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Warum will sie nicht nackt sein?

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Liebes Leben - Warum will sie nicht nackt sein?
©Bild: Nathan Murrell
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Bei Heinz und Marion hatte es sofort gefunkt. Doch bei der körperlichen Liebe musste es auf ihr Betreiben stets zappenduster sein. Verdächtigen Menschen wie Marion ihre Partner, dass sie "nicht gut genug" sind, und haben deshalb ein Problem mit dem Nacktsein? Wie kam Licht in die Sache?

Ungeachtet der Komplimente, die Marion von ihrem Mann bekam, fand sie ihren eigenen Körper peinlich und seinen Anblick im Spiegel und unter der Dusche unerträglich. Sie vermied, so gut es ging, Arztbesuche. Und konnte nie stressfrei und ohne Selbstzweifel in die Sauna oder ins Schwimmbad, ein Badetuch stets schützend um ihren Körper geschlungen. Immer öfter entstanden Konflikte, wenn Heinz sich von ihr missverstanden und sie sich von ihm angegriffen fühlte. Aber war nicht eindeutig Heinz im Recht, wenn er ihre Verweigerung, sich nackt zu zeigen, als Zurückweisung empfand?

Seine Frau noch nie nackt gesehen zu haben und das fraglos zu dulden, hatte er zunächst als Toleranz gegenüber einer Macke gewertet, schließlich - nach all den Jahren -als persönliches Versagen. Offenbar stand er ihr nicht nah genug, gelang es ihm nicht, ihr Vertrauen zu gewinnen. Eine Paartherapeutin aufzusuchen, hatte die beiden Überwindung gekostet. Nun waren sie aber so weit, etwas ändern zu wollen. Und jetzt? Neben Paargesprächen führte ich mit ihnen Einzelgespräche. Während er meinte, irgendetwas falsch zu machen oder womöglich nicht der Richtige zu sein, eröffnete sie mir, dass sie schlichtweg nicht nackt sein könne. Dass Nacktsein grundsätzlich nur bei Dunkelheit und Heinz zuliebe möglich sei. Aber nie und nimmer bei Licht!

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© Arman Novic/Shutterstock

Als Dysmorphophobie wird eine Störung der Körperwahrnehmung bezeichnet. Marion konnte sich nicht erinnern, je ihren Körper gemocht oder auch nur akzeptiert zu haben. Die wohl schwierigste Beziehung für sie war nicht (wie Heinz glaubte) jene zu ihrem Mann. Sondern zu ihrem eigenen Körper. Menschen wie Marion finden kein gutes Haar an ihrem Äußeren. Nackt zu sein, ist für sie der Inbegriff der Schutzlosigkeit, als wären sie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Und die Wölfe heulen einstimmig mit der Stimme des inneren Kritikers. Damit ist jener Anteil der Persönlichkeit eines Menschen gemeint, der sich mal mehr, mal weniger in Selbstkritik übt. Ein bisschen Selbstkritik hat noch niemandem geschadet Aber Marions innerer Kritiker verhinderte nicht nur ihr Liebesglück, sondern vor allem ihre Fähigkeit zur Selbstfürsorge.

Der erste Schritt in der Psychotherapie war, mit Marion ein gezieltes Selbstwerttraining zu starten, um ihr Selbstbild und Selbstbewusstsein zu stärken. Im Einzelsetting setzte sie sich zunächst dem allerschlimmsten Anblick aus, den sie sich vorstellen konnte: ihrem Spiegelbild. Sie lernte nicht nur, sich zunächst bekleidet, dann zu Hause nackt minutenlang auf sich optisch wirken zu lassen, sondern sich mit einfachen Übungen buchstäblich selbst zu erfahren. Durch die schrittweise sinnliche Wahrnehmung wurde achtsam nach und nach mit jedem ungeliebten Körperteil Beziehung aufgebaut, indem sie sich zum Beispiel Gesicht und Hände eincremte, Finger und Zehen massierte, schließlich den ganzen Körper mit einem sanften Peeling verwöhnte und sich zunächst unter innerem Widerstand, dann immer genussvoller ein Entspannungsbad einließ. In den Therapiegesprächen wurden Ängste und Gefühle bewusst gemacht.

Doch schon allein ihr positiver Anblick im Spiegel wirkte Wunder. Dann wurde noch an den inneren Glaubenssätzen "geschraubt". Und siehe da: Anstatt zu denken: "Nackt bin ich nicht schön genug" hob dann die innere Beziehungsformel Marions Selbstwertgefühl: "Ich sehe gut aus und darf mich nackt wohlfühlen". Glaubenssätze kann man auch Beziehungsformeln nennen, weil sie neben der Beziehung zu sich selbst vor allem für die Beziehung zum Partner entscheidend sind.

Ein halbes Jahr später erkannte Heinz in der Paartherapie seine Frau nicht wieder. Sie hatte ihre Hemmung, sich nackt zu zeigen, überwunden und begleitete ihn zum ersten Mal in die Sauna - und das erstmals, ohne schon vorher zu schwitzen.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly ist Philosophin und Psychotherapeutin.
Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at

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