Das Leben der Anna Proksch war kein glückliches. Als Tochter der Schauspielerin Erika Pluhar und des später wegen Mordes verurteilten Udo Proksch hatte sie keine einfache Kindheit. Sie starb mit 37 Jahren an einem Asthmaanfall. Im bewegenden Roman "Anna" schildert Erika Pluhar* die ersten zwölf Jahre ihrer Tochter.
Anna Proksch, geboren 1962, gestorben 1999 an einem Asthmaanfall. Die Tochter der Schauspielerin, Sängerin und Autorin Erika Pluhar und des Szene-Exzentrikers Udo Proksch hatte ein kurzes, von einer emotional schwer zu bewältigenden Kindheit verdunkeltes Leben. Als sie zur Welt kam, baute ihre Mutter gerade die Karriere auf. Der oft betrunkene Vater war nur ein sporadischer Besucher. Dann heiratete die Mutter den autistisch zu den Sternen strebenden André Heller. Ihr nächster Partner war der Schauspieler Peter Vogel, der Selbstmord beging. Zu ihrem leiblichen Vater hatte Anna Proksch trotz allem eine nahe Beziehung. Als er 1992 wegen Mordes - er ließ für einen Versicherungsbetrug ein Schiff versenken - verurteilt wurde, war die Tochter seine größte Stütze. Nun schrieb die bald 80-jährige Erika Pluhar ein bewegendes Buch über die ersten zwölf Lebensjahre ihrer Tochter.
Frau Pluhar, weshalb dieses Buch? Täuscht der Eindruck, Sie hätten an Ihrer Tochter etwas gutzumachen?
Es ist eine Aufarbeitung, ganz klar. Aber nur zum Teil, es ist ja auch Fiktion. Das Buch ist vollkommen aus der Sicht der kleinen Anna geschrieben, und auch die Dialoge haben so nicht im Detail stattgefunden.
Hatte Anna nun eine schlimme Kindheit?
Eine exzeptionell schwierige zwischen zwei so exzeptionell andersartigen Menschen, Udo Proksch und ich. Ich bin am Ende des Buches draufgekommen, dass die ganze Geschichte sogar für mich noch einen neuen Sinn bekommen hat. Als ich jung war, durfte man als Schauspielerin möglichst kein Kind bekommen. Das war eine Art professionelles Gebot. Heute leben wir in einer Zeit, in der ständig öffentlich gemacht wird, dass wieder jemand ein Bäuchlein hat, und Angelina Jolie hat, glaube ich, schon an die zehn Kinder. Prominentenkinder werden unentwegt gehypt, und der Normalsterbliche ist der Meinung, denen geht es gut, weil die Eltern reich und berühmt sind. Aber es ist eher schrecklich, ein Prominentenkind zu sein.
Gibt es denn da nichts, was man genießen kann?
Nein. Die Anna hat ihr Leben lang alles an Medien und Journalismus gehasst. Auch weil ihr Vater so unermesslich drangekommen ist, nachdem man sich zuvor kumpelhaft mit ihm verbrüdert hatte. Sie hat einmal, als ich nicht mehr blond war, einen unvergesslichen Satz zu mir gesagt: "Du warst so schiach, wie du schön warst."
War sie ein umfassend unglückliches Kind?
Sie hatte eine schöne Zeit, als ich mit dem Peter Vogel eine kurze, innige Zweisamkeit erlebt habe, bevor er sich selbst zerstört hat. Auch für mich wäre er der Mann gewesen, mit dem ich leben wollte. Leider ist das Ganze auf Grund seiner selbstzerstörerischen Sucht in sich zusammengebrochen. Aber insgesamt war Anna mit Sicherheit kein ungeliebtes, aber auch kein glückliches Kind. Ich war ja letztlich Alleinerzieherin, auch viel abwesend, deshalb kamen Kindermädchen des Weges. Ich habe in dieser Zeit meinen ganzen Beruf aufgebaut und uns beide auch weitgehend erhalten. Eine Zeitlang wurde es mit dem Udo besser, als er trocken war, aber eine glückliche Kindheit gab es nicht zu beschreiben. Ich wollte das Ganze anfänglich eigentlich nicht veröffentlichen, aber dann ist es mir mehr und mehr zu einer fast symbolischen Geschichte geworden.
War Udo Proksch eine unheilvolle Figur in Annas Leben?
Nein. Ich habe ihm in dem Buch nichts erspart, aber ich konnte ihn so beschreiben, dass man versteht, wie sehr Anna ihren Vater geliebt hat.
Und er sie?
Auch. Er war bis zu ihrem Tod in der Strafanstalt Graz-Karlau eingesessen, lebenslänglich, aber mit Würde und Tapferkeit. Ein paar Monate nach ihrem Tod ist er am Herzen gestorben, es hat ihm also das Herz gebrochen. Sie war auch im Gefängnis sein Halt, sie sind einander in den letzten Lebensjahren ganz nah gekommen. Dann ist sie gestorben, hier im Haus. Ich war im Tonstudio, wo man alle Kontakte nach draußen abstellt. Ich habe gerade das Lied "Die unerfüllbaren Wünsche" aufgenommen, erste Zeile: "I mechat was haben, was mir auf ewig g'hört" als ich das sang, wurde angeklopft und unterbrochen. Ich kam nach Hause und fand meine Tochter tot in der Wohnung. Es war Herzversagen, als Folge eines Asthmaanfalls. Der Igi, ihr Ziehsohn, war dabei. Er war 15 Jahre alt.
Haben Sie nach ihrem Tod diesen Reflex gespürt: "Warum nicht ich?"
Natürlich, den hab ich bis heute. Ich lebe nicht ungern, man muss ja wieder zu leben beginnen. Aber dass ich mir nach Annas Tod nichts mehr gewünscht hätte, als selbst in einem Nichts zu verschwinden, das ist klar. Die einzige Gegenmaßnahme war und ist, dass ich über Anna nie schweige. Bei mir konnte der Voyeurismus deshalb nicht zuschlagen. Bis heute ist es zum Beispiel so: Bei jedem Fest, nach jeder Lesung, jedem Konzert wird auf die Anna angestoßen. So halte ich sie am Leben. Zumindest, solange ich lebe. Was nachher ist, interessiert mich nicht.
Hatten Sie nach Annas Tod Suizidgedanken?
Wenn es nicht den 15-jährigen Ignaz gegeben hätte, der nur mich hatte und von ihrem Tod sehr getroffen war, weiß ich nicht, ob ich unter dem Einfluss zu organisierender Pulverln nicht gern weggeschlafen wäre. Aber für ihn musste ich dableiben. Wir hatten zu zweit eine schwere Zeit, die wir gemeinsam, Schritt für Schritt, bewältigt haben.
Wie ging das vor sich?
Erstmal: Wenn mir jemand sagt, er könnte sich so einen Verlust gar nicht vorstellen, sage ich sofort: "Stell es dir lieber nicht vor." Und dann: Das Leben ist einfach sehr stark. Wenn du nicht gleich abhaust, wird es langsam besser. Du merkst, dass dir was schmeckt, du hörst dich selber lachen. Und so nimmt dich das Leben langsam wieder auf. Der Schmerz ist nicht mehr so blutig, er wird zu einer tiefen Liebe, einem Vermissen, das fast schon zu einem gehört.
Wann ist denn Ignaz in Ihr Leben getreten?
Er wird jetzt 34, ist also 1984 zur Welt gekommen, in Wien, als Sohn einer Saharaui-Frau. Anna und ich waren ja öfter dort in den Lagern der geflüchteten Menschen aus Westsahara, um zu helfen, und so kamen enge Kontakte zustande. Anna hat das Kind übernommen, war Igis Mutter, aber adoptiert habe ich ihn, damit er zu seinem fremdländischen Aussehen nicht auch noch in den Sog des Namens Proksch kommen muss. Heute macht er mit Partnern sehr erfolgreich Vertical Indoor Farming, das sind Micro Greens, also Keimlinge, mit denen sie mittlerweile Spitzenlokale beliefern. Die Firma heißt Herbeus Greens, wäre nett, wenn Sie es erwähnen könnten.
Haben Sie eigentlich je gedacht, es wäre besser, kein Kind geboren zu haben?
Nein. Die Anna war ein Geschenk.
Nun ist Asthma ja auch etwas Psychosomatisches, nicht?
Verallgemeinernd wird es als "Schrei nach der Mutter" interpretiert, und das mag bis zu einem gewissen Grad schon stimmen. Nur hatten wir, Anna und ich, nach dieser Kindheit, die ich beschreibe, ein sehr enges Verhältnis. Sie hat hier im Nebengebäude gewohnt mit dem Ignaz. Gutmachen kann man allerdings nichts mehr. Was in der Kindheit erlebt wurde, bleibt einem. Aber geliebt habe ich sie immer. Nur bin ich nicht der Knuddeltyp, und sie hat wohl deshalb ihr Leben lang Menschen, die sie liebte, "geknuddelt". Ich bin nicht zum Muttersein geboren. Ich habe mit ihr wie mit einer Freundin gesprochen, sobald das ging. Vielleicht hätte sie eine Mutter nötiger gehabt.
Hat ihr Vater sie je geschlagen?
Nein. Gehaut hat er mich.
Wie hat denn die Anna auf Udos Verhaftung reagiert?
Das kommt ja im Buch nicht mehr vor. Aber seine Verurteilung und sein Einsitzen haben zu ihrem Krankheitsbild sicher sehr beigetragen.
Insgesamt frage ich mich, wie Sie zu einer solchen Serie exzentrischer Männer gekommen sind. André Heller...
...wurde von mir vorinformiert, dass er im Anna-Buch nicht gut wegkommt, und er hat gesagt: "Eh klar." Weil er weiß, wie er damals war. Aber ich hätte mich auf das dürre Bürscherl mit den vielen Haaren ja nicht eingelassen, wenn mich nicht etwas Besonderes angeweht hätte. Und wenn ich es mir so überlege, war ich ja mit zwei der spektakulärsten Männer dieses Landes vermählt. Nur, als ich sie kennengelernt habe, waren sie beide nicht spektakulär, Heller war Discjockey, Proksch Brillendesigner.
Wenn Sie nun am Burgtheater geblieben wären? Wie würden Sie sich als große, alte Dame so fühlen?
Um Himmels Willen, ich möchte nie eine große, alte Dame sein! Ja keine "Grande Dame"! Ich werde im Februar 80 und spiele seit 20 Jahren nicht mehr Theater. Abgesehen davon war ich nie nur Schauspielerin. Diese Bretter haben mir nie die Welt bedeutet. Mir bedeutet die Welt die Welt. Ich habe mich mit meinem 60. Geburtstag genau zur richtigen Zeit zurückgezogen. So wie sich jetzt die Theaterlandschaft zum Großteil auftut, möchte ich dort nicht sein
Warum?
Ich sehe tolle Filme, und die Schauspieler sind grandios, und ich erfahre etwas von Menschen. Aber das Sich-Ausstellen und Performen und Lautsein - wie es das Theater zurzeit meist fordert -interessiert mich nicht. Ich gehe mit meinen bald 80 zwar immer noch gern vor ein Publikum, aber mit meinen Liedern und meinen Texten, meinen Inhalten eben. Und wir sind meist gut besucht. Das ehrt und freut mich, ich nehme es nie als Selbstverständlichkeit.
Und dass jetzt 19 Schauspieler vom designierten Burgtheaterdirektor Kušej gekündigt werden?
Ich weiß von der derzeitigen Situation null. Ich weiß aber, dass ich damals noch unkündbar war und mit 60 blitzschnell gegangen bin, weil's nicht mehr meines war. Nur - die Schauspielerei ist trotzdem kein Sicherheitsberuf. Alle Direktoren, die ich erlebt habe, haben auch entlassen und ihre eigenen Leute gebracht. Außerdem gibt es das, was wir früher als Ensemble gekannt haben, in dieser Form nicht mehr, denke ich. Es gibt insgesamt zu viele Schauspieler, und sie gehen immer mehr zu anderen Aufgaben über, filmen, drehen ganze Serien, werden Kommissare es war richtig gut für mein Leben, dass ich mit Schauspielerei, Engagementsuche, Casting, dass ich mit all dem schon lang nichts mehr zu tun habe.
Das Nachleben bedeutet Ihnen nichts?
Schon Marie von Ebner- Eschenbach sagte: Berühmt sein ist nichts. Zu glauben, dass man der Nachwelt erhalten bleiben muss, ist hinfällig.
Was könnte sich von Ihnen denn erhalten?
Von mir? Vielleicht - wenn überhaupt - mein sogenanntes "Jahrhundertlied":
"Sollt' ich es einmal schaffen, neben dir bei mir zu bleiben, ohne mich verschließen zu müssen, dann werde ich zu dir gehen können ohne Furcht.
Sollt' ich es einmal schaffen, neben dir unbeirrbar zu bleiben, ohne um mich schlagen zu müssen, dann werde ich dich umarmen können ohne Traurigkeit.
Und sollt' ich es einmal schaffen, neben dir mich selbst zu achten, ohne mich behaupten zu müssen, dann werde ich dich lieben können ohne Schatten."
Macht Ihnen der Achtziger keine Sorgen?
Der Trick ist, dass ich jetzt schon dauernd drüber rede, das entschärft dann vieles. Kurz vor meinem Achtziger kommen vielleicht alle Musiker, mit denen ich je gearbeitet habe, mit mir auf die Bühne des Stadtsaals in Wien. Das wäre mein Fest, sonst will ich nichts. Der Endlichkeit bin ich mir absolut bewusst, ich weiche diesem Gedanken auch nicht aus. Sie kennen doch auch die Nächte, in denen man wachliegt und einem klar wird, dass das Ende absehbar ist? Nein, Sorgen macht es mir nicht, ich bin nur sehr erstaunt, wie das sein kann, dass die Frau, die da sitzt und mit Ihnen redet, plötzlich weg ist. Kein Mensch kann sich den Tod vorstellen, jede Religion fußt auf dieser Fassungslosigkeit. Ich bin Agnostikerin, glaube also nichts, schließe aber auch nichts aus. Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben. Lieber plädiere ich für eine bewusst wahrgenommene Gegenwart. Das Pläneschmieden hat sich jedenfalls aufgehört -ich wollte so gern weiter Filme machen, aber bis man das Geld beisammen hat, braucht man fünf, sechs Jahre, also sage ich mir: Erika, vergiss es. Drum beantworte ich jedes berufliche Vorhaben in fernerer Zukunft mit: "Wenn ich noch am Leben bin: gern." Ich gehe aber ganz sicher nicht als geriatrisches Wunder auf eine Bühne. Noch bin ich dort alterslos, und wenn das nicht mehr so ist, dann bleibe ich zu Hause. Schreiben möchte ich können, bis zu meinem letzten Tag. Nicht unbedingt, um herauszugeben. Aber schreiben. Niederschreiben. Das ist mein Leben.
Anna: Eine Kindheit
Der Roman. Erika Pluhar beschreibt in "Anna - Eine Kindheit" (Verlag Residenz) das schwierige Aufwachsen ihrer Tochter zwischen der schauspielenden Mutter und dem machtverliebten Vater Udo Proksch. Einfühlsam, offen, schonungslos
Erika Pluhar wurde am 28. Februar 1939 in Wien geboren, absolvierte das Reinhardt-Seminar und war ein Star des Burgtheaters, bis sie unter Claus Peymann kaum noch beschäftigt wurde und demissionierte. Heute reüssiert sie als Sängerin und Autorin. Sie war mit Udo Proksch und André Heller verheiratet. Anna war ihr einziges Kind. Erika Pluhar adoptierte Annas Ziehsohn Ignaz aus einer Saharauri-Flüchtlingsfamilie
Pluhar: 3 Bände im Schuber
Bossa A La Pluhar
Gegenüber: Roman (insel taschenbuch)
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