Dejan Stojanovic schuf aus Misserfolg ein Geschäftsmodell und fand seine Lebensaufgabe. In seinen "Fuckup Nights" erzählen Unternehmer, wie sie scheiterten. Internationalen Firmen verhilft er zur positiven Fehlerkultur.
Er spricht schnell und mit Nachdruck. Die Erzählungen seiner Karriere zwischen Wien und dem Silicon Valley sind getragen von einer leidenschaftlichen "Alles ist möglich"-Mentalität. Dejan Stojanovic ist der Typ Mensch, der anstelle eines Problems fünf Möglichkeiten sieht, es zu lösen. Vermutlich ist Scheitern deshalb kein Wort, das man mit ihm assoziiert. Und doch ist es untrennbar mit seiner Heldenreise verbunden. Gerade auf seiner Faszination fürs Scheitern hat Stojanovic sein Geschäftsmodell aufgebaut.
Der 42-jährige Wiener bezeichnet sich als "Failure Enthusiast". Er ist davon überzeugt, dass Fehler nicht nur zum (Geschäfts-)Leben gehören, sondern sich positiv auswirken, wenn man richtig damit umgeht. "Zu großen Erfolgsgeschichten gehören Planänderungen, Missverständnisse, unvorhergesehene Schwierigkeiten oder Fehlentscheidungen. Die Frage ist, ob man diese als Scheitern betrachtet. Oder ob man sie als Fehler sieht, aus denen man lernen kann", erklärt er. Damit formuliert er den Grundgedanken seiner Karriere als Experte für positive Fehlerkultur. Sein Job beginnt, wo sich Unternehmen entscheiden, Fehler als Lernprozesse zu begreifen.
Die "Fuckup Nights": Idee und Sprecher
Es war vor neun Jahren, als Dejan Stojanovic erstmals renommierte heimische Unternehmer bat, auf offener Bühne vor Publikum ihre Misserfolge zu schildern. "Fuckup Nights" nennt sich die Eventreihe bis heute. Jüngst sprachen dort Silvia Kaupa-Götzl, Vorständin bei der Österreichischen Postbus AG, Oliver Holle, CEO von Speedinvest, sowie Michael Schramm, der das Blockchain Competence Center für Deutschland, die Schweiz und Österreich bei EY Consulting leitet, von ihren Misserfolgen.
Benannt wurde der Abend des Scheiterns nach dem englischen Begriff "to fuck up" für "etwas in den Sand setzen". Stojanovic importierte die Idee 2014 aus Mexiko, wo es 2012 die ersten "Fuckup Nights" gab. Er hatte damals sein Jus-Studium hinter sich, ebenso das Gerichtsjahr und die Konzipientenzeit in einer kleinen Kanzlei. Anstelle des nächsten logischen Schritts - der Rechtsanwaltsprüfung -machte er Schluss mit der Juristenkarriere, um Unternehmer zu werden. Gemeinsam mit einem Freund gründete er einen Online-Marktplatz für Neufahrzeuge und wurde als Changemaker der Branche in den Medien gefeiert. Gleichzeitig holte er Unternehmer ins Rampenlicht der "Fuckup Nights".
In Wien war DiTech-Gründer Damian Izdebski 2015 einer der Ersten, die öffentlich von ihrem Scheitern und den Lehren daraus berichteten. Wie er für seinen Onlinehandel mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz zuerst gefeiert wurde, dann nach seiner Insolvenz gesellschaftlich geächtet war und schließlich mit hoch dotierten Jobangeboten aus den USA ermutigt wurde, einen Neuanfang zu wagen.
Dejan Stojanovic über die Fehlerkultur
Bei den "Fuckup Nights" gibt es damals wie heute tosenden Applaus für solche Geschichten. Wer zuhören kommt, feiert den Mut der Redner und möchte aus deren Fehlern lernen. Genau diesen Esprit wünscht sich Dejan Stojanovic quer durch die Gesellschaft. "Eine positive Fehlerkultur würde uns insgesamt wirtschaftlich erfolgreicher machen", ist er überzeugt. Und kann dies auch erklären.
Stojanovic über das Scheitern in Europa und den USA
Der Unterschied zwischen den USA und Europa im gesellschaftlichen Umgang mit Fehlerkultur sei bis heute riesig, sagt er. Während man Menschen mit neuen Ideen in den USA grundsätzlich positiv, unterstützend und ohne Gedanken ans Scheitern begegne und ihnen applaudiere, sei dies in Europa anders. "Hier wirst du gefragt: Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Was, wenn du scheiterst?", so Stojanovic. Aber: Nur wer das Scheitern nicht fürchtet, traut sich, etwas zu probieren. Vergleicht man die sozialen Auffangnetze der Neuen und der Alten Welt, wird die überbordende Wirkung von Europas negativer Fehlerkultur bis ins Kuriose deutlich: Sie hemmt stärker als die reale Angst vor wirtschaftlichem Versagen.
Vermutlich halfen dem "überzeugten Optimisten" Stojanovic seine positive Grundeinstellung und die Erfahrungen aus Dutzenden "Fuckup Nights", als sein Online-Marktplatz den Bach runterging. Der Grund? Er und seine Freunde machten alle klassischen Fehler, sagt er.
Die Top-drei-Unternehmerfehler laut Dejan Stojanovic
"Wir haben uns in die Lösung verliebt, statt das Problem, das wir mit unserer Online-Dienstleistung lösen wollten, im Auge zu behalten. Wir haben viel zu groß gebaut, weil wir ein perfektes Produkt wollten. Die von uns gebaute Lösung wurde auf dem Markt nicht wie erwartet angenommen. Doch wir hatten bereits alles Geld darin investiert. Aufgrund der Drucksituation und mangels Erfolg fingen wir an zu streiten. Es kam zum Founder Clash", erinnert sich der Gründer. "Das sind genau die Top-drei-Gründe, warum Start-ups scheitern." Diese Lehren sind den Rednern seiner Events vertraut. Die meisten berichten davon, wie die Faszination, die eigene Idee wie geplant umzusetzen, sie davon abhielt, die Idee abzuändern und zu hinterfragen. Feedback wird ignoriert. Der Misserfolg nimmt seinen Lauf.
Der zweite Fehler, den viele übereinstimmend nennen, ist das Streben nach Perfektion. Stojanovic nennt es das Rezept zum unternehmerischen Unglück, vor allem unter sich rasant verändernden Marktbedingungen. "Wenn du dich nicht mehr für dein Produkt schämst, kann es bedeuten, dass du zu viel Zeit und Ressourcen in die Entwicklung gesteckt hast und möglicherweise ein wichtiges Timing verpasst hast, um Feedback einzuholen und es anzupassen", sagt er. Zu den Topdrei-Fehlern zählt auch, sein Bauchgefühl zu ignorieren. "Die meisten haben längst gespürt, dass etwas schiefläuft, aber es versäumt, sich dem Fehler zu stellen und ihn zu korrigieren."
Das Scheitern vom Stigma befreien
Auch ihn hat das Zuhören bei seinen Events damals nicht vor dem Scheitern bewahrt. Ärgerlich, aber wahr. Der Gründer investierte danach in ein One-Way-Ticket nach Thailand und analysierte, was passiert war. "Die Realität ist, dass das Scheitern das Beste war, das mir passieren konnte." In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit begriff er den Stellenwert einer positiven Fehlerkultur.
Stojanovic analysierte auch die Zeit, die er im Silicon Valley verbracht hatte, als er drei Monate lang für das Online-Start-up dort gelernt und genetzwerkt hatte. "Amerikaner fragen: Was ist schiefgegangen und warum? Sie feilen an ihren unternehmerischen Fähigkeiten, um es noch einmal zu probieren. In Europa brauchen wir endlos viel Zeit, um uns emotional vom Scheitern zu erholen", sagt er. "Die Scham hemmt uns. Leider." Eine Umfrage, die Stojanovic kürzlich startete, bestätigte dies. Befragte sorgten sich nicht so sehr um einen möglichen Misserfolg, sondern vor allem um die Reaktion ihres Umfelds auf ein Scheitern.
Die Mission der "Fuckup Nights" hat so an Wichtigkeit gewonnen. Was als Netzwerkevent begann, verfolgt der Wien- Gründer heute als Lebensaufgabe: "Es geht darum, Scheitern politisch, gesellschaftlich und persönlich vom Stigma zu befreien, indem wir darüber reden und voneinander lernen", sagt Stojanovic. "Sometimes you win. Sometimes you learn"(dt.: Manchmal gewinnst du. Manchmal lernst du etwas), lautet das Motto. Die Nachfrage ist weltweit überragend. Die Veranstaltungsserie findet in mehr als 80 Ländern und mehr als 300 Städten statt.
Dejan Stojanovic: Seine Kunden, seine Mission
Hauptberuflich hat der Experte für Fehlerkultur für Unternehmen im In-und Ausland gearbeitet, darunter Mercedes-Benz Leasing Deutschland, Danone, Raiffeisenbank International, Österreichische Kontrollbank oder Umdasch Group. Häufig startet er seine Fehlerkultur-Workshops mit der Corporate-Version der "Fuckup Nights". Dann berichtet einer der Top-Manager von seinem Scheitern. "Ein wichtiger Eisbrecher", weiß Stojanovic.
Unternehmen, die ihn beauftragen, haben erkannt, wie wichtig eine Unternehmenskultur ist, in der experimentiert werden kann und Wissen über Misserfolge rasch geteilt wird. Laut Studien könne ein Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern durchschnittlich eine Million Euro sparen, wenn Fehler rasch und konstruktiv behoben werden, sagt er. "Den Mindset dafür müssen wir uns erarbeiten. Dafür braucht es eine Kultur ohne Schuldzuweisung", definiert Stojanovic. "Teile dein Scheitern rasch, und die Firma applaudiert dir", nennt er als Ziel.
In der europäischen Prägung der Fehleraversion, also Fehlervermeidung, erkennt er einen Vorteil. "Sein Bestes zu geben, um keine Fehler zu machen, kann sich wunderbar damit vertragen, Fehler zuzugeben und zu analysieren, wenn sie trotz allem passieren. Das könnte uns Europäer auszeichnen, wenn wir unsere Fehleraversion mit der positiven Fehlerkultur der Amerikaner kombinieren. Dann haben wir einen kulturellen Vorsprung."