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"Die Grünen sollten ihre Stimme nützen"

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Andreas Wabl
©Bild: Matt Observe
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Andreas Wabl, anno 1986 einer der ersten grünen Nationalratsabgeordneten, hat mit seinem Neffen, dem Journalisten Stephan Wabl, ein freundschaftlich-kritisches Buch über seine Partei geschrieben. Die Grünen müssten mehr Diskussionen zulassen und Profil zeigen, findet er: "Sonst verliert man die Basis, die Wählerinnen und Wähler".

Man trifft Andreas Wabl in jener Substandard-Mezzanin-Wohnung im sechsten Wiener Bezirk, die ihm auch als Arbeitswohnung diente, als er Politiker in der Bundeshauptstadt war. Das alte Arbeitszimmer befindet sich noch fast im Originalzustand, ein alter Holzschreibtisch mit Rollladen im Eck, Bilder und Karikaturen an den Wänden. Ein Original von Gerhard Haderer zum Beispiel: Wabl, unschwer zu erkennen an seiner Haarmähne, zeigt den Mittelfinger. Eine Erinnerung an eine Episode im Parlament 1996, als Wabl Jörg Haider den Mittelfinger zeigte, nachdem dieser ihn als "Wappler" bezeichnet hatte. Die guten alten Zeiten. Eine andere Zeichnung zeigt Wabl als Klimaschutzbeauftragten von SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer.

Mehr Diskussionen

Wabl, einer der ersten acht Nationalratsabgeordneten der Grünen und der einzige, der noch lebt und aus der Partei nicht ausgetreten ist, legt dieser Tage ein neues Buch über sie vor. Entstanden ist es gemeinsam mit seinem Neffen, dem Journalisten Stephan Wabl. Es erzählt die Geschichte der Grünen aus Wabls Sicht nach und setzt sich gleichzeitig kritisch mit der aktuellen Lage der Grünen auseinander.

Zeigen sie noch genug Profil in der Regierung mit der ÖVP? Warum können sich viele junge Fridays-for-Future-Aktivisten nicht mehr mit den Grünen identifizieren? Es gehört zu den Stärken von Wabls Buch, dass seine kritische Perspektive deutlich wird, aber auch die andere Seite zu Wort kommt. Vizekanzler Werner Kogler und Klubchefin Sigrid Maurer und andere grüne Stars wie Johannes Voggenhuber, Eva Glawischnig und Peter Pilz haben Wabl und Wabl für das Buch Interviews gegeben, in denen sie ihre Sicht der Welt und der Grünen erklären.

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Karikatur in Wabls Arbeitszimmer I. Andreas Wabl als Klimaschutzbeauftragter des damaligen Bundeskanzlers Gusenbauer. Die SPÖ-Hackeln fliegen tief. Die Zeichnung von Petar Pismestrović ist 2007 erschienen © Matt Observe

Was der Altgrüne der derzeitigen Parteispitze vorwirft: Sie zeige zu wenig Profil und vergesse, wofür sie eigentlich steht. In der Partei, die jahrzehntelang für öffentlich ausgetragenen Streit und schmerzhafte persönliche Auseinandersetzungen stand, ist es seltsam still geworden, seitdem man mit der ÖVP regiert. "In einer ÖVP-Regierung mit grüner Beteiligung ist es natürlich schwer," räumt Wabl sein. "Du hast ein paar Ministerien, in denen du Verantwortung hast, aber außerhalb sind deine Gestaltungsmöglichkeiten sehr beschränkt." Grundsätzlich sei es die richtige Entscheidung gewesen, in die Regierung zu gehen, findet Wabl. "Aber jetzt sollten wir kritisch darüber diskutieren, was daran gut war und was weniger gut. Sonst verliert man die Basis, die Wählerinnen und Wähler. Ich glaube, dass mein Buch Diskussionen in Gang bringen kann und dadurch vielleicht auch wieder Wähler zurückkommen. Ich habe den Eindruck, dass diese Diskussion momentan fehlt."

Zwei Punkte sind Wabl inhaltlich wichtig. Erstens: "Der Punkt Gewaltfreiheit muss diskutiert werden. Wir sind doch nicht angetreten als Bellizisten, sondern als Friedenspartei." Und, zweitens die Frage der innerparteilichen Demokratie. "Wie hat ein Grüner aus den Bundesländern Zugang zu denen, die in der Regierung sitzen? Wo sind die Diskussionsforen? Das ist auch vernachlässigt worden. Alle sind irgendwie erleichtert, dass wir wieder im Nationalrat sind. Es war ja ein furchtbarer Kahlschlag, als wir rausgeflogen sind. In dieser Phase sind uns viele gute Leute abhanden gekommen. Dann kam der Erfolg bei der Nationalratswahl 2019, und gleich waren wir in der Regierung. Aber die parteiinterne Demokratie muss wieder gestärkt werden. Die SPÖ hat das erkannt, finde ich."

Das Buch "Was wurde aus den Grünen? Eine Spurensuche von Andreas Wabl"* (Kremayr & Scheriau) zeichnet die Geschichte der Grünen von den frühen 80er Jahren bis in die Gegenwart nach.

Eine grüne Erzählung

Und die Grünen sind Wabl zu leise geworden. Zu pragmatisch. Zu wenig bemüht, ihre politischen Visionen zu kommunizieren. "Sie sollten ihre Stimme nützen. Als wir damals das erste Mal ins Parlament eingezogen sind, war es toll für uns, dass wir bei unseren Pressekonferenzen nicht mehr alleine herumgesessen sind, sondern dass auf einmal fünf Mikrophone und ein paar Fotografen und Kameras da waren. Werner Kogler hätte jetzt noch viel größere Möglichkeiten, als wir sie damals hatten. Und er hat die Kompetenz dazu. Für mich ist er der kompetenteste Politiker in der gesamten Regierung. Er hat die längste politische Erfahrung und kennt das politische Geschäft in- und auswendig. Er weiß, wie das Spiel geht. Er müsste bei den Themen, bei denen die Grünen keine Handlungsmacht haben, wenigstens immer ganz klar erzählen, was die grüne Position dazu ist. Auch wenn die ÖVP das nicht will. Aber von den Grünen kommt oft nichts, weil sie die Regierungsatmosphäre nicht stören wollen."

Mit dieser mangelnden Sichtbarkeit hänge auch zusammen, glaubt Wabl, dass die Grünen trotz immer stärkerer Evidenz, dass sich die Klimakrise zu einem massiven Problem für unsere Lebensgrundlagen auswächst, in Umfragen nicht über zehn, zwölf Prozent hinauskommen. Zuletzt lagen sie sogar bei neun.

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Karikatur in Wabls Arbeitszimmer II. 1996 zeigte Andreas Wabl dem damaligen FPÖ-Obmann Jörg Haider im Parlament den Mittelfinger. Haider hatte ihn zuvor als "Wappler" bezeichnet. Ein Werk von Gerhard Haderer © Matt Observe

"Als Wähler oder Wählerin möchte man sich identifizieren mit denen, die in der Regierung sind. Und wenn nicht kommt, was man sich erwartet hat, wendet man sich enttäuscht ab. Das sieht man als Außenstehender besser. Als Politiker hat man Zehn-, Zwölf- oder 20-Stunden-Tage, man schläft kaum und hat das Gefühl, man tut eh alles, was möglich ist. Und dann kommt irgendwer daher und sagt, du machst es nicht richtig. Das verletzt zum Teil, das ärgert zum Teil, oder man ignoriert's. Aber trotzdem: Wenn du von außen nicht das Gefühl hast, dass die das wirklich unbedingt und aus ganzer Kraft wollen und dass sie mächtig sind, auch wenn sie die Prozente noch nicht haben, kriegen sie auch die Zustimmung nicht. Es geht immer auch darum, was man einer Partei zutraut. So absurd es ist: Bei Kickl hat man das Gefühl, das ist ein beinharter Hund, der kann etwas durchsetzen. Deswegen hat die FPÖ derzeit so viel Zuspruch." Die Grünen, finde Wabl, müssten wieder mehr Träume und Visionen formulieren. "Wenn ich eine leise Kritik anbringen darf."

Reaktionen

Angeregt dazu, das Buch zu schreiben, habe ihn übrigens Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, erzählt Wabl. Fischer gehört auch zu jenen Persönlichkeiten, die er gemeinsam mit seinem Neffen für das Buch befragte. Dass es genau ein Jahr vor der nächsten Nationalratswahl erscheint, sei nicht geplant gewesen, aber "zufällig ein sehr guter Zeitpunkt. Einige Grüne sind sehr froh darüber. Gerade, die, die kritisch sind und eine Diskussion über die grünen Inhalte vermissen."

Und die anderen? Ist jemand böse über seine öffentliche Spurensuche? "Auf das warte ich noch. Die, die zu wenig vorkommen, sind sowieso bös. Die, die vorkommen, aber nicht gut vorkommen, sind auch bös. Und die, die gut vorkommen, die freuen sich natürlich."

ZUR PERSON
Andreas Wabl, geboren 1951, ist Mitbegründer der Grünen. Er war 1986 einer der ersten grünen Nationalratsabgeordneten und später auch Klubobmannn seiner Partei. Von 2007 bis 2008 arbeitete er als Klimaschutzbeauftragter von SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 38/2023.

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