Fans sind nicht gleich Fans. Manche Leute mögen einfach nur die Musik einer Band, andere hingegen widmen ihr ganzes Leben - und Geld - bestimmten Musikern oder etwa einem Fußballklub. Warum verfallen manche Menschen ihren Fanobjekten komplett und andere sind gar nicht empfänglich für so etwas? Und wann wird es zu extrem? Ein Gespräch mit extremen Fans und einem Experten.
„Im alltäglichen Sprachgebrauch bin ich höchstwahrscheinlich kein ‚normaler‘ Fan mehr“, sagt Thomas Körbler, 33-jähriger Metallica-Fan aus Kärnten. Seine Leidenschaft für die Metal-Legenden aus Kalifornien begann Mitte der 90er-Jahre, als er von einem Schulkollegen eine CD eher gegen seinen Willen aufgeschwatzt bekam. Ein Akt, der das Leben des Musikliebhabers verändern sollte. Die CD schlug ein: „Bis 1996 neue Musik von ihnen erschien, hatte ich mir alle Sachen rauf- und runtergehört und war dieser Band komplett verfallen. Metallica waren der Soundtrack meiner Jugend und sind zum Soundtrack meines Lebens geworden“, erzählt er. Das dürfte jedoch vielen Fans so gehen, doch was macht den Kärntner zu mehr als einen „normalen“ Fan?
Die Leidenschaft liegt bei dem 33-Jährigen nicht nur in der Musik. „Ich bin vor allem Sammler von offiziell veröffentlichten Dingen“, erzählt er. „Der Wert meiner Sammlung liegt aktuell wahrscheinlich im fünfstelligen Euro-Bereich und umfasst neben über 300 offiziellen CDs und knapp 100 offiziellen LPs auf viele andere Dinge wie Tour-Shirts, Gitarren, Gläser, Brettspiele, Figuren, Autogramme, Box-Sets, Drucke, Plektren, DVDs, BluRays, MCs bis hin zu Lunch-Boxen, Eishockeypucks und Basebällen.“ Etwas Schöneres, als eine lang gesuchte Platte unter dem gängigen Wert zu ergattern, gibt es für den Metallica-Anhänger nicht. Zudem ist er auch begeisterter Konzertbesucher, der „seine Band“ bereits 22 Mal in verschiedenen Ländern live gesehen hat, „und das immer in der ersten oder zweiten Reihe“, wie er betont.
Auch die 37-jährige Betty schlägt in dieselbe Kerbe. Für sie ist es zwar nicht Metallica, sondern Depeche Mode, aber die Synthie-Rocker sind auch für sie „nicht nur eine Band, sondern mehr eine Lebenseinstellung. Depeche Mode hat mich maßgeblich geprägt“, erzählt die Grazerin. „Ab Mitte der 90er-Jahre kann ich zu jedem erschienenen Album sagen, was ich zu der Zeit gemacht, gedacht und gefühlt habe.“ Zwar hegt die Steirerin keine Sammlerleidenschaft, doch plant sie ihre Urlaube, in Tour-Zeiten ausschließlich danach: „Normalen Urlaub gibt es in dieser Zeit keinen, es wird alles rund um die Band und die Tour geplant. Städtereise ohne dazu passendes Konzert? Undenkbar!“
Wann ist ein Fan ein Fan?
Genau so ein Verhalten wie jenes von Betty macht einen Fan aus, wie Prof. Dr. Harald Lange, Direktor des Instituts für Fankultur in Würzburg und Frankfurt, bestätigt. „Im Kern geht es darum, sich mit einer Sache, einer Mannschaft, einer Person vollends und ganz leidenschaftlich zu identifizieren, sich zu binden.“ Ist dann diese Bindung gegeben und „steuert diese das Verhalten“ spräche man von einem richtigen Fan.
Einfach dürfte dieses Fan-Sein, dass wie Betty selbst sagt, bei ihr wohl „etwas extremer“ sei, aber nicht immer gewesen sein, denn „der Großteil meines Umfeldes versteht es nicht, aber ich habe mit den Jahren aber aufgegeben, mich zu erklären“, so der „Devotee“, also hingebungsvoller Ergebener, wie sich Depeche-Mode-Fans selbst nennen. „Es muss niemand verstehen, ich erwarte nur, dass es toleriert wird.“
Wann geht es zu weit? Und dann?
Wann so ein Fantum möglicherweise zu extrem wird, ist schwer zu sagen. „Zu weit geht alles, was anderen schadet“, sieht es Experte Lange. Bis zu dieser Grenze sei – bei gegenseitigem Einvernehmen – „fast alles erlaubt.“ Dennoch kenne er selbst viele Beispiele, wo die Passion zu viel wurde: „Jährlich scheitern daran hunderte Ehen und Beziehungen.“ Und was hilft dann? Intervention auf jeden Fall nicht, so Lange, „das führt nur zu Missverständnissen“, denn „wer lässt sich schon freiwillig sein liebstes Thema nehmen?“
Diese Frage stellte sich bei Betty aber gottseidank nicht, denn bei ihr traf das Gegenteil ein: ihre Leidenschaft führte zur Liebe. „Meinen Mann und Vater meiner Kinder hab ich auf einer Depeche Mode-Party kennengelernt, wie könnte es anders sein“, schmunzelt sie. Zumindest hier gibt es also mehr als nur Toleranz.
Das Unverständnis aus dem Umfeld für die Leidenschaft kennt auch Thomas Körbler: „Natürlich ist es schwer für andere nachzuvollziehen, warum ich mir dieselbe Band sechs Mal in fünf verschiedenen Ländern ansehe oder vom gleichen Album über 20 verschiedene Versionen besitze, wo sich oft nur einzelne Buchstaben auf der CD-Rückseite unterscheiden“, sagt er, doch wer ihn kenne, wisse um seine Hingebung und „wenn - wie heuer - Metallica am Ostersamstag in Wien spielen, geht niemand im meinem Umfeld davon aus, dass ich daheim bei der Familie bin.“ Solange er aber Familie, Arbeit und Fan-Sein unter einen Hut bringe, sieht auch er keinen Grund, etwas daran zu ändern.
Die Gegenwelt zum Alltag
Dies wäre auch gar nicht so einfach, erklärt Lange, denn auch wenn Fan-Sein nicht als Sucht gelte, würde man so viele Gefühle und Leidenschaft hineinlegen, „dass man gar nicht anders kann.“ Fans würden „jeden Aufwand als Genuss für sich erleben und immer weiter machen wollen.“ Man schaffe sich dadurch eine Gegenwelt zum Alltag, eine Welt in der man „ICH sein kann, sich ausleben kann“, so Lange. Keine Realitätsflucht zwar, aber Zeitvertreib und Auszeit. Für junge Männer sei das Stadion – oder der Konzertsaal – zudem „vielleicht der letzte Ort an dem man laut sein, brüllen, singen und grölen kann. Ganz ohne irgendwelche Sanktionen fürchten zu müssen.“
Kündigung für Fan-Buch
Etwas mehr als eine Gegenwelt zum Alltag schuf sich Nadine Taylor; nämlich einen realen Alltag: Die 27-Jährige ist dem kanadischen Popsänger und Teenie-Star Shawn Mendes verfallen. Auch sie geht so oft wie möglich auf Konzerte und tauscht sich nächtelang mit Mädels und Fans aus aller Welt über ihr Idol aus. Doch sie ging noch einen Schritt weiter, hat innerhalb von nur drei Monaten ein komplettes Buch über ihr Fanobjekt geschrieben ("Shawn Mendes ganz nah", Riva Verlag) und ihren Job als Verlagsmitarbeiterin gekündigt, um sich „hauptberuflich um das Buch zu kümmern“.
Dennoch bezeichnet sie sich als „halbwegs normalen Fan“; „wenn auch an der Grenze zum Extremen“. Sie reiste ihrem Star auch nach London nach, wo sie im selben Hotel residierte, in der Hoffnung den Sänger zufällig in der Lobby zu treffen. (Was auch geschah, doch nur, um dann festzustellen, „dass das mit dem unauffällig ins Gespräch kommen absolut unmöglich ist.“)
„Trotzdem war es total cool im Stockwerk über ihm zu schlafen, da er ein Bild der Aussicht auf die Themse gemacht hat und ich genau die gleiche Sicht hatte“, gibt sich die junge Frau immer noch glücklich über die für sie „einmalige Sache“, über die viele andere wohl nur den Kopf schütteln würden.
"Noch lange kein Ende in Sicht"
Ebenso machen auch Thomas Körblers Gäste meist ein langes Gesicht, wenn sie zum ersten Mal vor seiner CD-Sammlung stehen, „bevor sie einen Raum weiter dann auch noch hunderte Platten entdecken.“ Doch das ist ihm egal, denn „wenn ich mich umschaue und ich sehe meine Vitrinen, macht mich das nach wie vor und nach all diesen Jahren sehr glücklich – und es ist noch lange kein Ende in Sicht.“ Oder „I just can’t get enough“, wie es Betty in den Worten ihrer Helden sagt – und damit gemeinsam mit Körbler so gar nicht ins wissenschaftliche Konzept von Harald Lange („Die Fans wachsen zumeist irgendwann aus dem Thema heraus“) passen will. Ausnahmen bestätigen eben die Regel.