So geht es, wenn man während der zweiwöchigen Weihnachtspause Entspannung von der Entspannung sucht, heißt: dem kalten Stress-Entzug noch vor Silvester mit dem Verfassen eines gutgelaunten Jahresausblicks begegnen will. Und dann stürzen die Ereignisse übereinander, wobei sich am Grundsätzlichen nicht viel geändert hat: Um die Kultur im Land ist es nicht übel bestellt. Dort, wo es verdient ist – etwa in der Staatsoper, in der „Josefstadt“ und bei den Salzburger Festspielen –, ist der Zulauf schon wieder wie damals.
Am stürmischesten ist er – womit ich bei der ersten Aktualisierungsnotwendigkeit bin –, wenn Anna Netrebko ab 14. Jänner in der Oper vier Mal die Aida singt. Selenskyj hat jetzt Sanktionen über sie verhängt, was ohne Bedeutung sein sollte: Propaganda gehört parteienübegreifend zum Arsenal jedes Krieges, und dass Anna Netrebko in der Ukraine aufzutreten gedächte, wäre mir ohnedies neu. Einmischung in auswärtige Spielpläne nenne ich allerdings anmaßend. Ich bin zuversichtlich, dass sich die publizistische Gefolgschaft für Zensoren hierzulande weiter auf Viertelweltexistenzen aus der „Blogger“-Szene beschränkt. Anna Netrebko wird jedenfalls in der nächsten Saison an der Staatsoper eine zentrale Puccini-Rolle singen und Teodor Currentzis in Salzburg attraktive Aufgaben wahrnehmen.
Mein Optimismus trübt sich allerdings ein, wenn sich die Geschicke der Wiener Festwochen so entwickeln, wie in der Vorwoche auf news.at nachzulesen war: Mit der Unbeirrbarkeit eines defekten Navigationsgeräts droht Kulturstadträtin Kaup-Hasler das einstige Prachtvehikel in die Donau zu schicken. Als Konsequenz aus dem Scheitern des Abgängers Slagmuylder kokettiert sie Informationen zu folge mit dessen Double, das man ebenso einen Hybriden des Volkstheaterdirektors Kay Voges nennen könnte: Matthias Lilienthal wurde 2020 nach nur einer Amtszeit aus den Münchner Kammerspielen komplimentiert, nachdem er das Haus auf 63 Prozent Publikumszuspruch pilotiert, namhafte Schauspieler und massenhaft Abonnenten vertrieben hatte. All das mit der schon früher bekundeten Absicht, die bürgerliche „Kunstkacke“ zu entsorgen. Seinen Abgang betrieb die CSU, doch der Einspruch des Koalitionspartners SPD gestaltete sich eher symbolisch (die „Süddeutsche“ hatte schon 2016 „Jammerspiele“ diagnostiziert, und dem plötzlichen Publikumszuwachs am Ende der Amtszeit miss traue ich entschieden).
Dabei ist Lilienthal ein interessanter Theatermann, der mit Castorf in Berlin viel geleistet hat. Aber bei den Festwochen ist er so fehl am Platz wie der gleichfalls schätzenswerte Voges am Volkstheater, das konsequent der Umrüstung auf eine Ikea-Filiale zustrebt (für Dramaturgen und Theaterpreisjuroren reichen zwei geschlossene Vorstellungen jährlich im Konferenzzimmer).
Mehr zur Causa Lilienthal lesen Sie hier:
„Bürgerliche Kunstkacke“: Übernimmt Matthias Lilienthal die Wiener Festwochen?
Nein, die Festwochen brauchen ihren veruntreuten Glanz zurück. Wie Sven-Eric Bechtolf anno Rabl-Stadler in Salzburg ihn erzeugt hat. Oder Roland Geyer, der das Theater an der Wien in Idealverfassung übergeben konnte. Barbara Frey verlässt 2023 die Ruhrtriennale. Brigitte Fürle leistet in St. Pölten feine Arbeit. Auch Matthias Hartmann und seine jetzt in Gmunden elegant auftrumpfende Nachfolgerin Karin Bergmann verstehen, was nottäte.
Lilienthal war Montag zu Gesprächen mit Festwochen-Geschäftsführerin Vakianis in Wien, doch sind für 24. Jänner noch die verpflichtenden „Hearings“ anberaumt. Der harsche Einspruch, den maßgebliche Medien gerade erheben, kann das Unglück also vielleicht noch verhindern.
Wollte ich Sie nicht auf ein gutes Kulturjahr einstimmen? Dabei bleibe ich. Wo sich die Erholung noch zögerlich anlässt, bahnt sich zumindest im empfindlichsten Fall Abhilfe an: Die eineinhalb Jahre Kusej in der „Burg“ werden fast schwerelos hinübergehen, vergegenwärtigt man sich die lang realistische Option der Vertragsverlängerung bis 2029. Die wurde nicht zuletzt von Fachjournalisten verhindert. Meine Bemühung galt speziell der Zerstreuung des strategisch verbreiteten Mythos, es gebe für Kusej keinen Ersatz: Seit dem Frühjahr wurden an dieser Stelle ständig Namen genannt. Unter anderen wurde nur hier (so viel Eitelkeit muss gestattet sein) zunächst am 1. September und dann wieder im November auf den nunmehrigen Designatus Stefan Bachmann verwiesen. Anfang Dezember, die Findungskommission hatte gerade zum Vortanzen eingeladen, war an dieser Stelle zu erfahren, der Kölner Intendant sei in Wien gesehen worden.
Auch anderweitig entwickeln sich die Verhältnisse gut: Kolportierte Kabalen des Salzburger Osterfestspielintendanten Bachler gegen sein sommerliches Pendant Markus Hinterhäuser (ein unvergleichbar größeres Kaliber) wurden von der Politik im Versuch unterbunden. Selbstverständlich war das nicht, denn der Münchner Opernpensionist Bachler hatte zuvor schon Christian Thielemann, den vielleicht größten lebenden Dirigenten, aus der Stadt intrigiert.
Und die Neuen in der Hauptstadt? Stefan Herheim hat seine vier Monate im aus gelagerten Theater an der Wien besser genutzt als Lotte de Beer die ihren in der Volksoper. Man soll ihr Zeit gönnen.