Die Empörung war groß, als die Ex-Grünen-Chefin zum Glücksspielkonzern Novomatic wechselte. Wie geht es Eva Glawischnig heute, eineinhalb Jahre danach? Was hat sich in ihrem Leben verändert, wünscht sie sich trotz ihres Rücktritts die Grünen in der Regierung und was sagt sie zum großen Sieg gegen Facebook? Ein Gespräch mit der Polit-Aussteigerin.
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News.at: Der EuGH urteilte in der Facebook-Causa zu Ihren Gunsten und zwingt Facebook, in Zukunft Hasspostings zu löschen. Das ist etwa drei Wochen her. Wurde davon mittlerweile etwas umgesetzt?
Eva Glawischnig: Das war eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Jetzt geht es zurück nach Österreich und das heimische Gericht wird in dem Sinne weiterverfahren. Also Facebook muss wirklich löschen, und zwar weltweit und auch sinngleiche Äußerungen, wobei sinngleich sehr eng zu verstehen ist, also nur sehr artverwandte Begriffe. Es braucht sich also niemand vor einer Zensur oder dergleichen fürchten.
Wie funktioniert das konkret, wenn man beleidigt wird? Meldet man das und Facebook löscht oder muss man das einklagen?
Das wichtigste ist, zuerst zu sichern, was passiert ist. Und dann von Facebook die Löschung beantragen. Wenn das nicht funktioniert, muss man natürlich den Rechtsweg bestreiten. Und im Falle einer Verurteilung ist dann die Löschung jetzt garantiert. Und das auch zeitnah.
Den Rechtsweg kann sich vermutlich nicht jeder leisten…
Genau, da muss es Überlegungen geben, wie man das erleichtern kann. Meine Vorstellung wäre, dass das ein sogenanntes Ermächtigungsdelikt wird, das heißt, man übergibt die Verantwortung dem Staat, der das für einen verfolgt. Klar, das, was ich jetzt gemacht habe, braucht natürlich entsprechende Ressourcen.
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Sind Sie noch auf Facebook und Twitter vertreten?
Nein, ich bin überall draußen.
Wegen der Hasspostings?
Das war auch einer der Gründe. Das war unerträglich. Aber ich fühle mich so wohl ohne das.
Sie haben zwei Söhne, da sind soziale Medien bestimmt ein Thema. Wie bringen Sie Ihren Kindern den richten Umgang bei?
Das ist für Buben echt eine spannende Herausforderung. Ich glaube, da gibt es wirklich geschlechterspezifische Unterschiede. Der Schlüssel ist natürlich, etwas Attraktiveres anzubieten, etwas mit ihnen zu unternehmen. Raus ins Grüne, denn die Erdung in der Natur hilft immer. Oder auch wirklich zu sagen: Jetzt ist Schluss. Natürlich ist das für Eltern fordernd und gelingt mir auch nicht immer. Ich habe schon gedroht, ich schmeiße die X-Box beim Fenster raus oder springe so lange d‘rauf, bis sie kaputt ist. Aber wir leben in einer Welt, wo Smartphones, Tablets und Co allgegenwärtig sind. Und da einen richtigen Umgang zu finden, fordert uns alle. Von der Gesetzgebung bis zur Wirtschaft, bis zu den Spieleanbietern.
Und damit ist man schon in dem ganzen Gaming-Thema drinnen: Wie verantwortungsbewusst wird Gaming angeboten, siehe etwa die Diskussion über Fortnite. Diese Spiele haben ja durchaus ein Suchtpotenzial, aber sie unterliegen im Wesentlichen überhaupt keinen Regeln im Vergleich zum „echten“ Spielen.
Genau für dieses Thema, Responsible Gaming, also verantwortungsvolles Spielen, sind Sie ja bei Novomatic zuständig. Was tut Novomatic hier?
Wir sind gerade in der Schlussphase eines internationalen Projektes. Wir haben die wichtigsten Unternehmen und Töchter, die wichtigsten Märkte nach dem höchsten internationalen Spielerschutzstandard G4 prüfen und zertifizieren lassen.
Was wird da genau geprüft und zertifiziert?
Das ist ein sehr umfassender Prüfungskatalog. Es wurde beispielsweise geprüft, ob der Jugendschutz wirklich funktioniert, die MitarbeiterInnen ausreichend betreffend Suchtpräventionsmaßnahmen geschult werden oder ob es Möglichkeiten für eine Einsatzlimitierung gibt, wenn Gäste das wollen. Dieses Zertifikat geht jedenfalls sehr weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus.
Und wir versuchen auch dieser Verantwortung beim Online-Spielen nachzukommen. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit den Entwicklungen. Hier gibt es aber gewaltige Defizite, was die Gesetzgebung betrifft, die man nur im europäischen Kontext lösen kann.
Ich bin zudem sehr engagiert, dass sich die unterschiedlichen Stakeholder vernetzen, damit ein qualifizierter Austausch stattfindet. Etwa mit dem deutschen Automatenverband, der sich bessere Regeln wünscht, damit auch in Deutschland das illegale Glücksspiel besser bekämpft werden kann. Deshalb ist eine kluge Regulierung notwendig – und kein Verbot. Zum Vergleich: Das ist wie, wenn man eine Autobahn sperrt und sich wundert, wenn alle auf die Gemeindestraßen ausweichen. Denn gefahren werden wird so oder so.
Aber genau das ist das Faszinierende für mich, denn ich wollte etwas wirklich Herausforderndes machen. Und genau an diesem Brennpunkt „erlaubt/nicht erlaubt“, „sozial erwünscht/nicht erwünscht/passiert trotzdem“ bewege ich mich nun.
Sie sind also zufrieden bei Novomatic?
Für mich ist es ein unglaublich spannendes, cooles Unternehmen. Auch wenn von außen immer wieder viel Kritik kommt, auch meine Geschichte betreffend. Aber man wird wenige Unternehmen finden, die ich nicht heftigst kritisiert habe. Und vielleicht braucht es auch so BrückenbauerInnen, GrenzgängerInnen, die das tun, obwohl der Sturm der Entrüstung losbricht.
Dieser Sturm der Entrüstung war bei Ihrer Verkündung, diesen Job anzunehmen, ja enorm groß. Hatten Sie damit gerechnet?
Ja schon. Aber wie gesagt, es ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Und warum man etwas macht, hat auch oft Gründe, die in der persönlichen Geschichte liegen und die ich nicht jedem erklären will und muss.
Sie bekommen diese Empörung also nach wie vor zu spüren?
Jetzt nicht mehr so. Am Anfang gab es auch vereinzelt Anfeindungen auf der Straße. Es ist Zeit, dass man einfach akzeptiert und respektiert, dass nicht jede Entscheidung für jeden nachvollziehbar ist. Ich kann bei Novomatic einiges bewegen und habe dies auch schon getan. Viele Dinge, die wir entwickeln, werden in Zukunft auch für den Online-Bereich von Bedeutung sein.
Neben dem verantwortungsvollen Spiel sind Sie auch für Nachhaltigkeit zuständig…
Ja! Das ist ja ein Riesen-Bereich! Umweltthemen sind ein weiterer Schwerpunkt neben Responsible Gaming.
Wie will Novomatic die Umwelt schützen?
Im ersten Schritt geht es darum, Kennzahlen zu erfassen: Was haben wir überhaupt für einen Stromverbrauch? Denn natürlich wollen wir unseren Beitrag zur CO2-Reduktion leisten, etwa durch Photovoltaik-Anlagen, wie bereits in Spanien oder in Deutschland geschehen. Im nächsten Schritt legen wir fest, um wie viel reduziert werden soll, und jedes Land ist dann selbst für die konkrete Umsetzung zuständig.
Natürlich wollen wir auch Kosten einsparen und das geht auch im ökologischen Bereich sehr gut. Man muss eben nur manchmal vorher Geld in die Hand nehmen.
Gehen Sie zu den „Fridays for Future“-Demonstrationen?
Ja, ich war einmal…aber eigentlich gehen jetzt schon meine Söhne hin. Es ist toll, dass sich junge Leute so engagieren. Ich hoffe, dass die Anliegen ernst genommen wird.
Kein gemeinsamer Familienausflug also?
(lacht) Nein, das wollen meine Söhne wohl eher nicht.
Ich enthalte mich zwar jeglicher politischen Äußerung, aber da kommt dann schon mein Herz durch: Das waren unentschuldigte Fehlstunden. Wir wollen unsere Kinder zu Staatsbürgern hinlenken, die sich beteiligen, die sich trauen, was zu sagen, die Widerspruchsgeist haben, die sich für Themen engagieren…und dann wird das per Erlass untersagt. Das habe ich nicht verstanden.
Sie haben sich vor über zwei Jahren aus der Politik verabschiedet. Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?
Es ist ruhiger geworden und planbarer. Mir hat es total gutgetan, mich zurückziehen zu können auf einen Job und eine Familie und nicht mehr eine Projektionsfläche für die Öffentlichkeit zu sein.
Bei Ihrem Rücktritt sagten Sie, Sie wollen die „Warnzeichen" Ihres Körpers nicht ignorieren. Wie geht es Ihnen jetzt? Wie gelingt die Work-Life-Balance? Ihr Job ist ja bestimmt auch herausfordernd…
…aber viel planbarer. Es ist nicht so, wie in der Politik, dass irgendjemand etwas sagt, plötzlich bricht eine Medienkatastrophe los und man telefoniert das ganze Wochenende derart intensiv, dass man am Montag nicht mehr weiß, was man gemacht hat.
Ich werde mich ewig erinnern, als mein Mann und ich in die Steiermark fuhren, nur wir zwei. Ein Hochzeitsgeschenk. Wir gingen ins Zimmer, ich packte die Koffer aus, wir gingen raus ins Grüne und ich schaute auf mein Handy. Und sah, dass für 11 Uhr eine Mitterlehner-Pressekonferenz, eine „persönliche Erklärung“, angesetzt war. Ich sagte zu Volker: „Es tut mir wirklich leid, aber wir müssen wieder zurückfahren.“ Wir sind in der Sekunde umgedreht und das war öfters so.
Oder auch im Sommerurlaub. Im Zuge der Debatte um die Flüchtlingsunterbringung, rief mich Werner Faymann an und sagt: „Eva, we’ve got a Problem. Wir brauchen eine Verfassungsmehrheit.“ Ich sagte nur: „Puh…ok. Also liebe Familie…“ und war die nächsten Wochen de facto im Parlament gebunkert…
Sie wollten mit Ihrem Rücktritt auch wieder mehr Privatperson werden. Meiden Sie die Öffentlichkeit inzwischen ganz?
Weitgehend, ja. Was ich hie und da noch wahrnehme, sind Termine für Pink Ribbon, da bin ich nach wie vor gerne im Einsatz.
Wie gut geht das, wenn man nicht nur selbst, sondern auch der Ehepartner (Anm.: Moderator Volker Piesczek) ein bekanntes Gesicht ist?
Es funktioniert wunderbar, vor allem durch unseren Umzug nach Niederösterreich. Meine engen Freunde habe ich ohnehin seit Jahrzehnten. Und ich bin im Grunde ein sehr nach innen gerichteter Mensch.
Und auch wenn mir einige Themen, wie etwa Frauenanliegen, nach wie vor am Herzen liegen: Es gibt viele tolle Leute, die sich darum kümmern. Ich muss nicht mehr in der ersten Reihe stehen und kann mich jetzt also auch um andere tolle und ebenso wichtige Dinge kümmern.
Haben Sie mit Ihrem Rücktritt alle Kontakte in die Politik abgebrochen?
Natürlich will als Parteichefin jeder mit dir in Kontakt sein und sucht die Nähe. Und man merkt dann schon sehr bald, welche Bedeutung die Funktion hatte und wo es wirklich einen persönlichen Konnex gibt. Diese persönlichen Kontakte bestehen natürlich weiter.
Wie würden Sie die Stimmung in Österreich derzeit beschreiben? Wie nehmen Sie das wahr?
Ich glaube, dass wir ein Land mit wahnsinnig großen Potenzialen sind, die wir auch immer genutzt haben, mit einer Wirtschaft, die ein starkes Rückgrat darstellt. In dem Sinne glaube ich, dass wir auch mit Zuversicht vorwärtsblicken können. Wir müssen uns nur ein bisschen davor hüten, alles zu überregulieren und auch den nötigen Freiraum für Kreativität lassen – Stichwort unentschuldigte Fehlstunden.
Haben Sie das Wahlergebnis der Nationalratswahl trotz Ihres Ausstiegs gefeiert?
Natürlich! Ich habe mich sehr gefreut! Gratulation an alle Sieger. Und natürlich dem Werner Kogler ganz persönlich.
Wünschen Sie sich – als Privatperson – die Grünen in der nächsten Regierung?
Das ist eine sehr politische Frage (lacht) . Ich wünsche mir eine Koalition, die diese erwähnten Potenziale heben kann. Eine Regierung, die aus einer guten, positiven Stimmung fürs Land etwas macht - und nicht streitet und ewig Wahlkampf weiterführt.
Fehlt Ihnen die Politik hin und wieder?
Nein! Das war eine lange Zeit und jetzt ist ein neuer Lebensabschnitt. Und dieses Aufmachen, dieses internationale Arbeiten tut gut, um zu sehen, dass es auch noch etwas anderes als die Twitterblase in Österreich gibt. Das tut sehr gut.
Eine Rückkehr in die Politik ist also kein Thema?
Definitiv nicht!