Herr Korschil, wie sind Sie zu Alexander Van der Bellen gekommen?
Wir kennen uns aus der gemeinsamen Zeit im Parlament. Als er dann 2015 seine Präsidentschaftskandidatur überlegte, hat er gefragt, ob ich im Fall des Falles ins engste Wahlkampfteam komme. Nach seinem Wahlsieg habe ich ohne lange nachzudenken zugesagt, als er mich gebeten hat, ihn als Büroleiter in die Hofburg zu begleiten.
Was beeindruckt Sie an Alexander Van der Bellen – als Mensch und als Präsident?
Seine Gelassenheit, seine Ruhe und seine Zuversicht. Damit hat er etwa die Ibiza-Krise gemeistert, das war schon beeindruckend. Er denkt gründlich über aktuelle Entwicklungen nach, hat einen immensen Weitblick. Er nimmt sich in Gesprächen immer sehr viel Zeit, hört sehr genau zu, lässt andere Meinungen gelten und ist auch bereit, seine eigenen zu hinterfragen. Das zeichnet ihn aus und ist eher ungewöhnlich für einen Politiker. Er hat dadurch eine natürliche Autorität, die einem schon Respekt abnötigt.
Was schätzt Herr Van der Bellen an Ihnen?
Meine Meinung, gerade auch dann, wenn Sie sich von seiner unterscheidet.
Welche Charaktereigenschaften würden Sie sich zuschreiben?
Teamplayer, meist gut gelaunt, neugierig, offen und verlässlich.
Wie reagieren Menschen, wenn Sie Ihnen zum ersten Mal erzählen, für wen Sie arbeiten? Und welche Frage wird Ihnen dabei oft gestellt?
Meist mit Respekt und Sympathie gegenüber dem Bundespräsidenten. Und viele sagen, ich möge ihm ausrichten, dass er seinen Job bitte weiterhin mit so viel Gelassenheit und Ruhe ausüben soll.
Wie dürfen wir uns einen typischen Arbeitstag bei Oliver Korschil vorstellen?
Den typischen Tag gibt’s eigentlich nicht, das Spannende an dem Job sind die ständig neuen Herausforderungen. Aber ein halbwegs normaler Tag in Wien kann z.B. so ausschauen: Aufstehen, eine Runde laufen, ins Büro radeln, 8h Lagecheck (Politische Berichte, Medien, Social Media, Mails), 9h Besprechung mit Kolleginnen, erste Telefonate, 10h Team-Meeting mit dem Chef, anschließend Begleitung des Bundespräsidenten bei Terminen, etwa ein Gespräch mit einem Minister oder ein Betriebsbesuch, Besprechungen, Telefonate, Treffen mit externen Leuten usw.
Begleiten Sie den Bundespräsidenten auch auf Reisen/Terminen? Wenn ja: Welche Begegnung hat bei Ihnen besonderen Eindruck hinterlassen?
Die Begleitung des Bundespräsidenten teilen wir uns im Team auf. Natürlich sind Auslandsreisen oft besonders spannend, Gespräche mit Staatschefs bei der UNO-Generalversammlung in New York im Halbstundentakt oder der Staatsbesuch mit großer Wirtschaftsdelegation in China. Genauso lehrreich und wichtig sind aber auch die zahlreichen Gespräche in den Bundesländern, sei es mit Bürgermeistern, CEOs, Landwirten oder Vertretern von Vereinen aus der Zivilgesellschaft. Besonders beeindruckt mit ihrer unbeeindruckbaren Art hat mich Greta Thunberg. Eine junge Frau hat die Umweltkrise ganz oben auf die Agenda der Welt gesetzt.
Ihr Job erfordert wohl ein hohes Maß an Diskretion. Bleiben Sie auch bei hartnäckigen Fragen aus dem Bekannten- und Freundeskreis standhaft?
Höchste Vertraulichkeit ist selbstverständlich, das verstehen und wissen auch Freunde und Familie. Privat rede ich außerdem gerne auch über andere wichtige Dinge des Lebens.
Sie kennen Alexander Van der Bellen als ehemaliger Grünen-Politiker vermutlich schon lange. Wie sehr hat er sich über die Jahre verändert?
Das was ihn ausmacht, hat sich, finde ich, über all die Jahre nicht wesentlich verändert: das Verbindende, Optimistische, seine an den Grundwerten Freiheit, Gleichheit und Solidarität orientierte Haltung, sein Einsatz für Menschenrechte, Demokratie, Europa und Klimaschutz. Auch seinen feinen Humor hat er als Bundespräsident behalten. Mein Eindruck ist, er macht das mit viel Freude, besonders dann wenn's knifflig wird.
Haben Sie Alexander Van der Bellen jemals ratlos oder verzweifelt erlebt?
Nein, ratlos ist man nur, wenn man niemanden um Rat fragt. Alexander Van der Bellen schätzt den Rat seines Teams, von Expertinnen und Experten und besonders auch von jungen Leuten. Und er mag schwierige Situationen, da läuft er zur Hochform auf. Wenn ihn was zur Verzweiflung bringen kann, dann sind es manchmal die hochritualisierten Routinen des Staatsprotokolls (lacht).
Wie würden Sie die Stimmung in der Präsidentschaftskanzlei in den Tagen, als das Ibiza-Video veröffentlicht wurde und zu Beginn der Corona-Krise beschreiben? Wie kann man sich das vorstellen?
Uns war von Anfang an klar: Das wird jetzt kein Spaziergang, wir betreten Neuland. Wir haben hochkonzentriert und fokussiert Tag für Tag und Schritt für Schritt in unzähligen Besprechungen jede einzelne Entscheidung gut abgewogen. Die Bundesverfassung hat uns Orientierung gegeben und der Bundespräsident hat mit der richtigen Mischung von Augenmaß und Entschlossenheit agiert.
Was ist im Büro des Bundespräsidenten besonders verpönt?
Dem Chef in einem Gespräch zuzuflüstern, dass der nächste Termin schon wartet (schmunzelt). Ernsthaft: die Arbeitsatmosphäre ist sehr kollegial und professionell. Das Team weiß, was geht und was nicht. Der Chef lässt uns viel Freiraum, überträgt seinem Team damit auch viel Verantwortung.
Über was wurde im Büro zuletzt herzlich gelacht?
Ich glaube wir haben über uns selbst gelacht, nachdem eine Sache nicht rund gelaufen ist. Gelacht wird viel, Humor gehört bei uns sozusagen zum Betriebsklima.
Geben Sie uns einen Einblick in das Büro des Präsidenten. Hat Herr Van der Bellen Fotos auf seinem Schreibtisch stehen?
Das Arbeitszimmer des Präsidenten ist eine Mischung aus rot-weiß-goldener Habsburg-Atmosphäre, wandfüllenden historischen Gemälden und modernen Möbeln als Kontrapunkt. Am Schreibtisch sehen Sie Akten, Bücher, stets auch eine Espresso-Tasse. Eine Donald Duck Figur erinnert an die heiteren Seiten des Lebens und daran, dass, wenn mal was nicht klappt, das Leben trotzdem weitergeht.
Ganz ehrlich: Ist der Schreibtisch immer aufgeräumt?
Kommt drauf an, wie Sie aufgeräumt definieren. Ich würde sagen es herrscht geordnetes Chaos. Zu bearbeitende Akten, Bücher, Zeitungen, aber alles an seinem Platz.
Wie oft ist Hündin Juli im Büro? Und wer führt Sie am öftesten Gassi?
First Dog Juli ist eigentlich meistens dabei, sie gehört irgendwie zum Team und sorgt immer wieder auch für Unterhaltung. Zum Beispiel kann sie einem Botschafter, der gerade den Bundespräsidenten vor einem Staatsbesuch über die politische Lage im Gastland informiert, schon auch mal spontan auf den Schoss hüpfen, egal ob dem das gefällt oder nicht. Und der Chef lässt es sich selten nehmen, selbst mit Juli Gassi zu gehen. So eine Runde am Heldenplatz ist immer wieder auch ganz gut, um den Kopf durchzulüften oder mit Passantinnen und Passanten kurz zu plaudern.
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Bemerken Sie gleich in der Früh, ob der Chef einen guten oder schlechten Tag hat?
Er ist eigentlich meistens gut gelaunt, aber wie jeder von uns steht natürlich auch er manchmal mit dem falschen Fuß auf oder hat nach einem sehr langen Arbeitstag zu wenig Schlaf bekommen.
Und wie verhält man sich am besten bei zweiterem?
Humor hilft eigentlich fast immer.
Was für ein Chef ist Alexander Van der Bellen überhaupt?
Er wird ja oft als zurückhaltend beschrieben, ist aber im direkten Kontakt ein sehr umgänglicher und unkomplizierter Chef, hat immer ein offenes Ohr, lässt seinem Team viel Freiraum, fordert uns aber auch durch gezieltes Hinterfragen. Man kann von ihm viel lernen, aus seiner langen Lebenserfahrung, seiner Übersicht und seinem breiten Wissen über Zusammenhänge in Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte, Internationales etc.
Ihr Job ist bestimmt mit viel Stress verbunden – wie tanken Sie Energie?
Viel Bewegung in der Natur, vor allem lange Waldläufe zeitig in der Früh sind super. Zeit mit der Familie oder Freunden sind ebenso wichtig. Wenn das alles nicht hilft, um abschalten zu können, helfen die wunderbaren Geschichten, die man in so vielen Romanen entdecken kann und natürlich Musik.
Wenn Sie nicht in der Politik tätig wären, wären Sie...
Gute Frage, vielleicht DJ, ich lege gerne Platten auf, oder Reisebuchautor oder in einem spannenden Startup-Team was Neues aufbauen, das wäre schon interessant. Aber ich glaube ich würde immer wieder auf das zurückkommen, was im weitesten Sinne Politik für mich ausmacht: zu versuchen einen Beitrag zu leisten, die Welt zum Besseren zu verändern.