Rund 140.000 Menschen in Österreich leiden laut dem im Juli 2022 erschienenen "Demenzbericht" an Demenz. Bis zum Jahr 2050 könnten es 260.000 sein. In zwei Drittel der Fälle gilt die Alzheimer-Erkrankung als Ursache. Das müsste nicht sein! Mit einer gesunden, aktiven Lebensweise kann man das Alzheimer-Risiko um bis zu 40 Prozent senken.
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Stellen Sie sich vor, Sie wissen nicht mehr, wo Sie zuhause sind, geschweige denn wie Sie heißen ... Die Zahl der von Alzheimer Betroffenen wächst rapide. Das müsste nicht sein, kann doch jeder Einzelne mit den richtigen Maßnahmen das Risiko einer Demenzerkrankung senken oder zumindest den Erkrankungsverlauf verlangsamen. Welche Formen der Demenz gibt es? Wie können wir ihr entgegensteuern? Und was führt uns zielgerade in die Erkrankung? News.at befragte Prof. Peter Dal-Bianco, den ehemaligen Leiter der Ambulanz für Gedächtnisstörungen der MedUni Wien.
Formen der Demenz - Übersicht
Die häufigste und wohl auch bekannteste Form der Demenz ist Alzheimer. An ihm leiden Dal-Bianco zufolge rund 60 Prozent der Demenz-Patienten. Platz zwei bzw. drei belegen die vaskuläre Demenz mit sieben bis 20 Prozent und die Lewy-Körperchen-Demenz mit sieben bis 15 Prozent. Mit drei bis fünf Prozent ist die Frontotemporale Demenz, kurz FTD, die seltenste, gewissermaßen aber auch heimtückischste Variante demenzieller Erkrankungen.
Frontotemporale Demenz
Bei Menschen, die an frontotemporaler Demenz, kurz FTD oder auch Morbus Pick genannt, leiden, funktionieren das Denken, das Erinnern und die Orientierung anfangs noch recht gut. Dafür treten recht bald andere für die Erkrankung typische Symptome auf. Es gibt unterschiedliche Arten der FTD. Je nachdem, um welche es sich handelt, stehen entweder Verhaltensauffälligkeiten oder Sprachstörungen im Vordergrund.
FTD vom Verhaltenstyp
Vom Verhaltenstyp der frontotemporalen Demenz Betroffene zeigen ein distanzloses, oft grobes Verhalten, sind leicht reizbar, werden untergriffig und schöpfen immer tiefer aus einem ordinären Vokabular. Die Distanzlosigkeit kann sich dem Experten zufolge auch auf sexueller Ebene manifestieren. So neigen manche Patient:innen zu Exhibitionismus. Das Heimtückische an der FTD ist die Tatsache, dass der bzw. die Betroffene nicht einsieht, dass er bzw. sie krank ist. Eine wirksame Therapie gibt es bis dato nicht. Häufig endet die Krankheit innerhalb von zehn Jahren tödlich.
Primär progressive Aphasie
Die primär progressive Aphasie - kurz PPA -, wiederum zieht das Sprachzentrum in Mitleidenschaft. Bei dieser Form der frontotemporalen Demenz gerät der Patient bzw. die Patientin beim Sprechen immer häufiger ins Stocken, es kommt zu Schreib- und Benennungsstörungen einerseits und Wortneubildungen anderseits. Neben der Wortfindung kann auch die Fähigkeit zum Nachsprechen gestört sein.
Semantische Demenz
Im Gegensatz dazu sind von der sogenannten semantischen Demenz Betroffene sehr wohl in der Lage, flüssig zu sprechen. Sie können Worte nachsprechen, vorlesen und schreiben - verstehen ihren Sinn aber nicht. Dementsprechend inhaltsleer ist das von ihnen Gesagte oft. Die Patient:innen haben Schwierigkeiten, Dinge zu benennen, und neigen dazu, neue Worte zu kreieren. Oft erkennen sie auch vertraute Gesichter nicht mehr.
Vaskuläre Demenz
Den Rang der zweit- bzw. dritthäufigsten Demenzart teilen sich die vaskuläre und die Lewy-Körperchen-Demenz. Die vaskuläre Demenz kann als Folge von Durchblutungsstörungen, etwa nach einem Schlaganfall, auftreten. Personen, die an dieser Form der Demenz leiden, haben oft auch Bluthochdruck und/oder Diabetes. Erhöhte Blutfette, erhöhte Harnsäure und Rauchen steigern das Erkrankungsrisiko. Mit anderen Worten: Alles, was dem Herz-Kreislaufsystem nicht gut tut, begünstigt die vaskuläre Demenz. Anfangs äußert sich die Erkrankung meist in Form von Aufmerksamkeitsproblemen, verlangsamtem Denken und Persönlichkeitsveränderungen. Hinzukommen können Gangstörungen, der Kontrollverlust der Blase sowie Probleme mit der Sprache.
Lewy-Körperchen-Demenz
Schon ab dem 40. Lebensjahr kann die Lewy-Körperchen-Demenz auftreten. Umso langsamer schreitet sie in der Regel voran. Der Betroffene leidet unter einer gestörten Aufmerksamkeit, die Denkleistung wechselt. Es kommt zu Parkinson-ähnlichen Symptomen, wie etwa plötzlichen Stürzen, Schlafstörungen und/oder kurz andauernden Bewusstseinsstörungen. Darüber hinaus können auch visuelle Halluzinationen auftreten. Anders als bei der FTD weiß der Betroffene hier aber, dass er krank ist.
Alzheimer-Demenz
Alzheimer tritt, sofern nicht bereits eine familiäre Vorbelastung besteht, ab dem 60./65. Lebensjahr auf. In Mitleidenschaft gezogen werden in erster Linie die kognitiven Fähigkeiten: Es kommt zu Erinnerungslücken, Orientierungslosigkeit und Konzentrationsschwächen. Rund 20 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome ist die Krankheit bereits im Körper angelegt. Die schlechte Nachricht: Alzheimer kann vererbt werden. So verdoppelt sich das Risiko, wenn ein Elternteil erkrankt ist. Je weiter entfernt der betroffene Verwandte, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit genetisch weitergegeben wird. Die gute Nachricht: Mit den richtigen Maßnahmen kann das Alzheimerrisiko verringert oder zumindest der Krankheitsverlauf verlangsamt werden.
Alzheimer-Risikofaktoren
Wie bei anderen Krankheiten gibt es auch hier beeinflussbare und nicht beeinflussbare Risikofaktoren. Zu zweiteren zählen Alter, Geschlecht (Frauen erkranken häufiger als Männer) und, wie bereits erläutert, die genetische Vorbelastung. Ist diese gegeben, können mit den richtigen Maßnahmen zumindest aber der Zeitpunkt des Beginns sowie der Verlauf beeinflusst werden. Prof. Dal-Bianco streicht sieben Risikofaktoren hervor:
1. Bewegungsmangel: Bewegungsmuffel haben ein 80 Prozent höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Der Experte empfiehlt daher, dreimal wöchentlich eine Stunde körperlich aktiv zu sein, beispielsweise wandern, schwimmen oder spazieren zu gehen.
2. Zuckerkrankheit: Von Diabetes Betroffene, die sich nicht behandeln lassen, haben ein 40 Prozent höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
3. Bluthochdruck: Bei Bluthochdruck steigt das Erkrankungsrisiko um 60 Prozent.
4. Übergewicht: Hier wird es spannend! Während Übergewicht im mittleren Alter, also zwischen 30 und 60 Jahren, das Demenzrisiko erhöht, senkt es bei Personen ab 60 Jahren die Erkrankungswahrscheinlichkeit. Umgekehrt wird ab diesem Alter Untergewicht gefährlich, da es das Risiko ab dem 60. Lebensjahr begünstigt.
5. Rauchen: Studien zufolge würde eine Million Menschen weniger an Alzheimer erkranken, wenn es ein Viertel weniger Raucher gebe.
6. Geringe Ausbildung und mangelnde geistige Aktivität: Personen mit hohem Bildungsgrad, beruflicher Herausforderung, hoher Intelligenz und stimulierenden Freizeitaktivitäten haben erwiesenermaßen ein nur halb so großes Erkrankungsrisiko. Dal-Bianco rät daher, ein reges Sozialleben zu führen und sich geistigen Herausforderungen zu stellen, etwa Kreuzworträtsel zu lösen, Bücher zu lesen, Brettspiele oder ein Instrument zu spielen.
7. Depression: Liegen eine Depression oder depressive Tendenzen vor, sollte man einen Facharzt aufsuchen.
Wäre es möglich, sämtliche Risikofaktoren auf null zu reduzieren, könnte allein die Zahl der Alzheimerpatienten, wie in "The Lancet", Vol 10, Sept. 2011, berichtet wird, halbiert werden.
Gesunde Ernährung als Prävention
Zwar konnte noch nicht nachgewiesen werden, dass Omega-3-Fettsäuren, enthalten etwa in Fisch und Leinsamen, das Erkrankungsrisiko senken, dennoch empfiehlt der Experte, zweimal wöchentlich Fisch zu essen. Auf jeden Fall aber könne man mit Obst und Gemüse, vor allem mit Blattgemüse, einer Erkrankung vorbeugen. Diese beeinflussen die Gehirnleistung nachweislich positiv. Dasselbe gilt für Spermidin. Der körpereigene Wirkstoff kann entweder supplementiert oder über die Nahrung aufgenommen werden. Weizenkeime, getrocknete Sojabohnen, ein Jahr lang gereifter Cheddarkäse, Kürbiskerne und Pilze sind besonders reich an Spermidin.
Fazit
Die Menschen werden immer älter. Die Kehrseite der Medaille ist ein explosionsartiger Anstieg der Demenzerkrankungen in den nächsten 30, 40 Jahren. Die Forschung läuft Prof. Dal-Bianco zufolge auf Hochtouren. Dennoch müssen sich die Patient:innen im Moment mit Medikamenten begnügen, die lediglich auf die Linderung der Symptome bzw. die Verlangsamung des Krankheitsverlaufs abzielen. Was aber nicht heißt, dass wir tatenlos zusehen müssen. Im Gegenteil: Wir können - nein, sollen! - unsere Gesundheit selbst in die Hand nehmen und der heimtückischen Krankheit des Vergessens mit allen nur möglichen gesundheitsfördernden Maßnahmen entgegenwirken.
Filmtipp: Das Filmdrama "The Father", in dem Anthony Hopkins für seine Rolle als demenzkranker Vater mit einem Oscar prämiert wurde, zeigt auf anschauliche wie einfühlsame Weise, wie die Erkrankung den Betroffenen aus dem Leben reißt und das Leben seiner Angehörigen unweigerlich auf den Kopf stellt.
Buchtipp: In "Verwehte Erinnerung - Demenz-Patienten verstehen und begleiten" (molden verlag) geben Gabriele Vasak und Hemma Unterluggauer auf einfühlsame Art Einblick in das Leben von Demenz-Patienten, deren Angehörigen sowie Bezugspersonen. Sie informieren über die Diagnose, aktuelle Behandlungsmethoden und den Alltag mit der Krankheit, geben dabei nützliche Tipps, und - was alle Beteiligten ganz besonders brauchen - Hoffnung und Mut.
Verwehte Erinnerung: Demenzpatienten verstehen und begleiten
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