Jobwechsel gehören längst zur Erwerbsbiografie. Doch wie erfolgsversprechend ist es, in der Lebensmitte den Beruf oder sogar die Branche zu wechseln? Besser gehen? Oder lieber bleiben?
Alexandra S. war jahrzehntelang Fotoredakteurin bei einer Zeitung. Doch dann wurde diese 2016 eingestellt. Und die ausgebildete Fotografin war von einem Tag auf den anderen arbeitslos. "Einen neuen Job als Fotografin zu finden ist nicht so einfach. Ich wusste, ich möchte etwas machen, wo ich nachher sicher einen Job bekomme", schildert sie ihre Situation. Nun macht sie eine Ausbildung zur medizinischen Masseurin. Die meisten ihrer Kommilitoninnen sind 19 Jahre alt. Alexandra S. ist die älteste in ihrer Gruppe. Sie ist 51.
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Unzufriedenheit, Unterforderung oder wie im Fall von Alexandra S. unglückliche äußere Umstände lassen bei vielen den Wunsch nach einem beruflichen Neustart wachsen. Ein Wechsel will aber gut überlegt sein. So rät Natalie Bairaktaridis, Managing Partner eines weltweit tätigen Executive Search Unternehmens, vorab zu einer gründlichen Analyse der Ist-Situation.
Dazu gehöre auch, sich grundlegenden Fragen zu stellen, wie etwa "Wo stehe ich derzeit in meiner Jobsituation? Welche meiner 'Assets' sind für den künftigen Arbeitgeber interessant? Gibt es Möglichkeiten für Weiterentwicklung im neuen Unternehmen?" und "Welche beruflichen Kontakte und welches Netzwerk habe ich?". Außerdem brauche es eine klare Zielsetzung, was man durch den Jobwechsel erreichen will.
Mid-Career-Crisis
Ähnlich wie die Midlife-Crisis tritt auch die "Mid-Career-Crisis" um das 40. Lebensjahr herum ein. Ist mit 30 der Jobwechsel noch mit dem Wunsch nach mehr Verantwortung und mehr Gehalt verbunden, ist ein Wechsel mit 40 in der Regel von einer beruflichen Neuorientierung begleitet.
Doch wie aussichtsreich ist ein Jobwechsel über 45 nun wirklich? Geht es nach Florens Eblinger, Geschäftsführer von Eblinger & Partner Personalberatung, lässt sich darauf keine allgemein gültige Antwort geben: "Der Arbeitsmarkt ist groß - im Managementbereich ist das Alter kein großes Kriterium. Ein Top-Manager hat auch mit 55 Jahren kein Problem, einen Job zu finden."
Dem stimmt auch Bairaktaridis zu. Grundsätzlich sei es immer davon abhängig, auf welchen Ausbildungs- und Erfahrungshintergrund jemand verweisen kann. "Üblicherweise kann man mit 45 bereits auf eine langjährige Berufserfahrung zurückgreifen und hat somit gute Chancen bei einem Jobwechsel. Aus der Praxis kann ich sagen, dass viele Kandidaten zwischen 45 und 50 Jahren eine Neuorientierung anstreben. Dies auch ein gutes Alter ist, um nochmals durchzustarten."
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Berufswechsel: "60 ist die magische Grenze"
Hannes Gsellmann, Partner bei BDO People & Organisation Consulting setzt die "magische Grenze" für einen Berufswechsel bei 60 fest - danach würde es schwieriger werden, einen Job zu finden. "Vor ein paar Jahren war ein Alter von 50 noch ein echter Hinderungsgrund. Das höre ich jetzt kaum noch. Das liegt sicher auch daran, dass das Pensionsalter nach oben gegangen ist. Mit 50 hat man ja noch 15 Jahre Berufsleben vor sich", meint der Berater.
Das dachte sich auch Alexandra S.: "Ich wusste, dass ich noch mindestens zwölf Jahre arbeiten muss. Im Alter hört man mehr auf sich selbst und achtet stärker darauf, was man wirklich will". Außerdem würde man Dinge nicht mehr so tragisch sehen. So will die gelernte Fotografin zwar nicht mehr 40 Stunden arbeiten, sei aber dementsprechend auch bereit, mit weniger Geld auszukommen. "Es gibt so viel, das mich interessiert. Das Leben ist nicht unendlich, es hört irgendwann einmal auf und man muss die Zeit nützen", meint die 51-Jährige.
Zehn Arbeitgeber pro Arbeitsleben
Im Schnitt hat jeder zehn Arbeitgeber pro Arbeitsleben, man wechselt also alle vier Jahre. Somit ist auch das langfristige Planen für Unternehmen überholt. Eine lange Zugehörigkeit zu einem Unternehmen, wie etwa 25 Jahre, sei nicht von Vorteil. Im Gegenteil: "Das symbolisiert wenig Flexibilität. Gut ist ein gesunder beruflicher Wechsel, also alle fünf bis sieben Jahre. Das zeugt von Loyalität, aber auch von Flexibilität", meint Eblinger.
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Branchenwechsel ist "möglich"
Ein Branchenwechsel, wie etwa bei Alexandra S., gestalte sich zwar schwieriger, sei aber machbar, ist Gsellmann überzeugt. Den ermögliche eher das eigene Netzwerk. Die Mehrheit der Jobangebote würde so passieren. Aber: "Ein Netzwerk ist nur dann hilfreich, wenn es echte Kontakte sind. Also Menschen, mit denen ich auch zu tun habe. Nur online auf LinkedIn bringt nichts." Natürlich gäbe es aber auch Branchen, in denen man auch mit zunehmendem Alter kein Problem hätte, einen Job zu finden. "Vor allem in der IT, wie Web-Developer, werden händeringend Leute gesucht. Da gibt es so einen Mangel, da ist das Alter völlig egal."
Als möglich beurteilt auch Bairaktaridis einen Branchenwechsel. Es gäbe viele Unternehmen, die sich bewusst für einen Mitarbeiter aus einer anderen Berufssparte entscheiden, um so neue Sichtweisen und Perspektiven einzubringen. Andere Unternehmen hingegen, würden verstärkt Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gewinnen wollen, die einen einschlägigen Branchenhintergrund haben. "Will man die Branche wechseln, gilt es also fundierte Argumente und Weiterbildungen in diese Richtung vorweisen zu können", erklärt die Personalberaterin.
Wie aber kann man einen Arbeitgeber trotz "fortgeschrittenen" Alters von sich überzeugen? Eblinger rät dazu, sich fit zu halten - auch im Kopf: "Unsere Kunden wünschen sich Erfahrungen im Bereich Digitalisierung. Etwa zwei Drittel sagen, dass sie nach Menschen suchen, die jung im Kopf und fit mit Technologie sind." Und was rät Alexandra S. zukünftigen Berufswechslern? "Man muss auf sich selbst hören. Und sich einfach trauen. Sich trauen, vielleicht auch etwas ganz anderes zu machen."
Tipp: Die Bildungskarenz bietet eine gute Möglichkeit, um sich Zeit für eine Aus- oder Weiterbildung zu nehmen. Bis zu einem Jahr kann sich der Arbeitnehmer freistellen lassen, um sich auf sein Bildungsvorhaben zu konzentrieren. Das Weiterbildungsgeld ist so hoch wie das Arbeitslosengeld.