, egal ob man seinen eigenen Körper verkauft oder was anderes.
Mi., 27. März. 2013 15:19meldenantwortenDer Menschenhandel wird immer blühen, egal ob das Gewerbe anerkannt wird oder nicht. Es ist eher ein gesellschaftliches Problem. Unsere Gesellschaft ist scheinheilig! Die meisten zeigen mit dem Finger auf diese Frauen und natürlich geht auch keiner hin. Nachweisbar ist jedoch, dass das Geschäft boomt. Natürlich sollte jede Frau die der Prostitution nachgeht gemeldet sein. In Wirklichkeit sieht das aber ganz anders aus. Es gibt genügend Frauen, die das völlig anonym praktizieren und eben ganz zu schweigen von den vielen Mädchen und jungen Frauen die durch Menschenhandel dazu gezwungen werden.
Mi., 27. März. 2013 13:25meldenantwortenWenn Prostituierte endlich ihre Rechte bekämen und ihr Gewerbe endlich als solches auch vom Staat mit allen Rechten und Pflichten anerkannt würde, dann gäbe es weder den damit leider immer noch zusammenhängenden Menschenhandel inkl. Kriminalität, noch die immer wieder auftretenden Probleme der Frauen. Huren sind ein Teil dieser Gesellschaft, waren und werden es immer sein.
freud0815Mi., 27. März. 2013 12:32meldenantwortennicht nur +diese frauen* auch seitens politik wird angestrebt die ladies als *sexarbeiterinnen* erfassen zu dürfen-somit ist gesundheitliche check ups und natürlich die steuereinnahmen gesichert
Mi., 27. März. 2013 12:22meldenantwortenTja, diese Damen nennen es aber einen Beruf. Ich bin im Bildungs-/Gesundheitswesen tätig und ich hatte einmal eine junge Frau zur Fachausbildung, die aus dem Milieu ausgestiegen war. Sie nannte ihre vorhergehende Beschäftigung einen Beruf wie jeden anderen und hat sich während ihrer Prostitutionszeit als Geschäftsfrau betitelt. Ich denke, dass diese Frauen, um ihre Selbstachtung zu stärken, bwusst von einem Beruf und Geschäftstüchtigkeit sprechen. Es geht vielen Frauen auch darum, dass sie auch von der Gesellschaft so akzeptiert werden. Immerhin ist es ja das älteste Gewerbe der Welt. Anders sieht es bestimmt bei Frauen aus, die zur Prostitution gezwungen werden. Der Job ist bestimmt nicht einfach und nach Erzählung macht er wirklich süchtig, weil es schnell verdientes Geld sein soll. Aber psychisch sind diese Frauen sehr angeschlagen und milieugeschädigt.
Martin-WalterDi., 26. März. 2013 20:11meldenantwortengut, es ist schrecklich, dass es sowas gibt. umso wichtiger ist es, dass es aufgezeigt wird. einschl. des artikels. das aber als "beruf" zu bezeichnen ist absurd und eine weitere fehlentwicklung. oft absichtlich, hier bei news bin ich mir nicht sicher, wie es gemeint ist.
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