Seit dem 29. Jänner 2020 ist Karoline Edtstadler österreichische Bundesministerin für EU und Verfassung. Im Interview spricht sich nicht nur über ihr Amt und ihre Erfahrungen im EU-Parlament, sondern verrät auch Privates: über ihre Kindheit, ihren Familienhund, musikalische Vorlieben und ihren ebenfalls politisch interessierten Sohn.
Steckbrief
Karoline Edtstadler
Politikerin, ÖVP
abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg, Rechtsanwaltsergänzungsprüfung
Eltern: Vater Karl W. Edtstadler (früherer Salzburger Landtagsdirektor)
Familienstand: geschieden, war von 2022 bis April 2023 mit dem Unternehmer Marton Matura liiert (inzwischen getrennt)
Kinder: Sohn Leonhard Edtstadler
Karoline Edtstadler wurde am 28. März 1981 in Salzburg geboren und ist in Elixhausen bei Salzburg aufgewachsen. Ihre Karriere begann in der Justiz: 2008 bis 2011 war sie als Richterin am Landesgericht Salzburg und von 2011 bis 2014 als Richterin mit Dienstzuteilung zum Justizministerium tätig. Bis 2016 arbeitete Karoline Edtstadler als Referentin im Kabinett des damaligen Bundesministers für Justiz, Wolfgang Brandstetter. 2016 wurde sie zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg als Expertin entsandt. Von 2017 bis Mai 2019 war sie als Mitglied der Bundesregierung Kurz I. Staatssekretärin im Bundesministerium für Inneres. Danach war Edtstadler von Juli 2019 bis Jänner 2020 Mitglied des Europäischen Parlaments und Delegationsleiterin der Österreichischen Volkspartei. Am 7. Jänner 2020 wurde sie zunächst als Kanzleramtsministerin ohne Portefeuille angelobt. Seit dem 29. Jänner 2020 ist sie Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt.
Ihre berufliche Karriere hat in der Justiz begonnen. Inwieweit hatten Sie schon immer politische Ambitionen?
Ich komme aus einem sehr politischen Haushalt. Wir haben jeden Tag spätesten beim gemeinsamen Abendessen über Politik gesprochen. Auch mein Großvater, der Vater meiner Mutter, war sehr politisch interessiert und hat in seinem Auto ein Pickerl vom ehemaligen Salzburger Landeshauptmann Haslauer senior gehabt und ihn immer wieder zitiert. In diesem "Spirit", diesem politischen Umfeld, bin ich groß geworden. Mit Anfang 20 habe ich für die Gemeinderatswahl Henndorf am Wallersee kandidiert, meiner damaligen Heimatgemeinde. Entweder interessiert man sich dann total für Politik oder man findet es furchtbar schrecklich. Bei mir war Ersteres der Fall.
Warum hat es Sie beruflich letztlich aber doch zuerst zur Justiz hingezogen?
Die Politik habe ich auf Gemeindeebene neben meiner Ausbildung gemacht. Das war getrennt von meinem beruflichen Ausbildungsweg, der mich von der Rechtspraktikantin, über die Richteramtsanwärterin bis hin zur Richterin am Landesgericht in Salzburg geführt hat. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich Richteramtsanwärterin geworden bin, war ich ehrenamtlich Gemeindevertreterin. Das Amt habe ich dann an eine Kollegin übergeben, weil ich der Meinung bin, dass man das Richterdasein und eine politische Tätigkeit nicht gleichzeitig ausüben sollte. Das ist auch die Einstellung und Empfehlung der Richtervereinigung.
Wofür schlägt ihr Herz mehr?
Ich bin jemand, der, wenn er etwas tut, das zu 150 Prozent und mit Herzblut macht. Es ist sicherlich ein Vorteil, zu wissen, wie die Abläufe in der Justiz sind und wie Entscheidungsfindung dort vonstattengeht. Insofern freue ich mich, dass ich jetzt das Wissen aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit in die politische Arbeit einfließen lassen kann.
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Sie haben früher Oboe gespielt und die Trommel geschlagen und spielen Klavier. Was bedeutet Ihnen die Musik?
Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens. In der Mittelschule hatte ich eine Phase, in der ich überlegt habe, ob ich Musik oder Jus studiere. Ich bin froh, dass ich mich für den Jus-Weg entschieden habe, es ist eine gute Basis für vieles. Die Musik begleitet mich als Hobby und ich könnte es mir nicht ohne vorstellen.
Insgesamt sind Frauen als Entscheidungsträgerinnen in der Politik noch immer unterrepräsentiert - auch in Österreich. Wie haben Sie persönlich in Ihrem Werdegang die Rolle der Frau in der Politik erlebt?
Frauen sehen sich oft noch kritischer als das männliche Kollegen tun und sie brauchen mehr Zuspruch, um bei der Übernahme von Verantwortung, "Ja" zu sagen. Ich hatte das Glück, von Kindheit an gefördert worden zu sein. Und in meinem beruflichen Leben gab es Menschen - auch Männer -, die gesagt haben: "Mach das. Trau dich, du kannst das." Ich versuche das meinem Umfeld - mein Kabinett ist zum Beispiel ein sehr starkes weibliches Team - so weiterzugeben. Was ich durchaus als unangenehm empfinde ist, dass man als Frau oft auf Optisches reduziert wird. Es werden Vergleiche gezogen, die bei einem Mann niemals herangezogen werden würden. Als Frau wird man beispielsweise als böse oder als Eisprinzessin abgestempelt, weil man vielleicht einmal konzentriert schaut oder nicht jeden Tag gleich gut drauf ist. Bei einem Mann würde das ganz anders interpretiert werden. Da muss man schon eine dicke Haut entwickeln, sich auf die Füße stellen und das klarstellen.
Sie waren von Sommer 2019 bis Anfang 2020 Mitglied des Europäischen Parlaments. Wie unterscheidet sich die Arbeitsweise des EU-Parlaments von jener des österreichischen?
Das Europäische Parlament unterscheidet sich sehr stark in der Arbeitsweise. Weil man viel mehr auf Sachthemen hinarbeitet und Parteipolitik in den Hintergrund rückt. Man sucht sich in anderen Ländern und Fraktionen Gleichgesinnte. Das habe ich sehr geschätzt, ist aber gleichzeitig viel anstrengender. Man muss wirklich im ständigen Austausch bleiben, andere überzeugen und in verschiedene Gesprächsrunden hineingehen. Die Zeit in Brüssel war sehr intensiv, lehrreich und spannend in Hinblick auf die unterschiedlichen Nationen und Kulturen. Es waren extrem lange Arbeitstage, weil es wesentlich ist, dass man zusammenkommt. Und ehrlicherweise kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie das jetzt in Zeiten von Corona funktioniert, weil dieser Austausch sehr stark vom gemeinsamen, physischen Zusammentreffen lebt.
Wie viele Sprachen sprechen Sie?
Neben Englisch habe ich sehr bald angefangen, Französisch und Italienisch zu lernen. Bei Pressekonferenzen war es immer ein Vorteil die Fragen auch auf Spanisch zu verstehen, auch wenn ich die Sprache nicht fließend kann.
Sie sind Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt. Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Der Arbeitsalltag unterscheidet sich deutlich von der Zeit vor Corona. Gerade als Europaministerin bin ich in den ersten zweieinhalb Monaten wahnsinnig viel gereist, weil der persönliche Austausch durch nichts zu ersetzen ist. Dadurch konnte ich sehr starke persönliche Kontakte knüpfen, die Voraussetzung dafür sind, dass man Vertrauen schafft und schnell Dinge am Telefon klären kann. Jetzt ist es so, dass man irgendwie ständig erreichbar ist, und es gar keine Trennung mehr zu geben scheint zwischen Beruflichem und Privatem – so geht es derzeit wohl vielen Menschen im Home-Office. Ich habe auf europäischer Ebene viele Telefonate und Videokonferenzen, manchmal bis nach Mitternacht. Was jetzt oft wirklich abgeht, ist die Anreisezeit. Dass man im Flieger sitzt und sich die Unterlagen noch einmal durchschaut, vielleicht während dem Start einmal zehn Minuten entspannt. Momentan geht es ohne Unterbrechung durch und das geht schon auf die Substanz.
Was sind aktuell Ihre Kernthemen?
Es ist ein buntes Potpourri an Themen. Das reicht vom Kampf gegen Antisemitismus, über das Informationsfreiheitsgesetz, das gerade in Begutachtung ist, die EU-Zukunftskonferenz, den Aufbau- und Resilienzplan in der EU, bis hin zum Thema, wie es mit der Einführung des weisungsfreien Bundesstaatsanwaltes weitergeht. Ich fühle mich in all diesen Themen sehr wohl, weil ich damit früher schon zu tun hatte.
Inwieweit gibt es zum weisungsfreien Bundesstaatsanwalt bereits Neuigkeiten?
Ich habe bereits viele Gespräche mit Vertretern geführt, beispielsweise mit der Richtervereinigung und der Vereinigung österreichischer StaatsanwältInnen. Ich habe den Präsidenten des Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff, und den Präsidenten der StrafverteidigerInnen, Manfred Ainedter, getroffen. Wir haben sowohl darüber gesprochen, was sich jeder vorstellt, als auch darüber, was rote Linien sind. Dieses Wissen brauche ich, um in den Verhandlungen zu wissen, in welche Richtung es gehen kann. Inhaltlich kann ich zur Abgrenzung noch nichts sagen, weil wir noch am Beginn der Verhandlungen stehen.
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Welches Thema liegt Ihnen auf europäischer Ebene besonders am Herzen?
Das ist die Zukunftskonferenz. Europa ist aus meiner Sicht der Zukunftstreiber, wo wir die Kritik und die Erwartungen entsprechend bündeln müssen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir jetzt die Lehren aus der Krise ziehen müssen. Und wir müssen die Menschen miteinbeziehen und sie fragen, was sie sich von der Europäischen Union erwarten. Damit wir es so gestalten können, dass wir auch in 25 oder 50 Jahren noch eine Freude damit haben. Die Zukunftskonferenz ist ein Projekt, das ich bewusst seit Jänner letzten Jahres auf europäischer Ebene vorantreibe. Ich freue mich, dass es jetzt demnächst auch offiziell losgeht.
Sie sind in Elixhausen bei Salzburg geboren und aufgewachsen. Wie wichtig ist Ihnen Heimatverbundenheit?
Sehr wichtig. Meine Eltern leben nach wie vor in Elixhausen. Es gibt eine Familienhündin, ein schwarzer Labrador-Weimaraner-Mischling mit dem Namen "Lady". Sie freut sich immer, wenn ich vorbeikomme – und ich mich auch auf sie. Ich habe natürlich mit meinem Umfeld, den Nachbarn, intensive Kontakte. Normalerweise sieht man sich traditionell am Weihnachtsmarkt oder zu Ostern. Da gibt es das berühmte Eierscheiben über den Hügel bei den Nachbarn, da kommt man einfach zusammen, mit Gleichaltrigen, die dann schon die kleinen Kinder mithaben. Man hat eine lustige Zeit miteinander. Wegen Corona ist das alles derzeit nicht möglich, das geht mir sehr ab. Wenn es irgendwie geht und ich in der Gegend bin, schaue ich, dass ich auch in Zeiten wie diesen, zumindest meine Eltern besuche, nicht ohne mich vorher zu testen, und mit dem Hund und meiner Mutter eine Runde spazieren gehe.
Stadt oder Land - wo fühlen Sie sich wohler?
Ich bin am Land aufgewachsen und schätze die ganzen ländlichen Traditionen. Ich war überall mit dabei: von der ersten weiblichen Ministrantin, über den Kirchenchor und die Blasmusik - beim Marschieren habe ich dann nicht die Oboe gespielt, sondern die große Trommel geschlagen - bis hin zum Jugendverein. Aber ich muss sagen, dass ich sehr gerne in der Stadt lebe. In Wien ist es zum Glück bei mir der Fall, dass ich am Stadtrand wohne und nicht mitten drinnen. Es dauert nicht lange, bis ich mit dem Fahrrad im Wienerwald bin und auch das genießen kann.
Sie haben einen Sohn, Leonhard, sind mit 20 Jahren Mutter geworden. Wie sehr haben Sie Ihre Karriereschritte mit ihrem Sohn abgestimmt?
Ich habe mit meinem Sohn ein sehr enges Verhältnis. Wir haben die Dinge immer abgestimmt. Er hat auch davon profitiert, wenn ich in Wien oder in Straßburg war, weil er mich regelmäßig besucht und damit Weitblick bekommen hat. Er hat aber großteils sein Ding gemacht und gesagt: "Ich bin gern in Salzburg und ich komme dich besuchen." Dadurch hat er auch sehr früh und gut Fremdsprachen gelernt und ist mittlerweile ein weltgewandter, offener junger Mann mit mittlerweile fast 20 Jahren.
Ihr Sohn ist Obmannstellvertreter in der Jungen ÖVP (JVP) Elixhausen. Was würden Sie ihm sagen, wenn er auch den Wunsch hat, in die Politik zu gehen?
Er teilt sozusagen meine Geschichte ein bisschen, weil er auch in einem sehr politischen Haushalt aufgewachsen ist - nämlich mit mir (lacht). Deshalb interessiert er sich dafür und das finde ich grundsätzlich positiv. Ich unterstütze ihn in allem, was er tut. Er hat jetzt den Weg eingeschlagen, dass er beim Bundesheer ist und sich auch verpflichtet hat, nachdem er seine Lehre als Zimmerer abgeschlossen hatte. Für ihn steht momentan seine berufliche Ausbildung im Vordergrund.
Was hat sich in Ihrem Alltag durch die Pandemie besonders verändert?
Ich vermisse das Zusammentreffen mit Menschen sehr. Ich bin unter anderem auch deshalb so gerne in der Politik, weil ich einfach den Austausch mit Menschen mag. Man geht zu Stammtischen, trifft sich nach der Kirche zum Frühschoppen und tauscht sich aus. Das ist jetzt alles nicht möglich. Ich habe vor wenigen Tagen ein neues Wort gelernt, das heißt "Zoom Fatigue", also diese Müdigkeit, was "Zoom" betrifft. Trotzdem bin ich froh, dass es wenigstens diese Möglichkeit gibt. Daraus schöpft man auch die Kraft, noch mehr Kraft würde ich allerdings daraus schöpfen, wenn ich die Menschen persönlich sehen würde und zwar unabhängig davon, ob es kritische Worte gibt. Wenn man sich in die Augen schaut, kann man sich die Dinge ausreden, erreicht oft Verständnis.
Was entspannt Sie in stressigen Zeiten?
Was mich jeden Tag entspannt - und das mache ich ganz bewusst -, sind meine Fünf Tibeter (fünf spezielle Übungen für Körper und Geist, Anm. der Red.), verbunden mit einer Meditation. Das mache ich seit Jahren jeden Tag wie ein Uhrwerk, egal wann ich außer Haus muss. Ich habe im ersten Lockdown wieder begonnen, vermehrt Klavier zu spielen. Zuhause steht ein Pianino, das mit mir von Salzburg nach Wien, nach Straßburg und wieder nach Wien umgezogen ist. Seit wenigen Wochen steht für künftige Kulturveranstaltungen, sobald diese wieder möglich sind, auch ein Klavier im Bundeskanzleramt zur Verfügung. Und ab und zu, wenn am Abend die Termine vorbei sind und so gut wie alle Zuhörer aus dem Haus sind, spiele ich ein paar Stücke am Klavier. Der dritte Bereich, den ich nicht missen möchte, ist der Hund. Musik, meditieren und Hunde - dann bin ich wieder total im Lot.