Rund zehn Prozent der Männer in Österreich erkranken im Lauf ihres Lebens an einer Depression. Aktuell sind es rund 264.000. Die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher, denn die Krankheit gilt für viele Männer als Tabuthema. Auch "Cordula Grün"-Hitsänger Josh. kämpfte mit Depressionen. Auf seinem neuen Album "Reparatur" singt der Nummer-eins-Chartstar darüber. Erstmals spricht er über die große Hürde des Erkennens und seinen Weg zur Heilung.
Den Moment, in dem ihm erstmals alles zu viel wurde, kann Josh. nicht genau benennen. Vielleicht war es, als der mit Doppelplatin, Platin und Goldauszeichnungen in Deutschland und Österreich geehrte Sänger in der U-Bahn plötzlich weinen musste. Vielleicht war es, als er seinen Beruf an den Nagel hängen wollte und dachte: "Wenn es sich so anfühlt, will ich kein Musiker mehr sein." Auch an Komplimenten alter Freunde merkte Josh., wie sich seine Seele über die Jahre immer mehr sträubte: So schön sei das zu sehen, hörte er oft, dass er bei all dem Erfolg ganz der Alte bleiben und so gut damit umgehen könne. Konnte er nicht.
Wenige Tage vor dem Erscheinen seines dritten Albums sitzt der 37-Jährige im hellen Büro seines Managers im 15. Wiener Gemeindebezirk und erzählt von einem zähen Prozess. Eine Pause gehörte dazu und der Aufenthalt in einer Klinik, der maßgeblich für die Genesung war. Heute schreibt er abermals Hits mit dem ihm eigenen positiven, selbstironischen Ton, getragen vom Wiener Schmäh. Die Sprachverliebtheit und Leichtigkeit sind geblieben wie die verspielten Josh.-Melodien. Beides kommt mit mehr Überzeugung, Tiefgang und Selbstbewusstsein. "Reparatur" hat Josh. sein neues Werk genannt.
Das dritte Album
Fünf Jahre nach seinem Durchbruch mit "Cordula Grün" und dem Überwinden der Krankheit Depression packt Josh. die Herausforderung nicht an den Hörnern, er nimmt sie mit Schmäh und umarmt sie liebevoll. Auf "Reparatur" thematisiert er seine Reise aus der Krankheit mit Tiefgang und spannt gleichzeitig melodienstrotzend den Bogen zur selbstironischen Betrachtung des "Wieners" in "Martina" bis zur Metapher für Beziehungen in "Deutscher Kaffee". Ein Karrierehoch.
Konzerte
Dieses Jahr birgt die Chance auf intime Auftritte, 2024 hat Josh. die Wiener Stadthalle im Visier. Tickets sichern!
18.10.2023, Linz, Posthof
19.10.2023, Oberwaltersdorf, Eventzentrum
20.10.2023 Oberwart, Messehalle.
11. 27.10.2023, Dornbirn, Conrad Sohm
29.8.2024, Kärnten, Burgarena Finkenstein
7.11.2024, Wien, Stadhalle
Stolz auf die Siebzig-Stunden-Woche
"Es war eine große Hürde, zuzugeben, dass ich nicht gut mit dem Erfolg umgehen konnte und mir alles zu viel wurde", sagt Josh. Immerhin ging es um den als Traumberuf gehandelten Job des Popstars. Den Beruf, in dem man die Charts stürmt und sich von Fans in ausverkauften Konzerthallen bejubeln lässt. Jahrelang hat Josh., der als Johannes Sumpich in Wien-Alt Erlaa aufgewachsen ist, genau darauf hingearbeitet. Seit dem neunten Lebensjahr spielt er klassische Gitarre, als Jugendlicher in Schulbands, später studierte er Instrumental- und Gesangspädagogik und jobbte im IT-Bereich, um am Durchbruch als Musiker arbeiten zu können.
Josh. - mit Punkt geschrieben - war 32 Jahre alt, als sich das Dranbleiben bezahlt machte und er mit "Cordula Grün" 2018 einen Hit für die Popgeschichte schuf. Ab da schwor er sich, noch härter zu arbeiten, damit der Erfolg auch bleibt. "Wenn jemand glaubt, ich hätte nur einen Schuss, werde ich das nicht akzeptieren", sagte er 2019 im News-Interview und lobte seine Siebzig-Stunden-Wochen.
Sie sollten sich in Form von weiteren Hits wie "Vielleicht" oder "Expresso & Tschianti" bezahlt machen. Dazu verdiente er sich fünf Amadeus Austrian Music Awards und das Image des gern gesehenen Künstlers mit dem leiwanden Schmäh und der superprofessionellen Arbeitseinstellung.
"Endlich klappt, woran du immer geglaubt hast. Du spielst vor 600 Leuten. Und dann vor 1.000. Und plötzlich singen 20.000 deine Lieder. Ich habe in diesen Jahren viel Adrenalin im Körper gehabt, weil wöchentlich etwas passiert ist, das eine weitere Steigerung war und mich immer weiter gepusht hat", erinnert sich Josh an die Anfangszeit.
"Ich bin auf der Welle geschwommen und fand das total toll und habe mich bemüht. Ich bin nie zu spät gekommen. Ich habe kein Scheiß gemacht. Ich habe kein Geld auf dem Kopf gehaut, weil ich immer gedacht habe, es soll nicht vorbeigehen", beschreibt er. Vermutlich habe es damals schon begonnen, so Josh. Mit "es" meint er seinen Weg in die Krankheit Depression.
Von der Hürde des Sich-Eingestehens
Depressionen werden bei Männern seltener diagnostiziert als bei Frauen. Im Lauf des Lebens erkranken acht bis zwölf Prozent der Männer an einer Depression. Bei Frauen sind es 16 bis 22 Prozent. Am häufigsten zeigt sich die Erkrankung zwischen dem 35. und dem 45. Lebensjahr, wie eine repräsentative Studie an der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien 2017 ergeben hat.
Alleinlebende und Menschen im städtischen Gebiet sind häufiger betroffen, ebenso Menschen aus niedrigen sozialen Schichten. Von den rund 730.000 an Depression erkrankten Österreichern sind 264.000 Männer. Zum Teil ist diese geringere Zahl laut Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien, darauf zurückzuführen, dass Männer generell seltener ärztliche Hilfe suchen als Frauen.
"Auf der anderen Seite erleben wir bei Männern häufiger Susbtanzmissbrauch, meistens durch Alkohol, bis hin zur Abhängigkeit", führt Wancata aus. Und weiter: "Hier sprechen wir von 7,2 bei Männern und 2,7 bei den Frauen. Ob das bedeutet, dass Depressionen durch ausgiebigen Alkoholkonsum überdeckt werden, ob das eine Form der Selbstbehandlung ist, ist eine akademische Diskussion."
Alkohol: Eine akademische Diskussion
Bei Josh. klingt es retrospektiv weniger akademisch. "Ich habe mehr Termine gemacht, als ich wollte, aus der Angst heraus, dass es sonst vorbei ist. Die einzigen Momente, in denen ich entspannen konnte, waren am Abend, wenn ich mir zehn Spritzer reingeklescht habe", erzählt Josh.
"Alkohol ist ein Nervengift und hilft leider extrem gut, wenn man depressiv ist. Das hätte der Weg in ein ganz dunkles Land sein können, denn den einen Tag, an dem du Alkoholiker wirst, gibt es ja nicht." Eine Therapeutin formulierte es später so: "Johannes, die Kollegen rund um dich trinken, weil sie Spaß haben wollen. Du machst das, damit du es aushältst."
Die Folgen einer langfristig unbehandelten Erkrankung beschreibt sein deutscher Künstlerkollege, der Komiker und Talkshow-Gastgeber Kurt Krömer. "Als ich 2020 für acht Wochen in einer ambulanten Klinik war, um meine Depressionen behandeln zu lassen, hatte ich eine Erkenntnis: Der Alkohol war dazu dagewesen, die Depression wegzuschieben. Ich habe quasi mit Alkohol versucht, die Depression zu ertränken. Das hat auch wunderbar geklappt, nur dass ich dann auf einmal zwei Probleme hatte: Depression und Alkoholsucht", so Krömer im "Spiegel"-Bestseller aus dem Jahr 2022 "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression".
Der Bühnenstar und alleinerziehende Vater von vier Kindern war fast 30 Jahre lang an Depression erkrankt, bevor er sich die Krankheit eingestehen und dank Therapie heilen konnte.
Mit "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression" * schuf Krömer einen Bestseller und half dem Thema aus dem Tabu.
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression
Scham: Wenn Mann nichts mehr fühlt
Sehr direkt und ungeschönt -fast schnoddrig - beschreibt der zweifache Grimme-Preisträger Krömer ("Chez Krömer"), bürgerlich Alexander Bojcan, seine Erfahrungen. Er berichtet von Schlafstörungen, Alkoholmissbrauch, Impotenz, Panikattacken, dem ständigen Gefühl, nicht zu genügen, und der emotionalen Leere:
"Du bist mit deiner Freundin oder deinem Freund am Rumturteln, und die Freundin oder der Freund sagt: ,Ich liebe dich', und du merkst, das kommt gar nicht bei dir an. Für dich ist das einfach ein Spruch, als würde jemand sagen: ,Guck mal, da liegt ein Stück Holz.' Du hast keine Emotionen in dir."
Auf einer lange ersehnten Reise nach Rom mit einem Kumpel merkt Krömer, dass etwas arg in Schieflage ist: "Mein Kumpel hätte den ganzen Tag heulen können, weil alles so schön war für ihn, der hat jede Säule umarmt. Ich war einfach nur total emotionslos. Ich habe mich so geschämt", beschreibt er.
"Male Depression" zeigt sich anders
Experten wie Anna Maria Möller-Leimkühler vom Institut für Sozialwissenschaftliche Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München beschreiben das Erkennen der Krankheit gerade bei Männern als schwierigen Prozess, da sie depressive Zustände oft selbst nicht erkennen oder sie aufgrund der stärkeren Stigmatisierung der Krankheit bei Männern aus Scham auch vor sich selbst verheimlichen und etwa durch Alkoholkonsum selbst therapieren.
Herkömmliche Symptome wie Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit oder Schuldgefühle werden laut gängigen Geschlechterstereotypen leichter Frauen als dem emotional und psychisch anfälligeren Geschlecht zugeschrieben. Männer wehren sich zum einem -oft unterbewusst -gegen derartige Zuschreibungen, weil sie nicht zum gängigen männlichen Stereotyp von Stärke passen.
Zum anderen ergeben sich daraus krankheitsbedingt bei Männern spezifische Reaktionen, die nicht vordergründig mit Depression assoziiert werden. Das bestätigt Universitätsprofessor Wancata: "Bei Männern beobachten wir neben Selbstbehandlung durch Alkohol und andere Substanzen auch Aggressivität, erhöhtes Risikoverhalten, Reizbarkeit und Neigung zu exzessivem Verhalten betreffend Arbeit, Sport oder Sex."
Wie sehr böse Menschen
Kurt Krömer offenbart in seinem Buch auch, wie er "katastrophiert", so das Fachwort dafür, wenn man jeden Gedanken so lange weiterspinnen muss, bis man sich sogar ein einfaches Telefonat selbst schlechtredet. Die Freundin ruft nicht an? Liegt bestimmt daran, dass sie Angst vor dem Telefonat hat, weil sie Schluss machen will. "Man dreht die Problemschraube. Man baut ein Gedankenkonstrukt auf, das gar nichts mit der Realität zu tun hat", schreibt Krömer.
Nach außen funktioniert er gleichzeitig weiter: "In der Arbeit, wenn wir Besprechungen hatten, war ich fit, wenn mich Menschen auf der Straße angesprochen haben, habe ich den Kasper gemacht und sie zum Lachen gebracht, wenn Fans Bilder machen wollten, stand ich parat. Außerhalb des Hauses, außerhalb der Familie hat das irgendwie funktioniert. Aber wenn ich nach Hause kam, bin ich regelmäßig in mich zusammengefallen wie sehr böse Menschen, die nach außen hin den schönen Schein bewahren und zu anderen zuckersüß sind und dann nach Hause kommen und da alle zusammenscheißen oder eklig sind."
Tun, als sei alles in Ordnung
Josh. kennt diesen Zustand. Er beschreibt ihn in seiner neuen Single "Ich gehör repariert"."Und ich tu so, als wär alles in Ordnung, es ist alles in Ordnung. Und ich versuch so sehr, was and'res zu denken. Das zerstört mein Gehirn. Ich glaub, ich g'hör repariert. Ich weiß, irgendwas stimmt nicht mit mir", textet der 37-Jährige über seine Erfahrung mit der Depression.
Kurt Krömers Schilderungen spielten auf Josh.s Weg eine wichtige Rolle. Als das Buch des deutschen TV-Stars und Komikers 2022 erschien, hatte sich der Wiener Musikstar gerade in Gesprächstherapie begeben. Er nannte es Coaching, wie es auch Spitzensportler haben. Es war die Zeit, als er im ORF Juror der Casting-Show "Starmania" war, Konzerte spielte und für ein weiteres Album zugesagt hatte. Der Druck war groß.
"Dann habe ich gemerkt, dass ich sensibler werde, was das Außen betrifft. Wenn mich jemand gelobt hat, war das wie eine Droge. Für ein paar Stunden. Und dann schreibt jemand online unter einen Bericht im ORF ,Na singen kann der aber nicht', und ich sitze in der U-Bahn und weine. Derjenige wusste nicht, dass ich das im Musikstudium schon mal gehört habe. Er wusste nicht, dass mir meine Psyche damals vorgegaukelt hat, dass ich nichts kann."
Der Wendepunkt: ein Buch
Trotz zweimal Gesprächstherapie pro Woche ging es Josh. damals zunehmend schlechter. "Es wurde immer dunkler, und ich habe immer öfter gedacht: Ich will das nicht mehr machen. Lasst mich in Ruhe. Wenn dieser Zustand mit meinem Job einhergeht, dann will ich kündigen. Ich wollte keine Konzerte mehr spielen, weil ich gedacht habe, die Leute hassen mich. Was absurd war, denn die hatten gerade ein Ticket gekauft und waren wegen mir da."
Es war eine Phase des Rückzugs, in der er mit niemandem Kontakt wollte. Er löschte sozialen Kanäle wie Facebook, Instagram und WhatsApp. Er fühlte sich stumpf. Weder Sport noch Weinverkostung lösten beim leidenschaftlichen Radfahrer und Weinsammler Verlangen aus.
Diese Stumpfheit, nichts mehr zu wollen, außer sich irgendwo hinzulegen, findet sich im Text zur rasanten, bombastischen Hymne "Der Rausch vom Vermissen" wieder: "Mit wem red' ich über das? Vielleicht nehm' ich irgendwas, damit ich das aushalt'. Meine Gläser sind leer. Ich bin stumpf und geschliffen und ich spür' nicht mal mehr den Rausch vom Vermissen."
Nach sechs Jahren ohne längeren Urlaub war der Star unfähig, eine Auszeit zu planen. "Es hat mich überfordert, ein Flugticket zu kaufen. Ich wollte nicht auf Urlaub fahren, nicht allein und mit meiner Frau auch nicht", sagt Josh., der seit 2021 glücklich verheiratet ist.
Dann erschien Krömers Buch, und Josh. erkannte, wie sehr es Teile seines damaligen Zustands beschrieb: "Ich habe gedacht, der erzählt eins zu eins, wie ich mich fühle. Dadurch habe ich mir erst zugestanden, dass ich eine Krankheit habe. Denn scheinbar sagen und erleben viele Depressive in einem gewissen Stadium dasselbe." Es war der Wendepunkt, an dem der Sänger sich zu einem Klinikaufenthalt entschloss. Nach dieser Entscheidung ging es ihm, wie er sagt, das erste Mal seit Langem wieder gut.
Das bin nicht ich - das ist die Krankheit
Kurt Krömer, der deutsche TV-Talkstar litt 30 Jahre an der Krankheit
Dass es ein Schritt zur Heilung ist, Depression als Krankheit anzuerkennen, merken Betroffene, nachdem sie den Schritt gewagt haben. "Ich weiß heute, dass das die Depression war. Aber ich habe über Jahre gedacht, ich bin ein alter, verbitterter Mann, der im Leben nicht klarkommt, der verletzt worden ist und der einfach das letzte Arschloch ist", beschreibt Kurt Krömer, wie die Krankheit seinen Charakter verändert hat.
Josh. machte eine ähnliche Erfahrung: "Ich durfte erkennen, dass ich eine Krankheit hatte und kein melancholischer Mensch bin, der einfach gern traurig ist. Ich habe gemerkt, dass es nicht mein Job ist, der mich fertig macht, sondern Teile davon, mit denen ich nicht so gut umgehen kann."
Die Therapie lehrte ihn, mit diesen spezifischen Dingen umzugehen. Drei Wochen lang checkte der Wiener im Sommer 2022 in einer Klinik ein, um sich zielgerichtet helfen zu lassen. Die Diagnose war eine schwere Überlastungsdepression. Es half, dass der Musiker rechtzeitig die Notbremse gezogen hatte. So kam er mit drei Wochen intensiver Behandlung zur Genesung.
"Depressionen sind heute ausgezeichnet behandelbar, und die Erfolgsquote der Behandlung ist hoch", sagt Mediziner Wancata von der Universitätsklinik Wien. "Therapie und Medikamente spiele dabei zusammen: Je schwerer die Depression ist, desto wichtiger sind Medikamente. Je chronischer die Depression ist, desto wichtiger ist die Psychotherapie", so der Arzt.
Der richtige Zeitpunkt entscheidet
Ein Segen war es, weiß Josh. im Rückblick, dass er sich frühzeitig drei Wochen Auszeit in der Klinik gegeben hat, auch wenn wichtige Termine dafür abgesagt werden mussten. Sich diese Zeit zum notwendigen Zeitpunkt zu nehmen, war maßgeblich für die rasche Genesung.
"Eine wichtige psychologische Botschaft war für mich, dass man die antrainierten Rollen, die jeder von uns täglich lebt, viel länger durchhält, als einem guttut. Egal, ob man in einem Lager arbeitet oder einem Büro oder auf einer Bühne: Du kennst die Abläufe und hältst deshalb durch bis zum Crash. Aber dann ist die Genesung langwierig. Mein Glück war, mich frühzeitig rauszunehmen", analysiert Josh. den Heilungsprozess.
Auch leicht dosierte Medikamente zählten dazu. Sie zu nehmen, beschreibt er als Hürde: "Das wollte ich anfangs gar nicht, weil man falsche Vorstellungen von solchen Medikamenten hat, wenn man sich nie damit auseinandersetzt. Ich hatte ein modernes Präparat mit flutender Wirkung, das mir geholfen hat, ohne dass ich etwas Unangenehmes gespürt habe."
Mit dem Rad nach Rom
Im Prozess hat der Musiker Bewegungstherapie als "extrem unterstützend" erlebt. Ungewohnt sei dies gewesen, denn man bewegt sich nach Anleitung, geht wandern, wenn alle wandern gehen. "Doch es hat mir geholfen, weil ich mich jetzt viel bewusster bewege", sagt der Sänger. Statt wie früher nur extrem sportlich Rad zu fahren, wofür doch immer zu wenig Zeit war, hat er Radfahren nun in weniger anstrengenden Dosen in seinen Alltag integriert. Zum Interviewtermin kommt er mit dem Rad, und die Nächte, in denen er "mit dem kühlen Wind um die Nase" von einem Termin heimfährt, hat er lieben gelernt.
Auf dem Rad hat sich Josh. nach dem Aufenthalt in der Klinik auch einen lang gehegten Traum erfüllt: eine Tour von Wien nach Rom. Unterwegs seine Zeit mit der Krankheit zu verarbeiten, war die Idee. Es kam anders.
Josh: "Ich bin losgefahren, und nach zehn Tagen habe ich gedacht: Jetzt solltest du mal mit dem Nachdenken anfangen. Das ist doch eine heilende Sache, wenn du da alleine durch die toskanischen Berge fährst. Aber was mir wirklich geholfen hat, war, 14 Tage lang andere Sorgen zu haben: Wo könnte ich heute zum Mittagessen? Muss ich da vorne links abbiegen? Habe ich noch genug Wasser? Wo schlafe ich morgen? He, hier ist es richtig schön. Hier bleibe ich!"
Freiheit als Beziehungsprobe
Der Freiraum, den Menschen mit Depressionen für die Heilung brauchen, stellt Beziehungen auf die Probe. Josh. ist trotz mancher Lieder über unmögliche Liebe auf seinem neuen Album noch immer glücklich verheiratet. Im starken Uptempo-Hit "Nur nicht von Dir" klingt das so: "In der Nacht, wenn ich dann wach bin bis um vier, will ich weg von den Tabletten, Nikotin und all dem Zeug, nur nicht von dir".
Doch er weiß um die Herausforderung, die die Krankheit für eine Partnerschaft bedeutet. "Ich glaube, dass Beziehungen auch daran zugrunde gehen können, dass die Therapie manchmal erfordert, den Patienten sehr viel Freiraum zu geben und sie viel mit sich alleine zu lassen", sagt er. "Das kann auch eine räumliche Trennung auf Zeit bedeuten. Für Paare, die nie ohne einander fünf Tage auf Urlaub fahren, ist das eine Prüfung. Aber das kann wichtig sein, wenn man merkt, dass man für den anderen zu einer Belastung wird."
Gleichzeitig ermutigt Josh. Partner oder Freunde, den Betroffen zu einer Therapiesitzung zu begleiten um die Situation zu verstehen.
Das Verständnis durch das Umfeld unterstreicht auch Psychiater Wancata: "Zu oft hören Patienten vom Umfeld immer noch Dinge wie: ,Ich habe dir gesagt, der Job tut dir nicht gut' oder 'Die Frau ist nicht die Richtige.' Von so etwas wird niemand krank. Auch das Umfeld muss verstehen: Keiner hat hier Schuld. Das ist eine Krankheit. Diese Botschaft ist essenziell."
Höher, schneller, weiter? Nein danke!
Den einen Punkt der Heilung, an dem der Knoten platzt, den gibt es nicht. So beschreibt es Kurt Krömer in seinem Buch: "Du veränderst dich irgendwann. Irgendwann verändert sich deine Psyche, du lässt los, und die Depression wird weniger, die negativen Gedanken werden weniger, und du erreichst dann die Stufe neutral."
Bei Josh. wurden im Zuge dieses Prozesses wichtige Gedanken zur Leistungsgesellschaft zurechtgerückt. "Im Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, war es klar, dass du im Job so Gas gibst, dass du Abteilungsleiter wirst. Und dann der Chef von den Abteilungsleitern. Das typisch männliche ,höher, schneller, weiter' hat mich geprägt", erzählt er und betont, damit gar nicht die Eltern zu meinen.
"Ich habe als Kind generell oft mitbekommen, dass ich alles erreichen kann, dass ich noch mehr kann. Dass mir das Druck macht, hatte ich mir vor der Therapie nie eingestanden." Das eigene Wertesystem zu schärfen, ist ihm in Zuge der Genesung gelungen. Er habe sich erstmals mit der Frage beschäftigt, wie viel man überhaupt braucht zum Leben, erzählt der Sänger.
"Warum spielst du jedes Konzert, das dir angeboten wird? Warum nicht fünf Konzerte weniger?" lautete eine Schlüsselfrage der Therapeutin. Es ist ein Learning aus der Therapie, wenn Josh. heute im Zuge seiner Albumveröffentlichung einen Termin streicht. Er weiß, wann es ihm zu viel wird.
Dabei bleibt der Künstler demütig: "Es klingt leider viel einfacher, als es ist. Ich lerne noch immer, auf mich selbst aufzupassen, und gehe einmal in der Woche zur Therapie. Aber wenn ich dort sage: ,Scheiße, diese Woche ist mir überhaupt nichts gelungen!', weiß ich heute, auch das ist vollkommen in Ordnung."
Perfektionismus, Adieu! Im Fall des 37-jährigen Popstars, der 2024 zum ersten Mal die Wiener Stadthalle füllen wird, ist es ein Erfolgsrezept. Josh. hat seine Balance gefunden und sich mit seinen "Triggern" angefreundet. "Ich geh auch wieder am Naschmarkt einen Spritzer trinken. Heute. Weil nun eine anstrengende Woche beendet ist", sagt er. "Aber ich mach das nicht mehr dreimal pro Woche wie früher."
Die Meinung vom Sumpich Hans
Wenn Menschen wie Josh., dem beim Konzerten Tausende zujubeln, über ihre Erfahrung mit der Krankheit Depression sprechen, erachtet Mediziner Wancata dies als extrem sinnvoll: "Menschen, die ihre Erlebnisse schildern und beschreiben, was ihnen geholfen hat, helfen, das Thema vom Stigma zu befreien. Es hilft Betroffenen, zu erfahren, dass das professionelle Hilfe braucht wie ein gebrochenes Bein."
Diese Erfahrung teilt Josh.. Sie ist ein Grund für seine Offenheit. "Für so wichtig halte ich die Meinung von Sumpich Hans aus Wien Alt Erlaa nicht, dass ich sie jedem mitteilen muss. Aber es fällt mir auch nicht schwer, darüber zu sprechen. Ich habe selbst erlebt, wie mir die Offenheit von Kurt Krömer einen Anstoß gegeben hat. Und zwar richtig! Deshalb ist es für mich total okay, darüber zu sprechen, was war." Nichts davon möchte er als Ratschlag verstanden wissen.
Es klingt sehr nach Mit-sich-im-Reinen-Sein, wie Josh. das mitten im Promotion-Sturm um sein Album beschreibt. Sein drittes Werk ist ein Kleinod geworden, das aus einer überwundenen Krise besondere Strahlkraft erlangt hat.
Für Betroffene sind Allgemeinärzte gute Anlaufstellen, also jeder praktische Arzt. Man kann auch direkt zum Facharzt für Psychiatrie oder in jede psychiatrische Spitalsambulanz gehen. Männerberatungsstellen helfen und auch die Telefonseelsorge für Menschen in Lebenskrisen, vor allem in akuten Situationen unter der Rufnummer 142.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2023 erschienen.
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