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Geschwisterkind: Wie das zweite Kind die Familie verändert

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Geschwisterkind: Wie das zweite Kind die Familie verändert

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Das zweite Kind ist da, ein Geschwisterkind. Die Freude der Eltern ist unermesslich. Die des ersten Kindes möglicherweise nicht. Denn was zuvor kaum erwartet werden konnte, entpuppt sich bald als Dieb elterlicher Zeit und Fürsorge. Eine Herausforderung für die ganze Familie, die nicht unterschätzt werden darf.

Neun Monate musste das Kind auf sein Geschwisterchen warten. Nun ist es endlich da. Die meiste Zeit schläft es, hier und da schaut es durch die Gegend und manchmal schreit es auch ganz fürchterlich. Irgendwie nicht so spannend, wie erwartet. Außerdem zieht es ganz viel Aufmerksamkeit der Eltern auf sich. Das war so nicht geplant. Am besten, wir schauen, dass wir es so schnell wie möglich wieder loswerden. Also: Können wir es jetzt bitte wieder ins Krankenhaus zurückbringen?

Am schwierigsten ist es für Kinder, die lange Zeit Einzelstatus hatten

Christian GutschiKlinischer Psychologe & Gesundheitspsychologe

Während in dem einen oder anderen Kopf ein romantisch verklärtes Bild kindlicher Freude über das neue Geschwisterchen vorherrscht, sieht die Realität oft anders aus. Mit dem Neuankömmling verändert sich die komplette Familienstruktur. "Kein Stein bleibt auf dem anderen", erklärt der Psychologe Dr. Christian Gutschi. "Alles, was vorher exklusiv war, muss jetzt geteilt werden." Kein Zuckerschlecken für das Kind, das früher oder später hinnehmen muss, dass es kein Rückgaberecht für das Geschwisterchen gibt.

Herausforderung für Eltern und Kind

"Am schwierigsten ist es für Kinder, die lange Zeit Einzelstatus hatten", weiß der Experte, dem zufolge Buben oft noch mehr mit den veränderten Bedingungen hadern als Mädchen. Nicht selten reagieren sie mit Konkurrenzverhalten und Aggression oder aber mit Rückzug. Wobei hier natürlich auch das Alter des Erstgeborenen eine Rolle spielt. Ebenso wie dessen Charakter und Temperament auf der einen und die Umfeldbedingungen auf der anderen Seite.

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"Wie das Kind reagiert, hängt stark davon ab, wie die Eltern mit der geteilten Aufmerksamkeit umgehen", erklärt Gutschi. Wobei der oder die Ältere in der Regel mit sehr viel weniger Aufmerksamkeit auskommen muss, als dem Familienneuzugang zuteil wird. Nachvollziehbar, bedenkt man, dass ein Neugeborenes wesentlich mehr Fürsorge braucht als etwa ein drei- oder vierjähriges Kind. Mit einer solchen Veränderung von heute auf morgen zurechtzukommen, stellt eine große Herausforderung dar. Für das Kind ebenso wie für die Eltern.

Das zweite Kind verändert alles

"Im Grunde stellt die Geburt des zweiten Kindes das ganze Familienleben auf den Kopf. Alles ändert sich", so der Psychologe. Angefangen beim gemeinsamen Frühstück, bei dem nun ein weiteres Mäulchen gestopft werden will, über die Tatsache, dass die karenzierte Mutter nun wieder rund um die Uhr daheim ist, bis hin zur Abendroutine, in deren Zuge plötzlich zwei Kinder statt wie bisher nur eines schlafen gelegt werden müssen. Wichtig dabei sei zu erkennen, wie viel Zuwendung welches Kind gerade braucht - und ihm diese auch zu geben.

Die Geburt des zweiten Kindes stellt das ganze Familienleben auf den Kopf

Christian GutschiKlinischer Psychologe & Gesundheitspsychologe

Die Eltern sind gefordert, sich laufend anzupassen. Denn jeder Entwicklungsschritt, den die Kinder machen, verändert auch wieder die Ausgangslage. Darüber hinaus entwickeln sich neue Beziehungsdynamiken - zwischen Eltern und Kind ebenso wie zwischen den Kindern -, die auch erst erlernt werden müssen. Und dann wäre da noch die Sache mit dem Grenzen-Setzen. Wo mische ich mich als Elternteil in das Miteinander der Kinder ein? Bis zu welchem Punkt lasse ich sie gewähren? Hier das richtige Maß zu finden, ist oft nicht leicht.

Wie die Umstellung gut klappt

Umso wichtiger, dass man den Erstankömmling auf die mit der Geburt des zweiten Kindes einhergehenden Veränderungen gut vorbereitet. Und zwar indem man diese offen thematisiert. "Das fängt mit der Schwangerschaft an", sagt Gutschi. Mithilfe von Kinderbüchern könne man dem Kind erklären, wie denn überhaupt ein Baby entsteht. Abgesehen davon empfiehlt es sich, das Kind in die elterlichen Vorbereitungen einzubinden. So kann es zum Beispiel beim Aussuchen der Babykleidung helfen.

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Und natürlich darf auch Mamas Bauch gestreichelt werden. "Die Geburt des zweiten Kindes ist ein ganz besonderes Ereignis", so der Psychologe. Je stärker man das Kind von vornherein einbindet, desto höher die Chance, dass es den Neuankömmling mit einer positiven Grundhaltung empfängt. Reagiert das Kind dennoch ablehnend auf den Familienneuzugang, so gilt es, den Grund hierfür zu eruieren. "Widerstände sollten auf keinen Fall übergangen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich verstärken", warnt Gutschi.

Warum reagiert das Kind ablehnend?

Oft steht hinter der ablehnenden Haltung das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Woran liegt das? Widmen die Eltern dem Kind vielleicht zu wenig Zeit? Um diesem Problem vorzubeugen, empfiehlt der Experte, Zeitfenster einzuplanen, in denen man dem Erstgeborenen seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet. "Das geht oft unter, wenn das zweite Kind da ist." Wichtig sei zudem, dem Kind zu erklären, warum die Zeit jetzt knapper ist, als sie es früher war. Wobei das Kind keinesfalls das Gefühl haben sollte, dass es nun auch weniger Zuneigung bekommt.

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Zudem rät der Experte, dem Kind die Vorzüge des Älterseins aufzuzeigen. Indem man ihm vor Augen führt, was es schon alles tun kann oder darf, während das Neugeborene noch völlig auf die elterliche Hilfe angewiesen ist. "Sobald sie laufen können, streben Kinder nach Autonomie. Man muss ihnen klar machen, dass die Rolle des Älteren nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile hat." Daneben gilt es, das Kind so gut als möglich in den Alltag mit dem Baby einzubinden. Warum nicht mal beim Wickeln helfen oder beim Baden assistieren?

Widerstände sollten auf keinen Fall übergangen werden

Christian GutschiKlinischer Psychologe & Gesundheitspsychologe

"So wird das Baby ein natürliches Mitglied der Familie." Wobei es natürlich auch Kinder gibt, die lieber alleine wären. "Da haben es die Eltern dann besonders schwer", weiß Gutschi. In der Regel funktioniere die Umstellung aber gut. Nicht zuletzt müsse man dem Kind auch vermitteln, dass das Geschwisterchen kein Spielzeug sei und der Umgang mit ihm eine gewisse Verantwortung mit sich bringe. Eine Verantwortung, der man im Übrigen nur dann gewachsen sei, wenn man eben die große Schwester oder der große Bruder ist. Ein Status, der das Kind nicht selten mit großem Stolz erfüllt.

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Steckbrief

Christian Gutschi

Beruf
Klinischer Psychologe & Gesundheitspsychologe

Dr. Christian Gutschi ist Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien und Paaren. Darüber hinaus ist er als Lektor an der FH Kärnten für Gesundheitsmanagement tätig. Hier geht es zu seiner Homepage.

Erziehung

Über die Autoren

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