Im Grieskirchen der 70er-Jahre waren Emanzipation, Feminismus oder Gleichberechtigung abstrakte Begriffe. Im oberösterreichischen Bezirk im Hausruckviertel gingen vor allem die Burschen in weiterbildende Schulen, während ihre Schwestern eine Lehre machten. So war es auch bei Veronika Mallinger, der Mutter von Österreichs aktuell erfolgreichster weiblicher Popstimme Ina Regen.
Von einer Jugend auf dem Land...
Das als weiblich erachtete Talent zur Haushaltsführung wurde daheim gebraucht. Und wer nach wenigen Jahren Berufstätigkeit ohnehin heiratete und bald zur Kindererziehung daheimblieb, musste ja nicht unbedingt die Matura dafür machen, so die vorherrschende Überzeugung. Es sind Erinnerungen wie aus einer anderen Welt, wenn Veronika Mallinger im nostalgisch-gemütlichen Ambiente des Café Vollpension im ersten Bezirk von einer Jugend auf dem Land erzählt. Dabei ist sie gerade 62 Jahre alt.
Preisgekrönter Popstar
In Grieskirchens 2.772-Seelen-Gemeinde Gallspach wurde auch Österreichs preisgekrönter Popstar Ina Regen, bürgerlich Regina Mallinger, groß. Beim Kaffee - später werden sich die beiden noch mit zwei Stück Kuchen verwöhnen -hört sie aufmerksam zu, wenn die Mama heiter, aber mit Nachdruck erzählt. "Es hat sich soviel geändert seit damals! Zwei Jahre bevor ich geheiratet habe, 1978, hat der Mann noch unterschreiben müssen, wenn seine Frau arbeiten gehen wollte", sagt sie eher feststellend als wertend.
Veronika Mallinger ist eine der Frauen, denen das Jammern fremd ist, weil sie zufrieden sein können mit dem Erreichten. Sie selbst hat eine Kellnerlehre absolviert, auch wenn sie gern wie der Bruder weiter zur Schule gegangen wäre.
"Die Mama hat eine Jausenstation übernommen und zu Hause ist jede helfende Hand gebraucht worden", erklärt sie. Das hat sie damals nicht gestört. "Das war so. Ich war auf Saison und bin mit 19 Jahren in eine Haushaltungsschule gegangen. Dann habe ich geheiratet, und als die Kinder gekommen sind, war es selbstverständlich, dass ich die ersten Jahre daheimbleibe. Es hat auch keine Kindergartenplätze für unter Dreijährige gegeben."
Der Plan ist, unbequem zu sein
Die Tochter, Ina Regen, wird das mütterliche Talent zum Zufriedensein später hinterfragen. Das sei schon schade, dass der Mama so viele Chancen zu mehr Erfüllung im Leben verwehrt geblieben seien, meint sie. Die Themen Selbstbestimmung und Gleichbehandlung sind der Sängerin, die nur zwei Jahre nach dem Durchbruch mit ihrer Debütsingle auf ein Nummer-eins-Album ("Klee") und drei Millionen Youtube-Aufrufe für den Hit "Wia A Kind" zurückblickt, wichtig.
Zum Internationalen Frauentag am 8. März bringt sie deshalb mit Musikerkollegen im Wiener Konzerthaus Gedanken um Frauenbild und Feminismus auf die Bühne (siehe Kasten)."Ich bin nicht zur Feministin erzogen worden, aber mittlerweile sehe ich mich so, ja", sagt die 35-Jährige.
"Ich zwinge mich dazu, mutig und kompliziert zu sein, weil politisches Engagement und Veränderung immer unbequem sind: Würde es um nichts gehen, müssten wir uns ja nicht engagieren." Noch immer gehe es um viel, sagt sie. "Um die Zukunft, die uns alle betrifft, deshalb muss man sich auch trauen, fordernd und unbequem zu sein." Sie selbst musste das erst lernen, aber dazu später.
Selbstverständlich halbe-halbe
Als Veronika Mallinger die Tochter Ina Regen 1984 zur Welt brachte, durften Frauen seit neun Jahren ohne Zustimmung ihrer Männer arbeiten gehen. Regen war sechs Jahre alt, als die Väterkarenz eingeführt wurde und neun Jahre, als das Gleichbehandlungsgesetz in Kraft trat. Daheim hat das nichts verändert. Regen: "In der Volksschulzeit war das Schlagwort im Haushalt ,halbe-halbe'. Meine Eltern haben festgestellt, dass sie das sowieso leben."
Keinen Unterschied zu machen, alle Kinder gleich zu unterstützen und fordern, war Veronika Mallinger ein großes Anliegen. Regen hat eine Schwester, Michaela, 40, und einen Bruder, Thomas, 39, und schätzt, dass für alle die gleichen Regeln gegolten haben. "Mein Bestreben war, dass alle drei selbstständig sind", sagt die Mutter. Dass auch der Sohn zu Hause kochen und putzen gelernt hat, gehört dazu. Mit der Kindererziehung hat sich Veronika Mallinger wohl von den eigenen Erfahrungen emanzipiert.
Eine möglichst gute Ausbildung für alle Kinder war ihr zweites Hauptaugenmerk: "Eine gute Ausbildung, damit ihnen möglichst viele Türen offen stehen."
Gleich und doch verschieden
Vermutlich folgt es einem Naturgesetz, dass just diese Prioritäten der klug reflektierenden Mama zur Reibungsfläche der Tochter wurden: An der Betonung von Selbstständigkeit und beruflicher Sicherheit kiefelt Regen noch manchmal. "Wer viel einpacken kann, muss auch viel tragen können", war Mamas Motto. Es mit Leichtigkeit zu leben, fällt der berühmten Tochter heute schwer. "Ich habe mein Leben gern allein im Griff und lass mir nicht gern etwas sagen. Die Schattenseite ist, dass es mir schwerfällt, Hilfe anzunehmen oder um Hilfe zu fragen. Ein Lernprozess", sagt Ina Regen.
Ihre Entscheidung, es mit Dialektpop und solo zu wagen, vertrug sich nur schwer mit dem mütterlichen Wunsch nach beruflicher Sicherheit und Unabhängigkeit für die Kinder: zwei feministisch motivierte Gedanken und so verschieden. Es ist eine Erkenntnis, die Regen für wichtig erachtet. "Es gibt nicht den einen Feminismus, wie es nicht das eine Frauenbild gibt", sagt sie. Feminismus bedeutet für die Sängerin, "eine Freiheit zu entwickeln, in der jede Frau die sein darf, die sie sein möchte".
Wenn dadurch verschiedene Ansichten aufeinanderprallen, reden sich die Mallingers das am Küchentisch aus. "Wir schenken uns nichts", beschreibt die Tochter. "Die Diskussionsrunden gehen manchmal vom Frühstück bis zum Nachmittagskaffee", ergänzt die Mutter.
Unpopuläre Entscheidungen treffen
Zum Mut, den es braucht, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, gehöre auch die Angst, weiß Ina Regen. "Das lerne ich: dieses Gefühl, dass mein Weg richtig ist, auch wenn ihn jemand anders für falsch hält", erzählt sie.
Es gelingt ihr im Zuge der Arbeit am zweiten Album "Rot"(erscheint im Herbst) immer besser. "Etwas nicht zu tun, weil man scheitern kann, ist keine Option. Ich denke dann zehn Jahre in die Zukunft und überlege, welche Geschichte besser ist: die, in der ich es probiert habe oder die, in der ich immer noch davon träume."
Als neue Single veröffentlicht Regen "Leuchten", eine Hymne auf Veränderungen zum Internationalen Frauentag. Weil Feminismus auch Veränderungen bedingt, die schmerzhaft sein können. Ein Gespräch mit Freunden über die Aufteilung der Babykarenzzeit hat der Sängerin das gezeigt. "
Der Vater hat sich gefreut, in Karenz gehen zu können, aber für die Mama war es eine Herausforderung, kostbare Zeit mit dem Baby an ihn abzutreten", beschreibt Regen. Das zeige, sagt sie, dass jede gesellschaftliche Veränderung auch Auswirkungen hat, die überraschen: "Nur die Rosinen gibt's für keine Seite."
Dass die vielen neuen Möglichkeiten der Töchter auch als Herausforderung daherkommen, ist Veronika Mallinger klar: "Sie machen das Leben auch komplexer und damit schwieriger." Regen träumt dennoch groß vom Glück zwischen Karriere, Kind und Partnerschaft.
"Mir ist bewusst, dass es ein Drahtseilakt wird, meine Karriere und private Lebensziele zeitgerecht unter einen Hut zu bringen. Und dass es, wenn ich das Glück habe, Mama sein zu dürfen, auch eine Herausforderung wird. Ich werde diese sehr unterschiedlichen Rollen recht individuell gestalten müssen. Ich glaube nicht, dass ich die konventionellen Rollenbilder für mich uneingeschränkt übernehmen kann oder will." Das freudvolle Wachsen an Herausforderungen scheint aber ohnehin das besondere Talent von Mutter und Tochter.