Immer noch wird Österreichs Politik stark von Männern dominiert, ob auf Gemeindeebene oder in der Spitzenpolitik - und eher von älteren als jüngeren. Doch was bedeutet das für junge Frauen, die den Weg bis in hohe Ämter gegangen sind? Wie schwer war – und ist – es? Julia Herr (SPÖ), Sigrid Maurer (Grüne), Claudia Gamon (NEOS) und Laura Sachslehner (ÖVP) berichten von ihren Erfahrungen.
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Vor 102 Jahren zogen die ersten acht Frauen in das österreichische Parlament ein, heute sind 72 der 183 Abgeordneten weiblich, also nicht ganz 40 Prozent. Auch nach 100 Jahren gibt es also noch keine Parität. Ebenso bei der Altersverteilung. Fast die Hälfte der Abgeordneten ist über 50 Jahre alt, weit mehr über 40. Rein zahlenmäßig stehen damit junge Frauen beinahe auf verlorenem Posten. Es gibt nur sechs Frauen unter 30 Jahren und 18 Frauen unter 40 Jahren.
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Herr: "Das geht mir schon seit Jahren auf die Nerven"
Eine von diesen sechs ganz jungen Frauen im Hohen Haus ist Julia Herr. Sie sitzt für die SPÖ im Parlament, der Partei mit dem zweithöchsten Frauenanteil (47 Prozent der roten Abgeordneten sind weiblich, davor liegen nur die Grünen mit 57 Prozent). Die 28-Jährige hat sich ihren Weg in die Spitzenpolitik hart erarbeitet. Und dies als Frau auch müssen: „Die Herausforderung, dass man sich als junge Frau oft erst beweisen muss, während man es einem jungen Mann zutraut, habe ich durchgängig gemacht“, erzählt sie im Gespräch mit News.at. Dieses "sich beweisen müssen" nehme zwar ab, da man die ehemalige Vorsitzende der Sozialistischen Jungen inzwischen kenne, aber mit einem gewissen Vorurteil werde sie trotzdem noch ab und an konfrontiert, dass es zu durchbrechen gelte. „Das geht mir schon seit zehn Jahren auf die Nerven“, so Herr, die in ihren Anfangsjahren als Teilnehmerin an TV-Diskussionen des öfteren zunächst automatisch zum Publikum geführt wurde.
Auch Claudia Gamon, EU-Abgeordnete der NEOS, weiß, wie es ist, sich immer wieder beweisen zu müssen. „In meinen ersten Sitzungen im Nationalrat, als noch viele ‚alte Kapazunder“ drin saßen, merkte ich, dass die einfach keine Erwartungen - und wenn doch, dann negative - an junge Frauen hatten. Die glaubten, man kann nichts“, erzählt die 31-Jährige. Seither habe sich zwar enorm viel verändert und im EU-Parlament, wo Gamon inzwischen tätig ist, werde aufgrund der viel höheren Diversität ohnehin anders miteinander umgegangen, dennoch wiederhole sich „die Geschichte mit den älteren Abgeordneten aus meinen ersten Ausschüssen immer wieder“. Das sieht sie in der Art und Weise, wie mit ihr gesprochen werde; "von einer Generation von Männern, die glaubt, es ist charmant, Frauen auf eine gewisse Art anzusprechen – die in Wirklichkeit aber ausschließlich sexistisch ist".
Als Frau anders wahrgenommen
Als „manchmal brutal“ beschreibt auch Laura Sachslehner das politische Geschäft. Die 26-jährige Wiener Gemeinderätin, stellvertretende Landesgeschäftsführerin der Wiener ÖVP und seit Dezember 2021 Generalsekretärin der ÖVP, die erst in ihrer Studentenzeit politisiert wurde („Dass ich mich jetzt politisch für die Volkspartei engagiere, hätte mein 16-jähriges Ich wahrscheinlich nur schwer verkraftet“), fühlte sich zwar stets „vor allem auch von Männern“ gefördert. Dennoch fühlt auch sie, dass man als junge Frau einfach anders wahrgenommen werde. Gerade in den Anfängen ihrer politischen Kommunikation sei sie Kommentaren wie „Was haben Sie überhaupt in Ihrem Leben gemacht? Können Sie uns überhaupt was erzählen?“ ausgesetzt gewesen. Da stelle man sich natürlich die Frage, "ob das eigene Wort genauso viel Gewicht hat wie das der männlichen Kollegen".
Ist das "jung" oder das "Frau sein" das Problem?
Hat dies mit dem Alter oder mit dem Geschlecht zu tun? Für Gamon mit beidem, zwar sei es für junge Menschen in der Politik grundsätzlich schwierig, aber für junge Frau eben noch schwieriger. Für Herr liegt es vor allem am Frau sein.
Auch Sigrid Maurer, inzwischen Klubobfrau der Grünen im Parlament, fühlte sich, als sie jünger war, weniger ernst genommen als ihre männlichen Kollegen. „Bis ich auf den Tisch gehaut habe“, sagt die heute selbstbewusste 35-Jährige. Auf den Tisch gehaut und zwar sehr laut hat Maurer auch bei einem anderen Problem mit dem junge Politikerinnen immer konfrontiert sind: Hass im Netz. Laut einer Umfrage eines ARD-Politmagazins aus dem Jahr 2019 etwa sind fast 90 Prozent aller – deutschen - weiblichen Abgeordneten mit sogenannter „Hate Speech“ konfrontiert. So auch Maurer, die nach einer Klage jenes Mannes von dem sie beschimpft wurde zu einer Vorreiterin im Kampf gegen Hass im Netz wurde. Auch ihre Nationalratskollegin Herr brachte schon das ein oder andere Schreiben zur Polizei. Was drinnen stand? „Es sind fast immer sexualisierte Gewaltandrohungen“, erklärt die rote Funktionärin und fügt hinzu: „Keiner meiner männlichen Vorgänger als SJ-Vorsitzender hat solche Briefe je bekommen. Das trifft nur Frauen.“
Ein Panzer gegen den Hass
Doch natürlich landet nicht jede Beschimpfung bei der Polizei. Vielmehr haben alle vier Frauen gelernt, sich eine dicke Haut, einen Panzer, zulegen und die Flut an unpassenden Aussagen zu ignorieren, seien es Kommentare zum Aussehen (Sachslehner: „Ich habe rote Haare, das ist immer wieder Thema“) oder sonstige Untergriffe (Gamon: „Ich bekomme durchaus das ein oder andere Dick Pic geschickt“). Und sie haben sich daran gewöhnt: „Ich wäre fast überrascht, wenn ich bei manchen Beiträgen keine Hass-Kommentare bekommen würde, weil das ist fast schon ‚State of the Art‘“ so Sachslehner mit einem Hauch von Resignation.
Doch mag der Panzer die jungen Politikerinnen zwar selbst bis zu einem gewissen Grad vor Verletzungen schützen, den Menschen in deren nahem Umfeld hilft er aber nicht. „Meiner Mutter macht das natürlich Angst“, erzählt etwa Julia Herr und auch Laura Sachslehner weiß, dass manche Kommentare ihre Eltern mitnehmen – viel mehr als sie selbst.
"Bestehender Frauenhass in der Gesellschaft"
Das Phänomen dieses enormen Online-Hasses, das, laut Gamons Erfahrung prononciert linke Frauenpolitikerinnen meist viel schlimmer treffe, sage „viel über den bestehenden Frauenhass in der Gesellschaft aus.“ Ein Phänomen, das tief sitze - wenn auch hauptsächlich im virtuellen Raum, denn laut Maurer sei dieser Hass „im analogen Alltag zum Glück nicht in der Form vorhanden.“
Politik "überhaupt nicht familienfreundlich"
Trotzdem gibt es in der Politik auch abseits der Digitalwelt genügend Aufholbedarf in Sachen Gleichstellung, denn die sich hartnäckig haltenden Rollenbilder finden sich natürlich auch in der Politik wieder, die ja stets ein Spiegel der Gesellschaft sei, so Herr. Zum Beispiel beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So ist es für Herr zwar „unglaublich schön“, dass hier Veränderung quasi miterlebt werden kann, etwa durch die Ministerinnen Elisabeth Köstinger, Alma Zadic oder NEOS-Obfrau Beate Meinl Reisinger, die in Spitzenpositionen Kinder bekommen haben und werden. An und für sich sei Politik aber „überhaupt nicht familienfreundlich“. Dem stimmen auch Gamon, Maurer und Sachslehner zu. Schuld seien viele Abend- und Wochentermine oder ungeregelte Arbeitszeiten – und das an sieben Tagen in der Woche. Auch einen Anspruch auf Karenz gibt es für PolitikerInnen nicht.
Wie bringt man mehr Frauen in die Politik?
Diese Unvereinbarkeit hält viele Frauen davon ab, überhaupt in die Politik zu gehen. „Wenn man es den Frauen nicht ermöglicht, Politik und Familie gleichzeitig zu machen, werden sie es nicht tun“, bringt es Sachslehner auf den Punkt. Für Maurer braucht es „ein gemeinsames Bewusstsein dafür, dass alle PolitikerInnen, Frauen wie auch Männer, Zeit für ihre Familien haben sollten“, um etwas zu verändern.
Frage der Finanzierbarkeit
Neben der Vereinbarkeit sieht Herr das Scheitern auch an der Finanzierbarkeit. „Politik muss man sich leisten können“, sagt Herr und fordert darum neben einer faireren Verteilung von Arbeitszeit die Einführung eines Mindestlohns. Da Frauen nach wie vor viel mehr nicht-bezahlte Arbeit leisten, fehle ihnen in der ohnehin schon spärlichen Freizeit schlicht die Zeit für ein un- oder schlecht bezahltes politisches Amt.
Debatte um die Quote
Und während Maurer und Sachslehner eine Frauenquote als weitere Maßnahme durchaus begrüßen, stehen Gamon und Herr dieser in Bezug auf die Erstellung von Wahllisten etwa eher skeptisch gegenüber. „Auch wenn es diametral zu meiner eigenen ideologischen Überzeugung steht, glaub ich, dass es das Recht einer Wählerin und eines Wählers ist, eine Liste zu wählen, auf der nur Männer stehen. Das muss in einer Demokratie möglich sein“, so Gamon. Auch für Herr würde eine Vorschrift zur Listengestaltung zu weit führen. Vielmehr wären etwa Anreize in Form von zusätzlichen Geldern bei paritätischer Besetzung eines Klubs vorstellbar. Dass aber etwas passieren muss, sei klar, denn „es ist 2020 und nicht einzusehen, warum immer noch mehr Männer als Frauen im Nationalrat sitzen“, so Herr.
Doch mag auf jeden Fall noch die ein oder andere Etappe zur absoluten Gleichstellung zu bewältigen sein, Stollstand herrsche auch nicht, so der Konsens. Vielmehr sehen alle vier jungen Politikerinnen derzeit einen Fortschritt, eine Bewegung passieren. „Es ist mühsam, aber es ändert sich brutal viel“, so Gamon. Langsam aber doch.