Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Österreich. Über 20.000 Österreicher sterben jährlich daran. Wird es in absehbarer Zeit gelingen, der Krankheit den Schrecken zu nehmen?
Das hoffen wir natürlich. Es stimmt, dass Krebs die zweithäufigste Todesursache ist und natürlich kann man viele Faktoren dafür verantwortlich machen. Was wir dabei aber nicht vergessen dürfen: Die Menschen werden immer älter und die meisten Krebsarten manifestieren sich erst nach einem gewissen Alter. Das ist auch jenes Alter, in dem die kardiovaskulären Erkrankungen, an denen die meisten Menschen sterben, gehäuft auftreten. Es ist aber mittlerweile auch in den meisten Fällen bekannt, woran jemand gestorben ist. Bis vor 20 bis 30 Jahren wusste man das oft gar nicht und die Menschen sind gestorben, weil sie "halt alt waren". Es wurden somit sicherlich viele Krebserkrankungen gar nicht registriert.
Von welchem Alter sprechen Sie hier?
Die meisten Krebsdiagnosen werden ab 50 Jahren gestellt. Davor treten auch schon Krebserkrankungen auf, aber die sind doch eher der traurige Ausnahmefall. Jede Krebsdiagnose ist ein riesiger Schock für den Betroffenen. Doch nicht jede Erkrankung ist gleich. Manche Krebsarten können bereits sehr gut behandelt werden, bei anderen jedoch sind die Erfolgschancen nach wie vor noch relativ gering.
Was ist das Ziel der Forscher?
Das Ziel der Forscher ist es jedenfalls, aus einer Krebserkrankung eine chronische Erkrankung zu machen. So wie das bereits bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Fall ist. Leidet jemand unter Bluthochdruck, dann muss er zwar den Rest seines Lebens Medikamente nehmen, kann aber gut damit leben. So etwas wäre für Krebs ebenfalls wünschenswert.
Worauf ist es zurückzuführen, dass Krebs so schwer zu behandeln ist?
Das Problem ist, es gibt nicht nur eine Krebserkrankung. Es gibt Dutzende unterschiedliche Arten und es werden laufend mehr. Denn durch die intensive Forschungsarbeit werden laufend neue Unterarten identifiziert. So gibt es sogar bei ein-und derselben Krebsart große Unterschiede. Und eine der großen Erkenntnisse durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist meines Erachtens, dass wir draufgekommen sind, dass selbst ein Tumor in sich nicht einheitlich ist, sondern sehr heterogen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Ein Tumor besteht aus Zellen, die verschiedene Veränderungen aufweisen. Bildlich vorgestellt heißt das Folgendes: Ein Tumor besteht aus Zellen verschiedener Farben, also einem Gemisch von z. B. roten, blauen und gelben Zellen, die alle unkontrolliert wachsen. Aber nehmen wir an, die gelben Zellen haben einen Vorteil, wachsen daher noch schneller und sind folglich zunächst in der Überzahl. Wenn ich von einem solchen Tumor eine Biopsie nehme und mir die Veränderungen anschaue, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, eine gelbe Zelle zu erwischen. In Folge würde man eine maßgeschneiderte Therapie gegen die gelben Zellen einsetzen, die aber nicht gegen die roten und blauen Zellen wirken würde.
Dann muss der Patient also das nächste Medikament nehmen, das die roten Zellen bekämpft und anschließend eines gegen die blauen?
Genau. Das wäre der Idealfall, dass man dann gegen die roten therapiert usw. Personalisierte Medizin ist gut. Allerdings muss man auch sagen, es gibt Tumore, die nicht so leicht zugänglich sind und wenn man dann ständig stehen und Biopsien entnehmen muss, ist es für den Patienten auch nicht so angenehm. Allerdings gibt es auch hier mittlerweile schon modernere Methoden.
Wie funktionieren diese?
Die sogenannte "Liquid Biopsy" wird in der personalisierten Medizin bereits für diagnostische Zwecke eingesetzt. Dabei wird Blut abgenommen und daraus abgeleitet, um welche Tumorzellen es sich handelt. Noch ist aber nicht klar, ob Liquid Biopsy das gesamte Spektrum der Heterogenität des Tumors tatsächlich so gut wiedergibt.
Das heißt, der Optimalfall wäre: Man nimmt Blut ab, sieht, welche Zellen vorhanden sind, und verabreicht ein Mischmedikament gegen alle?
Das wäre optimal, funktioniert aber leider so nicht. Krebsmedikamente haben nämlich starke Nebenwirkungen, da die Zielstrukturen, die sie im Krebs hemmen, auch Zielstrukturen sind, die in gesunden Zellen eine sehr wichtige Funktion haben. Wenn jetzt zwei oder drei der Medikamente kombiniert werden, sind die Nebenwirkungen so stark, dass es für die Patienten gefährlich wird.
Was ist für Sie der bisher größte Erfolg der Krebsforschung?
Der erste große Durchbruch in der Geschichte der Krebstherapie war sicherlich die Chemotherapie. Damit hat man viele Krebserkrankungen - vor allem solche, bei denen sich Zellen sehr rasch teilen -in Griff bekommen. Und der letzte große Durchbruch ist für mich ohne Zweifel die Immuntherapie. Dafür gab es sogar schon den Nobelpreis für Medizin. Leider muss man allerdings sagen, bis jetzt sprechen nur 20 bis 30 Prozent der Patienten auf diese Therapie, bei der das Immunsystem so aktiviert wird, dass es die Tumorzellen wiedererkennt, an.
Immer häufiger werden DNA-Tests angeboten, die anzeigen, wie hoch das Risiko ist, an Krebs zu erkranken. Sollte das jeder machen lassen?
Sagen wir so: Wenn in der Familie gewisse Krebsarten, wie z. B. Brustkrebs oder Ovarialkarzinom, gehäuft auftreten, macht es sicherlich Sinn, nach BRCA1/2-Mutationen zu suchen. Denn weiß man, dass man ein viel höheres Risiko hat, diese Krebsarten zu entwickeln, kann man das durch Monitoring genau beobachten und so rechtzeitig handeln. Aber einfach so diese Tests machen zu lassen, halte ich zurzeit noch für unnötig. Es macht nur dann Sinn, wenn man mit dem Ergebnis etwas Konkretes machen kann. Es macht aber keinen Sinn, wenn ich danach eine Fülle an Informationen habe, mit denen man heutzutage noch nicht viel anfangen kann.
Ist Krebs ohnehin genetisch vorbestimmt oder kann ich selbst aktiv etwas unternehmen, um nicht daran zu erkranken?
Jeder kann natürlich etwas zu einem gesunden Leben beitragen. Wichtig wäre z. B. zu Vorsorgeuntersuchungen -Koloskopie, Mammographie und zu den Prostata-Tests - zu gehen. Aufhören zu rauchen wäre auch sehr positiv. Außerdem ist ein starkes Immunsystem wichtig, da es die entarteten Zellen erkennt und sofort abtöten kann. Erst, wenn das Immunsystem nicht mehr so gut funktioniert, haben diese Tumorzellen die Chance, sich rasch zu vermehren.
Immer wieder liegt Superfood im Trend. Welchen Einfluss hat unsere Ernährung auf die Entstehung von Krebs?
Eine ausgewogene Ernährung ist sicher wichtig. Viel Gemüse und Obst zu essen, ist natürlich sehr gesund. Aber er ist keine Garantie, dass man dann keinesfalls an Krebs erkrankt. Über Superfood kann ich nicht viel sagen. Einen Einfluss auf unsere Gesundheit hat aber sicherlich das sogenannte Mikrobiom. In unserem Darm und auf unserer Haut leben eine Vielzahl von unterschiedlichen Bakterien. Und abhängig davon, welche Bakterien das sind, kann sogar eine Krebstherapie besser oder schlechter wirken. Dazu gibt es bereits Studien. Denn die Bakterien produzieren selber auch gewisse Stoffe und diese können zusammen mit Krebsmedikamenten besser wirken, indem sie z. B. auch das Immunsystem stärken. Wie das genau funktioniert, ist noch nicht gänzlich erforscht. Aber es ist sicher so, dass das Mikrobiom eine wichtige Rolle spielt.
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Macht aus Ihrer Sicht Intervallfasten Sinn?
Intervallfasten hat sicher für den Organismus positive Auswirkungen, weil sich vor allem die Leber erholen kann. Aber alles gehört mit einem guten Maß gemacht. Wenn jemand fastet, aber gleichzeitig dann zwei Packerl Zigaretten raucht, kann man es mit dem Fasten auch sein lassen. Es gibt Studien in Mäusen, die zeigen, dass sie resistenter bezüglich Krebsentstehung sind, wenn sie weniger Nahrung zu sich nehmen.
Und wie groß ist der Einfluss regelmäßiger Bewegung auf die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken?
Bewegung stärkt unseren Körper. Es ist durch Studien belegt, dass Patienten, die eine Krebsbehandlung machen und sich viel bewegen, besser dran sind. Denn durch die Bewegung wird das Immunsystem angeregt und das hilft bei den Therapien, dass der Krebs besser bekämpft wird.
Zur Person: Die gebürtige Italienerin studierte an der Universität Pavia Molekularbiologie. Ihr Postdoc führte sie ans Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien und schließlich an die Meduni, wo sie habilitierte. Seit 2010 ist Sibilia Leiterin des Instituts für Krebsforschung der Meduni und auch interimistische Leiterin des Comprehensive Cancer Center
Dieses Interview erschien ursprünglich im News 5/2020.