Ihr Durchbruch als "Barbarella" war gleichzeitig ihre traumatischste Erfahrung. Aktivistin, Schauspielerin und Wiens Opernball-Star Jane Fonda engagiert sich für eine neue Sicht auf weibliche Sexualität im Film
Steckbrief Jane Fonda
Name: Jane Seymour Fonda
Geboren am: 21. Dezember 1937 in New York, USA
Sternzeichen: Schütze
Wohnort: Los Angeles, USA
Beruf: Schauspielerin, Aktivistin
Eltern: Henry Fonda (1905 - 1982) und Frances Ford Seymour (1908 - 1950)
Bruder: Peter Fonda (1940 - 2019)
Familienstand: geschieden von Ted Turner
Kinder: Tochter Vanessa Vadim aus 1. Ehe mit Roger Vadim, Sohn Troy Garity und Adoptivtochter Mary Williams aus 2. Ehe mit Tom Hayden
Am Drehort ist ein halbes Dutzend Menschen versammelt, manchmal auch mehr. Zum Großteil Männer. Sie sehen zu. Sie urteilen laut und geben Anweisungen. Die Frauen sind halbnackt oder nackt. Dann simulieren sie Sex mit jemandem, den sie kaum kennen. Währenddessen ist ihnen bewusst, dass alle Männer, die zusehen, sich nur eine Frage stellen: "Spielt sie auch sexy genug?"
So beschreiben weibliche Hollywoodstars in der neuen US-Dokumentation "Body Parts" ihre Erfahrungen beim Filmdreh von Sexszenen. Die Schilderungen gleichen einander. Immer wieder ist von Druck und Unterdrückung die Rede. "Es geht um Tapferkeit, um Verrat, um Entblößung", formuliert Jane Fonda in einem Instagram-Post.
Die 85-jährige Aktivistin ist einer der Stars, die in der Dokumentation "Body Parts" davon berichten, was es für Frauen bedeutet, sich auf der Leinwand auszuziehen. Sie erhebt ihre Stimme so laut, dass es scheint, sie wolle Hollywoods patriarchale Strukturen im Alleingang abschaffen. "Als jemand, der zu viel Zeit nackt auf der Leinwand verbracht hat, empfehle ich jedem diese Dokumentation. Sie zeigt die Entwicklung von Sex auf der Leinwand aus der Perspektive einer Frau", schreibt Jane Fonda fast flehentlich. Die traumatische Erfahrung beim Dreh des Films, der ihren Weltruhm begründet hat, ist vergeben. Aber nicht vergessen.
Barbarella "war schrecklich"
Es brauchte Überredungskunst, bis Jane Fonda vor 55 Jahren als Titelheldin des Sci-Fi-Erotikfilms "Barbarella" zusagte. Sie war damals 30 Jahre alt und hatte bereits große Filme abgeliefert. Mit Alain Delon hatte sie "Wie Raubkatzen" gedreht oder "Barfuß im Park" mit Robert Redford. Trotzdem war sie in der Filmbranche "die Tochter" des legendenhaft verehrten Charakterdarstellers Henry Fonda ("Die zwölf Geschworenen") geblieben. Das private Verhältnis der beiden nach dem Tod von Janes Mutter war schwierig. Deren Selbstmord habe ihn wortkarg und unzugänglich hinterlassen und sie zur gefühlt vaterlosen Halbwaise gemacht, beschreibt sie aktuell im "Hollywood Reporter".
Ihr Mann, der Regisseur Roger Vadim, wollte 1968 mit ihr als Barbarella eine Sensation erschaffen. Jane hatte das Drehbuch um die Erotikabenteuer einer Astronautin in einem Weltall der Zukunft nach dem Lesen entsorgt. Vadims Exfrau Brigitte Bardot hatte die Rolle abgelehnt. Doch Vadim überredete seine Frau, die Rolle anzunehmen. Er versprach ihr, ihre Nacktheit in der Striptease-Szene zu Beginn des Films mit Schriftzügen zu verdecken. Jane Fonda sagte zu. Sie wurde zum Star, trat aus dem Schatten des Vaters. Und erlebte Traumatisches.
"Es war eine Zeit in meinem Leben, in der es sich für mich besser anfühlte, zu tun, worum ich gebeten wurde. Vor allem, wenn es ein Mann war, der es sagte", beschreibt Jane Fonda in "Body Parts", wie es so weit kam. "Nein zu sagen hätte mich verletzlicher gemacht, als mich nackt zu zeigen."
Sie litt an einer körperdysmorphen Störung, einer übermäßigen Konzentration auf eingebildete oder leichte Defekte im eigenen Erscheinungsbild, was die Dreharbeiten der Nacktszene zusätzlich zur Qual machte. "Es war psychisch hart."
Sie erzählt, dass sie sich betrank, um die Szene drehen zu können. Tags darauf musste der Dreh wegen eines technischen Fehlers wiederholt werden, präzisiert sie gegenüber "Vanity Fair". Jane Fonda: "Ich musste alles, wovor ich solche Angst hatte, nochmal spielen. Mit einem Hangover."
Jane Fondas Neugeburt als Feministin
Das Endergebnis - in dem die Nacktheit nicht verdeckt war - hat sie damals schockiert. Als "notdürftig verhüllte männliche Masturbationsfantasie" bezeichnet der "Spiegel" das Werk heute. Und Jane Fonda erzählt von Männern, die ihr bis heute davon berichten, wie sie dank "Barbarella" ihre erste Erektion hatten. "Ich dachte irgendwann: Das nehme ich. Das ist eine gute Sache, für die man verantwortlich sein kann", sagt sie heute. Sie hat Frieden geschlossen mit dem, was "eine schreckliche Erfahrung" war. Und kämpft nun darum, dass es anderen nicht genauso ergehen muss. Nach "Barbarella" und der Geburt der gemeinsamen Tochter trennte sie sich von Roger Vadim, holte zwei Oscars im Charakterfach -"Klute" (1971) und "Coming Home"(1978) - und wurde zur lauten Antikriegsaktivistin, zur Kernkraft-Kritikerin, zur Leitfigur der Fitness-Bewegung, zur Klimaschützerin und Feministin. Ihrer Ehe mit dem Politiker Tom Hayden entstammt Sohn Troy Garity, dazu kam eine Adoptivtochter. Jane Fonda richtete ihr Leben neu aus, darauf, etwas zu bewegen.
Ihr Part im Dokumentarfilm "Body Parts" der Filmemacherinnen Kristy Guevara-Flanagan und Helen Hood Scheer scheint aktuell das Wichtigste ihrer vielen Engagements. In weiteren Interviews der Dokumentation, u. a. mit Rosanna Arquette, Rose McGowan und Emily Meade, zeigen Guevara-Flanagan und Hood Scheer die einseitig geprägte Geschichte von Nacktheit, Sexszenen und Frauenkörpern im US-Film. Ihre nüchtern erzählten Erlebnisse decken die Macht jener Bilder auf, die die Sicht der Welt auf Frauen prägen. "Filme lehrten uns über Jahrzehnte, wie wir einander küssen, wie wir Sex haben", sagt Guevara-Flanagan. "Aber sie zeigen uns nur die patriarchale, heterosexuelle männliche Fantasie dessen, was sexy ist."
Die These der Dokumentation macht deutlich, wie Film und Fernsehen jungen Menschen beibringen, wie Sex laufen soll. Sie zeigt, wie dies zum Problem wird, da Frauen im Film oft objektiviert und hypersexualisiert wurden und werden. Zu lang definierte eine rein männliche Sicht, wie Sex und Erotik auszusehen haben. Hätte Barbarella aus der Perspektive einer Regisseurin ähnlich ausgesehen und agiert? Wohl kaum.
So weit ginge die Entwicklung, erzählt ein für die nachträgliche Bildbearbeitung zuständiger Kollege, dass die Schauspielerinnen selbst darum bitten würden, kleinste Makel an ihrem Körper zu retuschieren, weil sie meinen, das müsse so sein.
"Body Parts" zeigt aber auch, was sich seit den vielen Enthüllungen im Zuge der #MeToo-Bewegung verändert hat. "Wenn alle dasselbe Fehlverhalten laut kritisieren, können wir doch gemeinsam etwas daran ändern", stellt Rose McGowan fest.
Sex am Set: Ein Beruf für Profis
Es funktioniert. Tatsächlich sind seit einigen Jahren Intimitätskoordinatoren in der Filmbranche tätig. Sie agieren als Berater und Choreografen bei intimen Szenen und vermitteln zwischen Regisseuren und Schauspielern. Mastermind, Bewegungscoachin Ita O'Brien, die den Beruf 2014 begründet hat, erklärt es so: "Sexszenen sollen auf dieselbe Weise behandelt werden wie Kampfszenen. In beiden Fällen werden physische Handlungen abgesprochen und choreografiert, um die Sicherheit der Handelnden zu gewähren."
Schauspielerin Emily Meade ("The Deuce") zählte zu den Ersten, die nach einem professionellen Beistand für Sexszenen fragten. Mittlerweile sind Intimitätskoordinatoren bei HBO üblich. Auch Netflix engagierte O'Brien als Beistand für "Sex Education". Bei der Verleihung der British Academy Television Awards 2021 dankte Schauspielerin Michaela Coel ("I May Destroy You") Intimitätskoordinatorin Ita O'Brien in ihrer Rede: "Sie sorgt für physische, emotionale und professionelle Grenzen, damit wir Werke über Ausbeutung, mangelnden Respekt und Machtmissbrauch schaffen können, ohne dabei ausgebeutet oder missbraucht zu werden."
Die Etablierung dieses Berufs und einer zertifizierten Ausbildung dafür ist eine direkte Folge des #Me-Too-Aufschreis. Filme haben vom neuen Berufsstand profitiert, weil deren Narrative durch die aktive Auseinandersetzung mit intimen Szenen an Tiefe gewinnen konnten. "Sex auf die schöne Art, nämlich ohne alles zu zeigen, ist ein wichtiger Teil einer gelungenen Erzählung", erklärt "Body Parts"-Regisseurin Guevara-Flanagan.
Jane Fonda begeistern die Veränderungen in der Filmbranche nach #MeToo. Intimitätskoordinatoren hätte sie sich einst auch gewünscht, sagt sie im "Hollywood Reporter"-Porträt. "Was für einen Unterschied es für mein Wohlbefinden gemacht hätte! Das habe ich verpasst. Es ist schwer, den Unterschied zu damals zu beschreiben. Wenn man die einzige Frau auf dem Set ist. Wirklich die einzige."
So entdeckte Jane Fonda ihren Stärken
Jane Fonda ist während der Großen Depression und des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen. In einem Haushalt und einer Ära, die sie lehrten, sich klein zu fühlen. Sie brauchte mehr als 50 Jahre, um ihre Stärken als Frau zu entdecken. Ihr feministisches Erwachen in den 1970er-Jahren war dafür maßgeblich. Vor allem ihre Zeit mit feministischen Heldinnen der Antikriegsbewegung hat sie geprägt. "Indem ich mich dem Feminismus und den Frauenfreundschaften geöffnet habe, bin ich ein viel gesünderer Mensch geworden", sagt sie heute. "Es hat mich gelehrt, keine Angst vor Verletzlichkeit zu haben, keine Angst zu haben, um Hilfe zu bitten, auch wenn es mir wirklich schwerfällt, das zu tun."
Jane Fonda und die Frauenfreundschaften
Es ist kein Zufall, dass Jane Fonda diese Frauenfreundschaften, die sie stärkten, nun mit Nachdruck auf die Leinwand bringt. Neben der Serie "Grace and Frankie" hat sie gleich drei Filme zum Thema am Start. Es ist ihre Art von feministischem Aktivismus. Die Komödie "80 for Brady" mit Jane Fonda, Sally Field, Rita Morenao und Lily Tomlin - zusammen kommen sie auf fünf Oscars und zwölf Oscar-Nominierungen - erzählt von vier Freundinnen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, ihren großen Quarterback-Favoriten, Tom Brady, live beim Superbowl zu erleben. Bloß fehlen ihnen die Eintrittskarten.
Dann folgt die Fortsetzung "Buchklub 2: Das nächste Kapitel" (Ö-Kinostart am 11.5.), in der Diane Keaton, Jane Fonda, Candice Bergen und Mary Steenburgen zur Junggesellinnen-Reise nach Italien aufbrechen. Mit "Grace and Frankie"-Kollegin Lily Tomlin spielt Jane Fonda dann noch in "Moving On", in dem sie nach einem zufälligen Wiedersehen bei einem Begräbnis gemeinsam späte Rache an ihrem einstigen Peiniger (Malcolm McDowell) üben.
Es sind humorvolle, positive Rollen, die die 85-Jährige in all ihrer Lebensfreude zeigen. "Nach all diesen Jahren bin ich endlich in mich selbst hineingewachsen", bringt Fonda es auf den Punkt.
Jane Fonda: Viel zu tun, nicht viel zu bereuen
Die Diagnose Non-Hodgkin-Lymphom, Blutkrebs, die Jane Fonda im Vorjahr erhielt, bleibt für die Aktivistin eine Randnotiz. Sie bestätigt, dass sie in Remission ist, nachdem sie Mitte November ihre letzte Chemotherapie abgeschlossen hat. Im US-TV-Format "Entertainment Tonight" gibt sie zu, viel über den Tod nachgedacht zu haben. Auf die ihr eigene Art. "Es ist schwer, richtig zu leben, wenn man nicht über den Tod nachdenkt. Er ist ein Teil des Lebens. Ich tue das seit 30 Jahren. Andere Kulturen haben nicht so viel Angst davor, über den Tod nachzudenken", sagt sie.
Es mag erklären, warum sie stolz darauf war, ihren 82. Geburtstag 2019 in Washington im Gefängnis verbracht zu haben. Damals war sie zum fünften Mal im Zuge ihrer Klimaproteste im Rahmen ihrer "Fire Drill Fridays"-Demonstrationen verhaftet worden. Sie wusste, dass die Klimabewegung dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt, und war froh darüber. Blickt man auf ihren dichten Terminplan, voll von Engagements für Feminismus und gegen Klimawandel sowie Terminen rund um ihre drei neuen Filme, liegt es nahe, die Betriebsamkeit zu hinterfragen. Jane Fonda räumt im "Hollywood Reporter"-Porträt ein, nach der Krebsdiagnose ans Aufhören gedacht zu haben. "Immerhin bin ich 85. Aber die Plattformen, die ich erschaffe, machen einen Unterschied. Sie motivieren Menschen, die sich sonst vielleicht nicht für Klimaschutz und Feminismus interessiert hätten."
Jane Fonda will sichergehen, dass die Dinge erledigt sind, die sie erledigen möchte, damit es nicht viel zu bereuen gibt, wenn die Zeit gekommen ist.
Ihre Signature-Rolle Barbarella steht vor der Neuverfilmung. Jungstar Sydney Sweeney ("Euphoria") soll für die erotische Allreise vor die Kamera. "Ich versuche mir gar nicht vorzustellen, wie das endet", sagt Fonda dazu. "Ich hatte ursprünglich eine Idee, die der Produzent Dino De Laurentiis nicht hören wollte. Es hätte ein feministischer Film werden können."
Sweeney will das Remake mit ihrer eigenen Produktionsfirma Fifty-Fifty Films ins Kino bringen und den Charakter neu entwickeln. Sie wird niemanden fragen müssen, ob am Set eine Intimitätskoordinatorin dabei sein darf.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 05/2023 erschienen.