Es ist der Moment, in dem alles zu scheitern droht. Am Plafond zieht ein Ventilator hektisch seine Runden. Darunter hockt ein wuchtiger Mann im feinen Seidenhemd und schlägt mit der Hand auf einen Tisch aus Ebenholz. "Keine Chance, dass wir euch zu den Minen lassen", sagt er in schneidendem Französisch. "Viel zu gefährlich" sei das, und wer übernähme am Ende die Verantwortung, falls was schiefginge? Dabei scheint den Geheimdienstchef weniger die Sicherheit zweier Journalisten aus Europa zu sorgen, als die Ahnung, was sie dort zu sehen bekämen. Wer nur "Kongo" und "Kobalt" googelt, stößt schon auf Bilder, die erahnen lassen, was eine tiefgründige Recherche zu Tage fördern könnte. Es sind Bilder, die so gar nicht zu dem passen, was man sich landläufig unter der sauberen grünen Energiewende ausmalt.
Kolwezi ist das Gegenteil von grün. Eine staubige 600.000-Einwohner-Stadt im Süden der nur dem Namen nach demokratischen Republik Kongo. Glutorange ist ihre Erde und fiebrig ihre Stimmung. Es ist eine Stadt, die uns in Beschlag nimmt, in Abgründe führt und Alpträume weckt. Weil Grauen und Gier sie prägen und sie zugleich eine Stätte der Zukunft ist.
Der Autor recherchierte für das Missio-Magazin "allewelt" zwei Wochen lang im Kongo. Die Arbeit von Schwester Jane kann durch Spenden an Missio Österreich unterstützt werden
Standort von Kolwezi auf Google Maps:
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Ausgepeitscht in der Mine
Ein "geologischer Skandal" sei das, was sich unter den Böden von Kolwezi auftut. Ein Reichtum an Mineralien, sobald man nur zu graben beginnt. Neben Kupfer ist es Kobalt, das alles veränderte. Nirgendwo sonst auf der Welt lagert so viel von einem der begehrtesten Erze der Erde. Gebraucht wird es für alles, was eine leistungsstarke Batterie besitzt: Notebooks, Smartphones und natürlich die boomenden Elektroautos. In einem einzigen Fahrzeug stecken bis zu 13 Kilo Kobalt. Und 80 Prozent aller bekannten Vorkommen liegen im Kongo. Zuletzt verdreifachte sich die Fördermenge, und die Preise gingen durch die Decke. Aktuell notiert eine Tonne Kobalt an den Börsen bei 51.000 US-Dollar.
Wer glaubt, das würde Kolwezi zu Dubai machen, irrt gewaltig. Selbst im Zentrum ist kaum eine Straße asphaltiert. Müll türmt sich. Etliche der Kinder haben Blähbäuche. Wasser kommt, wenn überhaupt, aus Kanistern. Die Stadt durchziehen kilometergroße Löcher. Es sind die Minen, gigantische umgedrehte Maulwurfhügel, die man selbst von Satelliten aus sehen kann. In Kaskaden graben sich dort Bagger, groß wie Einfamilienhäuser, Hunderte Meter in die Tiefe. Einst waren diese Minen staatlich, bis korrupte Herrscher herausfanden, dass sich damit ordentlich Geld machen lässt. Und so gelangten die Chinesen nach Kolwezi.
Sie sind die großen Unsichtbaren, kontrollieren 15 der 19 Kobalt-Minen im Kongo, leben in abgeschotteten Siedlungen, betreiben eigene Spitäler, Hotels, Restaurants und gar Casinos. Erst als es längst dunkel ist und der Schweiß und Staub des Tages abgewaschen sind, erhalten sie in einer Kaschemme erstmals ein Gesicht. Dort klagen die Arbeiter über ihre Dienstherren, die sie mies bezahlen und für bessere Jobs ihre eigenen Leute aus China herkarren. Bald macht ein Handy die Runde. Darauf läuft ein wackeliges Amateurvideo aus einer der Minen. Ein Kongolese mit nacktem Oberkörper liegt darin im Staub, die Hände auf den Rücken gebunden. Ein Security-Mann mit Kalaschnikow über der Schulter peitscht ihn aus. Im Hintergrund sieht man den Chef, einen Chinesen, der etwas auf Mandarin sagt. Nur ein Wort wiederholt er immer wieder auf Swahili, der Landessprache: "Piga! Piga" - "Schlag zu!"
Das sind die Bedingungen, unter denen Kobalt im Kongo industriell abgebaut wird. "Sauberes" Kobalt, wie es dessen Abnehmer in den Weltkonzernen wohl nennen würden. So ausbeuterisch das klingt, so wenig spiegelt es noch die Wirklichkeit in Kolwezi wider. Diese beginnt an den Zäunen der Minen, im Abraum der Gruben, an Bachbetten und künstlichen Seen, deren Wasser angereichert ist mit Spuren von Kupfer und radioaktivem Uran. Es sind Orte, an die kein westlicher Beobachter hinkommen soll, damit das, was dort geschieht, unsichtbar bleibt.
Literaturtipps:
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Der Blick auf Verbotenes
Doch nach etlichen Hürden führt ein Weg am Geheimdienstchef vorbei, hin in das, was hier als "informelle Mine" gilt. Der Blick gefriert. Das Auge starrt auf zuvor noch nie Gesehenes. Es sind Hunderte Menschen, die schaufeln und schürfen, die wie Ameisen im Abraum der Minen schuften. Eine ganze gräuliche Mondlandschaft, in der junge Männer mit Spitzhacken völlig ungesichert Schächte in die Tiefe treiben.
Wo Frauen barfuß knöcheltief im Schlamm stehen und in praller Hitze gebückt den ganzen Tag Gestein sieben. Und immer an ihrer Seite: Kinder. Buben und Mädchen, sechs, sieben, acht Jahre alt. Im Bett eines Baches buddeln sie nach dem Gestein und schleppen es in Säcken weg. Dass dieses auch hier radioaktives Uran enthält, ahnen sie nicht. Ebenso wenig, dass Fehlgeburten und Missbildungen an Babys zuletzt exorbitant stiegen und Krebserkrankungen massiv zunehmen. Und selbst wenn sie davon erführen, welchen Unterschied würde es machen? Ihnen bleibt keine Wahl.
Gaston und Félix sind zwei der Buben in der Tschabula-Mine. Beide zehn Jahre alt, ihre Kleidung voller Erde und Schmutz, die Füße in Schlapfen, schleppen sie Säcke mit Steinen. "Wir helfen der Mama beim Sieben", sagt Gaston und deutet rüber an das Rinnsal, wo die Frauen Kobaltreste aus dem Gestein rausklopfen. Die Tage der Kinder beginnen früh, lang bevor die Sonne unerträglich wird. Eine Schule, eine Hoffnung auf ein anderes Leben? "Nicht für uns", sagt später Ambasto, der schon 20 ist, "für uns heißt es hier graben oder krepieren."
Am Chinesen-Markt
Geschätzt sind es 170.000 Menschen, die sich in und rund um Kolwezi in den halblegalen Minen verdingen. Die in dem, was die großen Konzerne übriglassen, graben und schürfen, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, in der Hoffnung, nur ein winziges Kieselsteinchen vom riesigen Felsen an Reichtum zu ergattern, der theoretisch unter ihrer Erde lagert. Die aus der Ausweglosigkeit und dem Hunger geborene Gier, sich selbst ein kleines Klondike zu schaffen, treibt manche der Männer in immer tiefere, selbstgegrabene Schächte und raubt ihnen wortwörtlich den Atem. Erstickt, begraben und gestorben, Hunderte Male bereits. Bereichert haben sich bloß die, die Claims vergeben, dafür geschmiert werden wollen und in den staatlichen Stellen des Landes sitzen, das dabei zusieht, wie sein Volk sonst verhungert. Am Ende nimmt das "schmutzige" Kobalt aus den Löchern des Elends denselben Weg wie das vermeintlich "saubere" aus den Minen der Chinesen. Das beweist der Markt von Musompo, eine nicht enden wollende Kette von Blechbuden an der Ausfallstraße in Richtung der Grenze zu Sambia. Die Chinesen kaufen dort auch die Bestände aus den halblegalen Minen auf. Zu Preisen fernab des Weltmarkts. "Sie betrügen uns", vermutet einer der Schürfer, "ihre Prüfgeräte, mit denen sie den Reinheitsgrad des Gesteins bestimmen, sind getürkt. Aber, was sollen wir tun? Wir brauchen das Geld."
"Man kann das Elend der Welt beklagen, die Gier, die Gewalt, all das, was diesen Ort prägt", sagt weit später eine Frau im Ordensgewand, "oder man kann innehalten, beten und dann auch konkret etwas dagegen tun." Die Frau heißt Jane Wainoi und ist Ordensoberin der Schwestern vom Guten Hirten. Als diese vor gut zehn Jahren nach Kolwezi kamen, waren sie erschüttert von der Armut und der Ausbeutung. "Es gab damals eine einzige staatliche Schule für die wenigen Kinder aus privilegierten Familien", sagt sie, "die anderen Kinder sind für ihre Eltern Einkommens-Generierer. Sie müssen beim Kobalt-Schürfen mithelfen, einfach weil ", Schwester Jane stockt, wendet den Blick ab, schaut aus dem Fenster, "ja weil sie sonst verhungern würden." Also packten die Schwestern an. Schufen aus dem Nichts an einem Ort der Gier und Gewalt das krasse Gegenteil. Mit Hilfe von Spenden und Stiftungen bauten sie insgesamt sieben Schulen und holten Tausende von Kindern aus den Minen.
Ordensschwestern der Hoffnung
Wem das gelingt, der braucht neben Gottvertrauen auch eine gehörige Portion Mut. Denn weder sehen es die Profiteure des Kobaltfiebers gern, wenn ihnen Kinder als billigste Arbeitskräfte abhanden kommen. Noch haben Männer hinter Ebenholzschreibtischen in Behörden eine Freude damit, dass die Arbeit der Schwestern für internationale Aufmerksamkeit sorgt. Wer die Geschichte hinter dem Kobalt kennt, zieht die Erzählung von unser aller "grünen Zukunft" in Zweifel. "Wäre es also besser, wenn wir schwiegen", fragt Schwester Jane? "Das können wir nicht. Wir wollen die Stimme der Stummen sein, denn das, was an diesem Ort geschieht, schreit förmlich zum Himmel, und die Welt soll davon erfahren."
Längst ist Schwester Jane von der Ordensoberin zur taffen Managerin geworden. Sie und ihre acht Mitschwestern beschäftigen mittlerweile 102 Angestellte. Um die Kinder vor der Gefahr und der Gewalt der Minen zu bewahren, setzen sie bei den Eltern an. In einem Land wie dem Kongo, wo laut Unicef fast die Hälfte der Kinder unterernährt sind und selbst Grundnahrungsmittel überteuert importiert werden müssen, gründeten sie eine Farm nur für Frauen: 40 Hektar an Feldern, zwölf Fischteiche und ein Kleinkreditmodell, das einen Ausstieg aus der Ausbeutung ermöglicht. Stolz zeigt Schwester Jane die Bananen und Bohnen, den Spinat und den Mais sowie das Gemüse, das auf Äckern gedeiht, die von 1.500 Frauen bewirtschaftet werden. "Da die meisten von ihnen weder lesen noch schreiben können, hatten sie bislang keine Alternative zum Kobalt und saßen in den Minen in der Falle", sagt Schwester Jane. "Bei den Frauen anzufangen, macht Sinn, denn sie sind verantwortungsvoller als die Männer. Sie setzen einen Schritt nach dem anderen und lassen dabei nie ihr Ziel aus den Augen." Damit ähneln sie den Schwestern. Diese bringen Hoffnung an einen Ort, dessen einzige bislang tief unter der Erde lag.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 01-02/2023 erschienen.