Dass man im Job aufsteigen möchte, ist normal. Doch gibt es auch Menschen, die von diesem Aufstieg wieder aussteigen möchten? Ihre Führungsposition wieder abgeben und Fachkraft sein? Wo sind dabei die Schwierigkeiten - und wie kann es gelingen? Judith Girschik, Führungskräfte-Coach und Gründerin des Leadership Institute, gibt Auskunft.
Naturgemäß will man im Job aufsteigen, aber kommt es auch (häufig?) vor, dass Menschen in Führungspositionen wieder „absteigen“ wollen?
Judith Girschik: Ja, das passiert tatsächlich immer wieder. In den meisten Fällen hat das mit der administrativen Belastung zu tun, die eine Führungsposition mit sich bringt. Aber auch Konflikte, mit denen sich Führungskräfte tagtäglich auseinandersetzen müssen, spielen dabei eine Rolle.
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Ist dieser Wunsch vorhanden, wie schwer ist es, diesen auszusprechen?
Einerseits fällt es den meisten Menschen schwer, anzuerkennen und zuzugeben, dass sie sich überfordert fühlen.
Andererseits wird gerade in großen Unternehmen viel in neue Führungskräfte „investiert“, also etwa zeit- und kostenintensive Aus-und Weiterbildungen. Auch Gehaltserhöhungen, ein größeres Büro und Dienstauto gehören da oft dazu. All das aufzugeben und zurückzustecken fällt den meisten Führungskräften schwer. Das gilt besonders für Menschen, die Status und Außenwirkung große Bedeutung beimessen.
Dazu kommt die Enttäuschung jener Menschen, die einen am Weg in die Führungsposition unterstützt haben, Empfehlungen ausgesprochen haben und damit Risiken eingegangen sind. Es ist damit zu rechnen, dass deren Echo kaum positiv sein wird. Die berufliche Reputation könnte unter einem de-facto Rückschritt also leiden. Auch Freunde, selbst die Familie, könnte einen solche Karriereentscheidung als Versagen werten.
Letztlich findet dieser Schritt auch im Lebenslauf Niederschlag und löst im nächsten Jobinterview Erklärungsbedarf aus.
Was sind Gründe für so einen „Ausstieg vom Aufstieg“? Hat das zwingend mit Stress und Überforderung zu tun oder gibt es auch andere Grunde, warum das gewollt wird?
Nicht immer sind klassische Überarbeitung, mangelnde Work-Life-Balance und die Angst vor einem Burnout der Grund für einen beruflichen Rückzug. Oft liegt die Ursache in der Sensibilität der betroffenen Menschen. Eine Führungskraft muss viel wegstecken können. Dazu zählen vor allem Kritik und Neid. Wer das persönlich nimmt, gerät rasch an seine Grenzen. Dazu kommen fast immer Konflikte. Menschen, die in Harmonie mit Kollegen und Mitarbeitern arbeiten wollen, erreichen dieses Ziel leichter in weniger exponierten Positionen.
Schließlich zeichnen sich die meisten Führungskräfte durch ein hohes Maß an Extraversion aus. Zwei für Führungsaufgaben entscheidende Aspekte sind Dominanz, also das Bedürfnis in der ersten Reihe zu stehen und ein ausgeprägtes soziales Kontaktbedürfnis. Extrovertierte Menschen lieben es, aktiv zu kommunizieren. Sie ziehen ihre Energie aus dem Kontakt mit anderen. Wer sich in Diskussionen elegant im Hintergrund hält und am liebsten alleine und in Abgeschiedenheit arbeitet, wird wesentliche Führungsaufgaben als aufreibend erleben.
Leider erweisen sich diese Tendenzen über ein Menschenleben hinweg als relativ stabil. Die Wahrscheinlichkeit einer grundlegenden Änderung ist also gering. Klarheit über individuelle persönliche Neigungen angehender Führungskräfte verschaffen übrigens Persönlichkeitsprofile, die etwa im Zuge eines Führungskräfte–Coachings erstellt werden.
Sind bestimmte Persönlichkeitszüge besonders ungeeignet, eine Führungsverantwortung auf längere Zeit zu übernehmen?
Natürlich. Stark introvertierte Persönlichkeiten etwa erleben öffentliche Auftritte fast immer als Spießroutenlauf.
Wer darüber hinaus über eine Tendenz zum Neurotizismus verfügt, also empfindlich auf negative Umweltreize reagiert und emotional wenig stabil ist, kämpft heftiger mit dem Thema Führungsverantwortung als jemand, den Streit, Kritik und Missgunst kalt lassen.
Und wer seinen Mitarbeitern blind vertraut und vor allem Harmonie sucht, wird fast zwangsläufig übergangen und ebenfalls nicht lange Freude an der neuen Position haben.
Prinzipiell gilt: Wer dauerhaft versucht, Anforderungen zu erfüllen, die ihm von Natur aus keine Freude bereiten, gerät in Stress. Damit gefährdet er seine wesentlichste wirtschaftliche Grundlage, nämlich seine Gesundheit.
Muss so ein Ausstieg auch immer einen Abstieg bedeuten?
Nein, nicht immer. Mich freut zu sehen, dass es immer mehr Unternehmen gibt, die auch Spezialistenpositionen hoch dotieren und mit attraktiven Benefits ausstatten.
Während ein Rückzug im eigenen Unternehmen auf ungünstige Resonanz stoßen kann, verläuft der Wechsel beim Anheuern in ein neues Unternehmen nicht nur leiser, sondern auch problem- und kommentarloser.
Wie kann so ein Abgeben der Führungsverantwortung – mit gleichzeitigem Verbleib im Unternehmen – gelingen?
Wer im Unternehmen bleiben möchte, sollte gute Gründe dafür haben.
Wesentlich ist, dass die betroffene Person schon einen Plan für ihre künftige berufliche Entwicklung hat und nicht nur vom Wunsch getrieben ist, einer emotional angespannten Situation zu entkommen. Entscheidend ist, dass es eine passende offene Position im Unternehmen gibt.
Die Führungskraft sollte überzeugend argumentieren können, inwiefern das Unternehmen und Management vom angestrebten Wechsel profitieren werden. Dann können Eigentümer und/ oder Top Management den Schritt nachvollziehen und idealerweise unterstützen.
Leider ermöglichen nicht alle Unternehmen solche Karriereentwicklungen, zahlreiche Consultingunternehmen etwa funktionieren nach wie vor nach dem Prinzip „Up or Out“.
Wollen Menschen, die diesen Ausstieg anstreben, überhaupt im selben Unternehmen bleiben ?
Ja, gerade große internationale Unternehmen bieten entsprechend interessante Entwicklungsmöglichkeiten. Wer die Möglichkeit eines Abteilungs- oder Bereichswechsels nutzt, eventuell auch den Wechsel an einen neuen Standort, wird weniger Häme zu spüren bekommen als jemand der schlicht an seinen alten Schreibtisch zurückkehrt.
Wie sehr sind diese MitarbeiterInnen nach dem Wechsel stigmatisiert?
Natürlich kann das passieren, gerade in sehr traditionellen Unternehmen. Wer einen Job etwa aufgrund seiner Sensibilität verlässt, wird auch etwaige Negativreaktionen der Kollegen intensiver wahrnehmen und weniger gut damit zurechtkommen.
Midlife-Chancen: Führungskräfte auf neuen Wegen
Wie schwer ist es, sich nach diesem Wechsel wieder den Ansprüchen einer anderen Führungsperson unterordnen zu müssen?
Das ist eine Frage der Persönlichkeit. Menschen mit geringem Dominanzstreben tun sich damit leichter als jene, die es für selbstverständlich halten, in der ersten Reihe zu stehen.
Angesichts der zahlreichen Hierarchieebenen großer Unternehmen relativiert sich diese Frage allerdings: Fast jeder Manager berichtet hier an eine weitere, übergeordnete Führungskraft.
Wie kann ein Unternehmen eine Kultur etablieren, in der es nicht als Schwäche gesehen wird, eine Führungsrolle wieder abzugeben?
Ein wichtiger erster Schritt wären Karriereentwicklungspläne, die derartig spiralförmige Karrieren zulassen. Dazu zählt eine Entlohnung, die weniger auf der Anzahl (direkter) Reports basiert, sondern auf einer umfassenderen Definition dessen, was ein Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg beiträgt.
Unternehmen, die keinem großen wirtschaftlichen Druck unterliegen, fällt das leichter. Auch dort, wo vergleichsweise geringerer interner Konkurrenzdruck herrscht, wird eine Führungskraft, die sich verändern möchte, größerem Verständnis begegnen.
Für wichtiger halte ich es allerdings, schon beim Besetzen von Führungspositionen mit der nötigen Umsicht zu agieren. Die Ergebnisse evidenzbasierter Persönlichkeitsprofile und zugehöriger Feedbackgespräche liefern wertvolle Hinweise, wie gut ein Kandidat sich in der neuen Position langfristig zurechtfinden wird.
Zusätzlich erweist sich ein individuelles Karrierecoaching als wertvolle Hilfe beim Setzen anstehender Entwicklungsschritte. Das hilft, die eigenen Motive und Interessen zu reflektieren, Ziele zu setzen und wirksame Strategien zu formulieren.
Könnte „Führen auf Zeit“ ein Konzept für die Zukunft sein?
Die Erfahrung zeigt, dass Personen, die lang und intensiv an ihrer Karriere gearbeitet haben und glücklich in ihrer Führungsposition sind, diese auch behalten wollen.
Ihnen die Aufgabe wieder zu entziehen und sie weniger interessierten Kollegen zur Verfügung zu stellen, steigert die Schlagkraft eines Unternehmens wohl wenig. Zusätzlich läuft der Arbeitgeber Gefahr, motivierte Manager an die Konkurrenz zu verlieren. Insofern wird das Konzept ein Nischenangebot bleiben.
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