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"Ich liebe ihre Offenheit"

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Mutter und Sohn - "Ich liebe ihre Offenheit"
©Bild: News/ Michael Mazohl
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In ihrer Biografie erzählt Adele Neuhauser von ihrer intensiven Künstlerehe, wie sie ihren Sohn verlassen musste und daran scheiterte, eine glückliche Familie zu haben. Ihr Sohn Julian Pajzs findet, dass sie gar nichts falsch gemacht hat

Zum Backgammonspielen blieb diesmal keine Zeit. Das genießen die beiden gern zusammen wie gute Filme oder ein gutes Gespräch. Zu Letzterem trafen wir Adele Neuhauser, vor allem als "Tatort"-Kommissarin zum Fernsehstar geworden, und ihren Sohn Julian anlässlich der Präsentation von Neuhausers Biografie "Ich war mein größter Feind". Offen beschreibt sie darin dunkle Seiten ihrer Kindheit, die Suche nach dem "Ich", den tragischen Tod der Eltern und des Bruders, aber auch die wilde Zeit ihrer Ehe mit dem Regisseur Zoltan Paul, Julians Vater. Zweimal verliebte sich das Paar und trennte sich wieder. Gelebt, gearbeitet und gestritten wurde in einem ehemaligen Bahnhofsrestaurant im deutschen Dorf Polling am Waldrand -meist in angestrengten finanziellen Verhältnissen. Über die Zeit, die Neuhauser selbstkritisch betrachtet, sagt ihr Sohn, der Komponist Julian Pajzs: "Es war idyllisch." Und die Liebe in beider Augen, wenn sie einander anschauen, sagt dasselbe.

Wie ist das für den Sohn, wenn die Mama in ihrer Biografie ihre Seele offenlegt, Herr Pajzs?
Julian Pajzs: Ich habe kein Problem damit, keine Geheimnisse vor anderen zu haben. Für mich war interessant, erstmals die Familiengeschichte komprimiert vor mir zu haben; neu zu verstehen, was da wie passiert ist. Und die rührenden Abschnitte über meinen Onkel und meine Großeltern gingen mir sehr zu Herzen.

Gab es Stellen, wo Sie dachten: "Nein, Adele, das war für mich anders"?
Pajzs: Nur eine falsche Formulierung. Ein Kapitel heißt: "Kinder haften für ihre Eltern." Das bezieht sich auf ein Schild, das ich mit acht Jahren gemalt habe. Wir hatten einen Schuppen, darin habe ich mir ein Lager gebaut mit einem Schild, da stand aber: Kinder haften NICHT für ihre Eltern.
Adele Neuhauser: Aber du hast das Wort "nicht" auf "n" mit einem Punkt abgekürzt. So hatte ich das falsch in Erinnerung. Wobei: Ich finde es viel intelligenter, zu sagen: Kinder haften NICHT für ihre Eltern. Du hast vollkommen recht!

Ihr Sohn nennt Sie beim Vornamen, Frau Neuhauser. War das eine bewusste Entscheidung, nicht "Mama" sein zu wollen?
Neuhauser: Nein, gar nicht. Wir haben einfach verpasst ihm "Ma-Ma" vorzusprechen. Er hat uns von Anfang an Adele und Zoltan genannt. Ich habe irgendwann gesagt: "Es ist so schade, dass du nicht Mama zu mir sagst. Da hat er mir seine Peropero-CD signiert: "Für Mama". Oh, das war herzerweichend.

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 © News/ Michael Mazohl

An welche Zeit als Mutter denken Sie gerne zurück?
Neuhauser: Julian war zu jeder Zeit bezaubernd. Schon als er kam, war er ein "Little Buddha". Er hatte so ein weises, rührend weiches Lächeln, das hat ihm das Universum mitgegeben. Es gab viele schöne Momente in unserer Familie. Das möchte ich betonen, weil Zoltan sich beschwert hat: Es sei doch nicht alles so schrecklich gewesen, wie ich es seiner Meinung nach im Buch beschrieben habe. Dabei finde ich gar nichts schrecklich daran.
Pajzs: Absolut. Ich bin in einem kleinen Paradies aufgewachsen, direkt am Wald in einem kleinen Dorf in einem wunderschönen Haus, einem alten Bahnhofsrestaurant. Und ihr habt dort euer Ding gemacht mit Enten und Hühnern, die alle irgendwann aufgefressen wurden - vom Fuchs. Für mich war es eine wunderschöne Kindheit.

Und in der Früh fand Julian tatsächlich manchmal Zettel von Ihnen in der Küche, weil Sie noch schliefen? Da stand, dass Sie im Haus gerade einen Film drehen und Julian nichts anfassen darf?
Neuhauser: Ja, und er hat sich Frühstück gemacht, ohne etwas zu verändern, und ist in die Schule gegangen. Diese Disziplin war unglaublich. Das Haus war fertig nach den Dreharbeiten: Es stand überall knöchelhoch der Sand. Ein Ausnahmezustand.
Pajzs: Also ich habe das total genossen. Einmal bin ich aufgewacht, weil die Sonne in mein Fenster geschienen hat. Ich schaute auf die Uhr. Es war drei Uhr nachts. Da habe ich den Vorhang aufgemacht, und draußen wurde gerade eine Partyszene gedreht mit einer Wand wie ein Feuerwerk, wunderschön. Das war einfach so.

Gibt es Dinge, die Sie rückblickend bedauern, Frau Neuhauser?
Neuhauser: Na ja, das tut schon weh, wenn man weg muss für den Beruf und dann gleich für eine längere Zeit. Andererseits war es auch ein Glück, weil ich mich dort voll der Arbeit hingeben konnte, und wenn ich zu Hause war, war ich nur daheim. Aber es hat mich schon traurig gemacht, dass ich oft lange weg war. Wobei Julian und Zoltan es sich ja fein gemacht haben zusammen.
Pajzs: Vater hat ja auch viel geschrieben und konnte da sein. Insofern war das gute Arbeitsteilung. Obwohl du das Geld verdient hast und bei ihm das nicht so hingehauen hat
Neuhauser: Sag das nicht!
Pajzs: Ich hab wirklich größten Respekt vor ihm, weil er so ein wahnsinnig kompromissloser Typ ist, der einfach sein Ding durchzieht, aber auf positive Weise. Er lässt sich nicht beirren. Wenn etwas nicht funktioniert, macht er weiter, bis es nicht mehr geht, und wenn es nicht geht, macht er es trotzdem. Hut ab!

Immer, wenn mein Leben schmerzhaft war, wurde es nachher gut

Adele Neuhauser über schwere Zeiten und Schicksalsschläge

Ihre Eltern waren also das Gegenteil der heute vielzitierten "Helikopter-Eltern"?
Pajzs: Also, ich wurde schon recht autoritär erzogen. Es gab klare Regeln und Anordnungen wie: "Räum dein Zimmer auf!"
Neuhauser: Aber dafür hat Zoltan gesorgt.

Sie haben das klassische Good-Cop-Bad-Cop-Rollenspiel umgekehrt gelebt: Die Mama ist die Verwöhnende, der Papa der Strenge?
Neuhauser: Ja, weil ich diejenige war, die weg war. Ich konnte oder musste zu Hause nicht jeden Tag streng sein. Und wenn ich schon mal nach Hause gekommen bin, wollte ich Julian natürlich verwöhnen!

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 © News/ Michael Mazohl

Trotz der Tatsache, dass Sie Mutter waren, fühlten Sie sich erst nach Ihrer Stimmbandoperation richtig weiblich. Wie kam das?
Neuhauser: In jungen Jahren habe ich mir aus Selbstschutz diese burschikose Aura zugelegt. Dann hat sich viel später meine Stimme so wahnsinnig verschlechtert, klang immer tiefer, dass ich als "Herr Neuhauser" angesprochen wurde. Das hat mich sehr belastet. Mit der Operation und der neuen Stimmlage kam die Metamorphose. Ich war derselbe Mensch, wurde aber anders wahrgenommen. Durch die tiefe Stimme war ich zuvor für stärker gehalten worden, als ich war. Nun konnte ich plötzlich die Person werden, als die ich mich schon lange gesehen habe. Über diesen Umweg bin ich bei mir angekommen. Das sind keine Zufälle. Im Grunde sieht man an meinem ganzen Leben: Immer, wenn es schmerzhaft war, ist es gut geworden. Alles Tragische hatte immer seine Konsequenz im Positiven. Selbst die letzten zwei Jahre, in denen ich meine Eltern und meinen Bruder verloren habe.

Selbst dem Tod Positives abringen. - War Ihre Mutter immer so eine Mut machende Frau, Herr Pajzs?
Pajzs: Ja, sie war immer ein positiver Mensch. Obwohl ihr viel Schlimmes passiert ist, hat sie auf mich nie gewirkt, als wäre ihr das Leben schwer.

Euer Streit machte mir nie Stress. Es wurde klar kommunziert

Julian Pajsz über seinen Umgang mit elterlichen Trennungen

Als Julian elf Jahre alt war, haben Sie sich von seinem Vater getrennt, Frau Neuhauser, und sind ausgezogen. Im Tagebucheintrag haben Sie geschrieben: "Ich habe heute morgen meine Familie verlassen." Julian hat mit totalem Verständnis reagiert. Wie geht sich so etwas aus?
Neuhauser: Ich weiß, unglaublich. Aber er war immer schon so weise. Wahrscheinlich hat ihm auch geholfen, dass Zoltan und ich unsere Auseinandersetzungen so offen geführt haben, dass es ihn nicht überrascht hat, dass ich gehen musste. Manchmal waren unsere Streite vermutlich trotzdem enervierend für ihn.
Pajzs: Es hat mir aber nie Stress gemacht. Ich habe nie gedacht: "Die streiten schon wieder!" Es war immer alles klar kommuniziert. Das ist der Punkt. Ich war nie im Dunkeln. Ich denke oft darüber nach, warum es für mich okay war, weil ich Freunde habe, bei denen es anders lief. Für mich war es nie schwierig, weil ihr immer über alles mit mir gesprochen habt. Es war immer alles total klar; klar, dass das jetzt so sein muss. Zoltan war sicher sehr, sehr traurig nach der Trennung. Aber wir sind oft zusammengesessen, und ich habe ihn auch getröstet. Umgekehrt halt, als wenn Eltern zu Kindern sagen: Alles wird gut.
Neuhauser: Dass ich das so hingeschrieben habe: "Ich habe heute meine Familie verlassen." Das hebelt einen schon aus, wenn man das findet.

Sie beschreiben Streit auch als etwas Positives, weil er Standpunkte festigen und Dinge klarer machen kann. Funktioniert das wirklich?
Neuhauser: Ja, wenn es nicht verletzend wird beim Streiten. Wenn Streit mit Respekt voreinander passiert, dann kann etwas Positives entstehen.
Pajzs: Ich finde, ihr hattet eine gute Streitkultur.

Ihre Beziehung zu Julians Vater verlief genauso wie die Ihrer Eltern: Zweimal haben Sie sich ineinander verliebt, zweimal wieder getrennt - ein Familienthema quasi. Ist das nun aufgearbeitet?
Neuhauser: Ich hoffe, dass ich das aufgearbeitet habe und Julian verschont bleibt. Wir haben beide Trennungen wirklich sehr gut gemacht, weil wir uns so sehr schätzen. Ich kann sogar sagen: lieben. Das wird auch bis an mein Lebensende so bleiben - nicht nur, weil wir Julian zusammen haben, sondern weil ich Zoltan als Menschen wunderbar finde, aber es geht halt nicht zusammen. Er ist jetzt mit einer tollen Frau verheiratet, und alles ist wunderbar. Ich hoffe, dass dieser Zyklus abgeschlossen ist.

Die zweite Trennung passierte, als Julian vor der Matura stand. Frau Neuhauser zog aus, kurz darauf war der Vater auch oft weg - bei seiner neuen Freundin in Südamerika. Wie fühlten Sie sich, Herr Pajzs?
Neuhauser: Er war ja, Gott sei Dank, nicht alleine. Es war unser Freund bei ihm im Haus.
Pajzs: Es war super! Das kann man sich doch vorstellen: Ich war 18 und hatte das Riesenhaus für mich allein. Ich habe mit Freunden wie in einer WG gelebt. Und unser Freund, der auf mich aufgepasst hat, war Mathematiker und hat mir bei der Matura geholfen.
Neuhauser: Aber welche Eltern verlassen schon ihr Kind? Das gehört ja umgekehrt.

Konnten Sie da ohne schlechtes Gewissen fernbleiben, Frau Neuhauser?
Neuhauser: Es hat mich so viel Kraft gekostet, wegzugehen, dass es unmöglich gewesen wäre, nochmal zurückzugehen. Und ich wusste ja auch, dass Julian das schafft.

Gehört das zu den Dingen, die Sie sich verzeihen mussten?
Neuhauser: Irgendwann muss man abschließen. Man versucht, das auf so wenig schmerzliche Art wie möglich für alle Beteiligten zu vollziehen. Dass der Schmerz da ist, ist klar. Wenn etwas auseinanderfällt, tut es weh. Aber dem ewig nachzuhängen, bringt nichts. Es muss ja weitergehen. Es muss in etwas Positivem enden, sonst hat es ja keinen Sinn. Dann hätte ich es ja auch lassen können. Insofern ging es bei mir darum, mich wieder zusammenzubauen und Boden unter den Füßen zu kriegen.

Ihre Art, Emotionen freien Lauf zu lassne, erachte ich als wertvoll

Julian Pajsz darüber, ws die Mutter ihm mitgeben konnte

Wie geht das: sich verzeihen und weitergehen?
Neuhauser: Das ist so erschreckend einfach, wie einen Schalter umlegen. Alles gut und weg. Wenn man es wirklich fühlt. Man muss es fühlen, man kann sich nicht betrügen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Jetzt bin ich 58 Jahre, und wenn ich genau hinschaue, gelingt mir das seit einem Jahr.

Herr Pajzs, was hat Ihre Mutter Ihnen mitgegeben, das Sie als besonders wertvoll erachten?
Pajzs: Vieles. Aber spontan fällt mir ihre Professionalität beim Arbeiten ein. Sie ist immer die Erste, die den ganzen Text kann. Das ist ihre Arbeitsweise: extrem gut vorbereitet sein. Und: ihre Offenheit, ihre Art, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Du frisst nie etwas in dich rein.

Und umgekehrt: Was schätzen Sie an Ihrem Sohn besonders, Frau Neuhauser?
Neuhauser: Julian ist so ein herzlicher Mensch, er hat so ein einnehmendes Wesen. Er ist sehr professionell. Dass er sich so treu ist in seiner Arbeit, dass er so dranbleibt, sich nicht verbiegen lässt, das finde ich großartig. Und er ist ein unglaublich guter Musiker und Komponist. Da erwarte ich noch viel Spannendes. Das soll jetzt kein Druck sein.
Pajzs: Ist schon gut, wenn es Druck gibt.
Neuhauser: Wo ich dich unter Druck setze, ist, dass ich Großmutter werden will.
Pajzs: Mal schauen.
Neuhauser: Es wird passieren. Ich sage ja auch nur, dass ich bereit bin.


Julian Adam Pajzs

wurde 1987 geboren und wuchs im deutschen Dorf Polling auf. Pajzs absolvierte das Studium der Jazzgitarre in Graz und Weimar und arbeitet als Filmkomponist. Er ist mit zwei Bands erfolgreich: der Punk-Jazzband Edi Nulz sowie der Prog-Rock-Band Peropero - der Film "Breakdown in Tokyo" über deren Japan-Tour feiert im Oktober Premiere. Mit seiner Freundin, einer Sozialarbeiterin, lebt er in Berlin.

Adele Neuhauser

kam 1959 in Athen zur Welt. Sie war als Theaterschauspielerin u. a. in Münster und Regensburg erfolgreich, ebenso im Kino, u. a. unter der Regie ihres Exmannes Zoltan Paul. Mit ihm hat sie einen Sohn, Julian Pajzs. Im Fernsehen wurde sie durch "Vier Frauen und ein Todesfall" bekannt, seit 2010 spielt sie Bibi Fellner im "Tatort". Sie ist fünffache Romy-Preisträgerin.

Das Buch

In der Autobiografie "Ich war mein größter Feind" erzählt Adele Neuhauser offen von ihren Selbstmordversuchen, der Trauerarbeit nach Todesfällen und der Suche nach ihrer Weiblichkeit.

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