Europas modernstes Zentrum für Robotik-Therapie ist der jüngste Coup von Unternehmer Gregor Demblin. Seit seinem Unfall hat er gelernt, Neinsagern nicht zu glauben und Grenzen wie Hürden zu nehmen. Daraus formte er zwei Säulen seines Mindsets zum Erfolg
- Steckbrief Gregor Demblin
- Gregor Demblin: Im Exoskelett zum neuen Business
- Hightech-Geräte um 1,5 Millionen
- Chancen für Schlaganfallpatienten
- Gregor Demblin: Neins haben ihn geprägt
- Abenteuer sammeln rund um die Welt
- Ein Business gegen die Grenzen im Kopf
- Greglor Demblin: Inklusion muss sich lohnen
- Keine Angst vor Veränderung
- Vision: Leben mit Exoskelett statt Rollstuhl
Steckbrief Gregor Demblin
Name: Gregor Demblin
Geboren: 1977 in Wien
Wohnt in: Niederösterreich
Beruf: Unternehmer und Gründer
Familienstand: verheiratet
Kinder: vier Söhne
Gregor Demblin beugt sich keinem Nein. "Jetzt das Gewicht verlagern. Auf den linken Fuß. Auf den rechten Fuß." So beschreibt der 46-jährige Unternehmer seine Gedanken während der ersten Schritte im Exoskelett nach über zwei Jahrzehnten im Rollstuhl. "Plötzlich bin ich gegangen", erinnert er sich. Die Faszination dieses Moments ist ungebrochen, das verrät die Freude in seinen Augen. "Hätte man mich in einem Raumschiff auf den Mond geschickt, wäre es nicht aufregender gewesen", sagt er.
Das erste Nein hörte der Vielfach-Unternehmer und vierfache Familienvater mit 18 Jahren. Nach einem Badeunfall sagten die Ärzte, er werde nie wieder gehen. Diagnose: Querschnittslähmung. Nach einem Jahr intensiven Rehabilitationstrainings wiederholte sich die negative ärztliche Feststellung. Eine abermals niederschmetternde Nachricht.
Das nächste Nein zum Thema Gehen folgte, als Gregor Demblin Anfang 30 war und im Internet das Exoskelett entdeckte. Dabei handelt es sich um einen Robotik-Anzug, der es Rollstuhlfahrern ermöglicht, Schritte zu tun. Man brauche eine gute Oberkörperstabilität und eine Restfunktion in den Beinen, die Demblin jedoch fehlen, erzählt er, warum eine Nutzung der damals drei in Österreich verfügbaren Exoskelette für ihn aus medizinischer Sicht nicht infrage kam.
Gregor Demblin: Im Exoskelett zum neuen Business
Es war 22 Jahre nach dem ersten Nein, als Gregor Demblin 2017 im Exoskelett auf der Terrasse seines Hauses in Niederösterreich allem Widerspruch zum Trotz einen Fuß vor den anderen setzte. Er schaffte 400 Schritte und hatte ein weiteres Nein aus seiner Realität verbannt.
"Im Nachhinein ist es ein kleines Wunder, wie stur ich damals geblieben bin", sagt er. "Ich wollte nicht aufgeben, bevor ich es nicht selbst probiert habe." Die wenige Minuten dauernde Erfahrung war auf vielen Ebenen bahnbrechend und von nachhaltigem Erfolg.
"Nach 15 Jahren im Rollstuhl vergisst man, wie groß man eigentlich ist, und wie die Welt von oben aussieht," erzählt er von seinem ersten Training im Exoskelett. "Es war irrsinnig anstrengend für den Kreislauf und die Muskeln haben wehgetan, weil der Körper die Bewegung, für die er gemacht ist, nicht mehr gewöhnt war. Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie gut ich plötzlich Luft bekomme und wie sich Schmerzen lockern, weil mein Körper aufgerichtet ist. Ich hatte das Gefühl, alles rutscht an die richtige Stelle und funktioniert wieder, wie es soll."
Zwei Trainings im Exoskelett pro Woche zählen heute zu Demblins Alltag und haben seinen allgemeinen Gesundheitszustand maßgeblich verbessert. Er muss kaum mehr Medikamente nehmen, Blasenentzündungen und offene Stellen am Körper haben sich vehement reduziert. Dazu beschreibt Demblin, wie viel leistungsfähiger und positiver er sich nach jedem Training fühle, denn der Effekt nutze sich nicht ab. Noch im Jahr seines Debüts startete Demblin im Exoskelett beim Red Bull Wings for Life Run. Ein Jahr danach hob der Unternehmer seine Erfahrung auf Geschäftsniveau.
Hightech-Geräte um 1,5 Millionen
Was er dadurch gewonnen hatte, wollte er auch anderen zugänglich machen. Gemeinsam mit Dennis Veit, dem Physiotherapeuten und Ekso-Therapie-Spezialist, der Demblin das Gerät erstmals ins Haus gebracht hatte, und mit IT-Jurist und Telekom-Manager Michael Seitlinger gründete Gregor Demblin das MedTech-Unternehmen und Therapiezentrum tech2people.
Menschen mit Schlaganfällen, Multipler Sklerose und traumatischer Querschnittslähmung erhalten dort individuelle, effektive Therapie ohne stationären Aufenthalt. Am neuen Standort in der Seestadt nur wenige hundert Meter von der U-Bahn-Station entfernt, residiert tech2people seit November im Leed-Gold zertifizierten Holzhochhaus HoHo Wien. Der auf Nachhaltigkeit bedachte Demblin ist besonders stolz darauf, dass seiner Krankenanstalt dies mit Unterstützung der ViennaEstate trotz der hohen Auflagen gelungen ist.
Mit mehr als 20 der weltweit besten robotischen Geräte im Wert von rund 1,5 Millionen Euro und einem neunköpfigen physiotherapeutischen Team macht der Visionär dort seinen Traum vom europaweit modernsten, ambulanten Zentrum für robotikgestützte Physiotherapie wahr.
Chancen für Schlaganfallpatienten
Als Basis für Demblins verbesserten Gesundheitszustand in Folge der robotikgestützten Physiotherapie erklärt der Spezialist für neurologische Rehabilitation, Priv.-Doz. Dr. Peter Lackner, die Effektivität der hohen Wiederholungsrate der Übungen in kurzer Zeit und das punktgenaue Individualtraining.
"Bei konventioneller Physiotherapie können rund 50 bis 250 Schritte getätigt werden. Im Lokomat kann man in einer Trainingseinheit bis zu 2.000 Schritte absolvieren. Durch die hohe Wiederholungsrate wird die Neuroplastizität, die Bildung neuer Nervenbahnen, angeregt. Die Reduktion von Spastik bei Querschnittslähmung, ein reduzierter Bedarf an Medikamenten oder die Verringerung von Folgeerkrankungen wie Osteoporose sind andere positive Aspekte", so Lackner. Der Leiter des Karl-Landsteiner Instituts für Akutneurologische Forschung fungiert bei tech2people als medizinischer Berater und betont auch, dass sich die Chance, nach einem Schlaganfall wieder gehen zu können, durch die Hightech-Therapie verdoppelt, wenn Patienten diese gepaart mit klassischer Physiotherapie erhalten.
Gregor Demblin: Neins haben ihn geprägt
Es waren die vielen Neins, sagt Demblin, die ihm bei der Umsetzung seiner Vision geholfen haben. Die Zeit nach seinem Unfall war davon geprägt und auch von depressiven Episoden. In seinem Buch "Wie ich lernte, Plan B zu lieben", beschreibt er, wie er auf der Intensivstation den Beatmungsschlauch durchbiss, damit "es wieder schwarz würde".
Einen Ausflug auf die Terrasse des Krankenhauses analysiert er rückblickend als lebensverändernd. Als er dort sah, wie sich die Welt draußen weiter bewegt, sei ihm klar geworden: "Ich habe nur dieses eine Leben, wenn ich jetzt im Rollstuhl sitze, muss ich versuchen, alles zu erleben, was möglich ist. Anfangs denkst du, das wird wenig sein, du wirst auf viel verzichten müssen. Daraus ist ein Grenzgang entstanden. Sehen, was möglich ist", sagt Demblin.
Ohne den genauen Weg zu kennen, begann er es mit jedem Nein aufzunehmen, das ihm begegnete. Anekdoten über Fremde, die dem Rollstuhlfahrer auf der Straße mitleidig über den Kopf streichelten und ihm eine Münze schenkten oder seinen Begleiter fragten, ob Demblin denn fähig sei zu unterschreiben, gehörten zum Weg. "Ich habe viele Tiefpunkte gehabt", sagt der Gründer. "Aber ich habe meinen Weg immer als Kurve betrachtet: Man weiß nicht, wo sie hinführt, aber es ist spannend, genau das herauszufinden, indem man weitergeht."
Abenteuer sammeln rund um die Welt
Aus der Erkenntnis, dass ihm keine Leistung mehr zugetraut wurde, wuchs zuerst Unmut, später Mut. "Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz gehört habe: Das kann nicht funktionieren. Wer es nicht gesagt hat, hat es gedacht", erzählt Demblin. "Hätte ich alles geglaubt, wie 'Der Rollstuhl passt nicht ins Taxi', wäre ich in der Früh nicht aus dem Bett gekommen."
Demblin begann intensiv Erfahrungen zu sammeln: beim Fallschirmspringen, beim Tauchen auf der Karibikinsel Utila, beim Städtetrip nach New York. Für seine Diplomarbeit zum Abschluss des Philosophiestudiums trainierte er drei Monate lang eine Sprachsoftware, bis er damit optimal arbeiten konnte.
"Es ist vermutlich ein Training in Stärke oder Resilienz, das ich durch den Rollstuhl bekommen habe. Unternehmerisch war das sicher von Vorteil", erklärt er seinen Mut und seine Energie. Demblin: "Mein Mindset ist, nicht hinzuhören, wenn jemand sagt, das geht nicht. Das habe ich seit dem Unfall gelernt. Und ich habe eine Begabung, mir die Welt vorzustellen, wie sie sein könnte, und daran zu glauben, dass dies Realität wird, wenn man den ersten Schritt setzt."
Ein Business gegen die Grenzen im Kopf
Je erstaunter seine Umwelt sich darüber zeigte, was er alles schafft, umso klarer wurde dem jungen Mann, dass die größten Hürden nicht die Stufen am Gehsteig darstellen, sondern die Barrieren im Kopf des Gegenübers.
Der Erfolg seiner ersten Firmengründung basiert darauf, genau diese Barrieren aus dem Weg zu räumen. Die Jobplattform Career Moves, die heute Teil der MyAbility Social Enterprise GmbH ist, machte Demblin 2009 zum Unternehmer, der Firmen hilft, Jobsuchende mit Behinderung als Erfolgsfaktor zu erkennen, statt sie aus einem Wohltätigkeitsgedanken heraus einzustellen. MyAbility ist heute eine Full-Service-Unternehmensberatung rund um die Themen Inklusion und Disability-Management mit 40 Mitarbeitern und die größte Jobplattform für Menschen mit Behinderung im deutschsprachigen Raum.
Die Vision des Social Enterprise zeigt sich klar beim Thema inklusive Sprache. Demblin vertritt den Standpunkt, nicht das Wort "Behinderung" sei das Problem, sondern das, was sich die Gesellschaft darunter vorstellt. Alternative Bezeichnung wie "Handicap" oder "besondere Bedürfnisse" hält er für überflüssig. Umschreibungen würden das Stigma des Wortes "Behinderung" lediglich reproduzieren, meint er.
Wichtiger sind ihm die messbaren Erfolge, die er in der Zusammenarbeit mit Dutzenden namhaften Unternehmen wie Bank Austria oder Rewe auf deren Weg zur inklusiven Unternehmenskultur bereits feiern konnte.
Neues Zentrum:
Hightech-Therapie als Chance
tech2people heißt das Zentrum für robotikgestützte Physiotherapie von Gründer Gregor Demblin. Im Fokus stehen ambulante Therapien bei den Krankheitsbildern Schlaganfall, Mulitple Sklerose und traumatische Querschnittslähmung. Mit Unterstützung von Uniqua und Ernst Young kann an über 20 robotischen Geräten im Wert von 1,5 Millionen Euro mit neunköpfigem Physiotherapie-Team trainiert werden. Dank der Sponsoren sind Therapien um 135 Euro zu haben (wovon 55 Euro die Krankenkasse ersetzt). Betroffenen soll so rasch zur funktionalen Selbstständigkeit und Reintegration in den Alltag geholfen werden. Das High Tech Zentrum wurde im nach Leeds-Gold-Standard zertifiziertem, nachhaltigem Holzhochaus Ho Ho Wien errichtet. Infos: www.tech2people.at
Greglor Demblin: Inklusion muss sich lohnen
"Den Ansatz staatlicher Förderungen für Arbeitnehmer mit Behinderung fand ich wahnsinnig diskriminierend und falsch, denn niemand arbeitet schlechter, weil er im Rollstuhl sitzt. Inklusion kann nur Alltag werden, wenn Unternehmen verstehen, dass sie sich wirtschaftlich lohnt", erklärt Demblin seinen Ansatz.
Er vermittelt Unternehmen Fakten über die weltweit 15 Prozent der Bevölkerung, die mit einer Behinderung leben, allein im deutschsprachigen Raum 15,6 Millionen Menschen. Wer keine barrierefreien Arbeitsplätze anbietet, schließt diesen Prozentsatz vom Recruiting aus. Weiters zählen zu diesen 15 Prozent, so Demblin, auch bestehende Mitarbeiter, die größtenteils nicht sichtbare Einschränkungen haben und ohne Unterstützung durch ein inklusives Klima im Unternehmen viel Energie verwenden müssen, um diese zu kompensieren. "Ohne interne Maßnahmen wirkt sich dies massiv auf die Leistungsfähigkeit aus," so Demblin.
Zudem verzichten nicht-barrierefreie Geschäfte oder Homepages auf 15 Prozent potenzieller Kunden, in Deutschland eine Kaufkraft im zweistelligen Milliardenbereich. Das Umdenken funktioniert. 2020 lag die MyAbility-Bilanz bei 30.000 Jobangeboten, 6.000 Führungskräfteschulungen, 200 Strategieprojekte und 3.000 barrierefreie Filialen.
Keine Angst vor Veränderung
Als starke Triebfeder zum Erfolg begleitete den Gründer von Anfang an der unbedingte Wille zur Veränderung. "Es gab Umstände, mit denen ich mich in meinem Leben nicht wohlgefühlt hätte, hätte ich sie akzeptiert. Es war klar: Entweder ich verändere etwas, oder ich bleibe zu Hause", erinnert sich Demblin.
Wirtschaftlich maßgeblich war damals Demblins Aufnahme als Ashoka Fellow durch die US-Non-Profit-Organisation Ashoka, die bahnbrechende Social Entrepreneurs auf ihrem Weg unterstützt. Menschen, "die mit ihrem unternehmerischen Geist die dringlichsten Probleme der Gesellschaft lösen", werden gefördert, auch Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus und Wikipedia Gründer Jimmy Wales zählen dazu.
Vision: Leben mit Exoskelett statt Rollstuhl
Blickt Gregor Demblin in die Zukunft, wird die Vision deutlich, dass das Exoskelett den Rollstuhl ersetzen wird. "Ich bin davon überzeugt, dass dies passiert. Vermutlich kann man es sogar unter der Kleidung tragen. Eine realistische Schätzung wäre, dass Geräte statt wie jetzt in kleinen Stückzahlen um 150.000 Euro, irgendwann um 25.000 Euro zu haben sein könnten," sagt er und nennt als Ziel einen Zeitraum von zehn Jahren. "Dann will ich mit meinen Kindern auf einen Berg gehen. Dieses Bild habe ich im Kopf."
Fragt man Demblin mit Blick auf seine bahnbrechenden Erfolge nach einer Einordnung in Bezug auf seinen Unfall, sagt er, sie seien sowohl "trotzdem" als auch "deshalb" zu sehen. "Inhaltlich habe ich diesen Weg deshalb genommen, aber ganz oft war er auch ein Trotzdem. Nicht mehr ernst genommen zu werden, wurde zum Antrieb, meine Stärke zeigen zu wollen. Dafür bin ich oft über meine gesundheitlichen Grenzen gegangen, krank in die Arbeit. Das hat sich zum Glück relativiert", stellt er zufrieden fest.
Seine Lust auf Abenteuer ist ungebremst. Demnächst steht ein Ausflug in einem Segelflugzeug am Programm. Demblin möchte unbedingt einen Looping mitfliegen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2023 erschienen.