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Wie Putin der Nato aus der Sinnkrise half

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Vor 75 Jahren wurde der Nordatlantikpakt gegründet. Im Kalten Krieg sollte das Verteidigungsbündnis die UdSSR und den Warschauer Pakt in Schach halten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs musste man sich neue Aufgaben suchen. Doch seit Putins Angriff auf die Ukraine ist die Nato stärker als je zuvor. Plus: Österreich und sein Verhältnis zur Nato.

Hirntot – ein einzelnes Wort, 2019 hingeworfen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, und es saß. Der Nordatlantikpakt Nato war schon seit dem Ende des Kalten Kriegs in einer Sinnkrise. Gegen wen wollte man sich im 70. Jahr des Bestehens noch verteidigen? Heuer, am 4. April, begeht die Nato den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Diesmal ohne Selbstzweifel – dafür hat Wladimir Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine gesorgt. Die Nato ist seither um zwei Mitglieder – die davor neutralen Staaten Finnland und Schweden – gewachsen. Sie zeigt starke Truppenpräsenz an ihren Ostgrenzen. Nato-Staaten unterstützen die Ukraine mit Waffen. Deren Ambitionen, sich dem Verteidigungsbündnis anzuschließen, haben Putin wohl in seinen mörderischen Kriegsplänen angespornt. Selten trifft die Formulierung der „Ironie der Geschichte“ so sehr zu: „Die Nato steht so gut da wie schon lange nicht mehr“, formuliert es Franz Eder, Politikwissenschaftler an der Uni Innsbruck.

Crasht Donald Trump die Party?

Einzig Donald Trump könnte die Feierstimmung trüben, sollte er im November US-Präsident werden und seinen Drohungen in Richtung der europäischen Nato-Staaten Taten folgen lassen. Doch selbst für diesen Fall überwiegt das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Österreichs Botschafter bei der Nato, Jürgen Meindl, sagt: „Man fürchtet sich nicht. Trump war ja bereits einmal Präsident und hat den Nato-Gipfeln beigewohnt. Es ist auch seit seiner ersten Präsidentschaft einiges geschehen. Trumps Hauptforderung, dass die Nato-Staaten mehr Geld in ihre Verteidigung investieren, wird von vielen Mitgliedern erfüllt.“ Trumps Gepolter, er würde Putin geradezu einladen, jene Länder anzugreifen, die nicht genug für ihre Sicherheit ausgeben, „löst natürlich Kopfschütteln aus. Aber ich würde sagen, das wird hier entspannter gesehen, als es in den Medien diskutiert wird“, sagt Meindl. Zudem könnte der US-Präsident ja nicht allein über die Zukunft der Nato entscheiden, er ist an die Zustimmung von Senat und Kongress gebunden. „Wenn es also eine anspannte Stimmung in der Nato geben sollte, dann liegt das an der weltweit angespannten Sicherheitslage. Es ist die kritischste Situation seit 1945.“

Auch ein US-Präsident Joe Biden würde von den europäischen Nato-Ländern erwarten, dass sie sich stärker selbst um die eigene Sicherheit kümmern, sagt Politikwissenschaftler Eder. „Die Selbstverständ-lichkeit, dass die USA den Grundpfeiler der Nato bilden und den nuklearen Schutzschirm über Europa ausbreiten, nimmt ab. Die USA brauchen ein stärkeres Europa, damit sie ihre Kräfte Richtung Asien verlagern können.“

Wäre Europa in der Lage, sich selbst zu verteidigen? „Momentan nicht“, sagt Eder, „aber die Europäer haben erkannt, dass sie diese Fähigkeit herstellen müssen, und hoffen natürlich, dass ihnen die USA noch ein bisschen beistehen.“ Die meisten europäischen Nato-Länder sind auch EU-Mitglieder. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will, sollte sie es in eine zweite Amtszeit schaffen, erstmals einen Verteidigungskommissar installieren, der eine gemeinsame Position in Europa, bis hin zu Rüstungs- und Einkaufsprogrammen, herstellen soll. Leicht wird das nicht, gilt es doch, die Interessen neutraler EU-Mitglieder zu berücksichtigen.

Fragwürdige Größe

Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler an der Uni Wien, sieht die Nato in „ihrer besten Zeit seit dem Kalten Krieg“ und fügt Kritik an. „Ein Verteidigungsbündnis hat immer auch einen eingebauten Eskalationsmechanismus, denn es wird von anderen als Bedrohung gesehen.“ Deutlich gemacht hätten das die Osterweiterung der Nato und die Reaktion Russlands darauf. „Viele haben vor dieser Erweiterung gewarnt bzw. sie als Fehler gesehen“, sagt Gärtner und verweist auf den ehemaligen US-Außenminister George Kennan und CIA-Chef William Joseph Burns. „Natürlich kann sich jeder Staat sein Bündnis selber wählen“, sagt Gärtner, „aber er muss die sicherheitspolitischen Konsequenzen mitbedenken.“ Die Nato hätte die Beitrittsambitionen der Ukraine abblocken müssen, findet er. „Man hätte versuchen müssen, die Ukraine zu einem neutralen Staat zu machen.“

Die eskalierende Wirkung eines Verteidigungsbündnisses ergebe sich aus der Beistandsverpflichtung, erklärt er. Falls ein Mitgliedsstaat angegriffen wird, müssen die anderen zu Hilfe kommen. „Das hat eine Ausweitung des Konfliktes oder des Krieges zur Folge.“

Österreich und die Nato

Über einen Nato-Beitritt wird in Österreichs Politik seit Wolfgang Schüssels Zeiten nicht mehr geredet. Auch über die Neutralität, die einem Beitritt im Wege steht, will mit Ausnahme der Neos kaum jemand diskutieren. Allerdings bringt sich Österreich seit 1995 hochaktiv bei der Nato-Partnerschaft für den Frieden ein. Soldaten des Bundesheeres nehmen unter Nato-Kommando an der KFOR-Mission im Kosovo teil, die Kosten dafür betragen 31 Millionen Euro jährlich. Zehn Soldaten sollen für eine Ausbildungsmission in den Irak gehen. Auch in Bosnien und Afghanistan war man vertreten. Bedingung ist in jedem Fall, dass es für den Einsatz ein UN-Mandat gibt. Jüngste Annäherung im Gefolge des Ukraine-Kriegs: Österreich beteiligt sich am Luftabwehrschirm Sky Shield. Um der Neutralität gerecht zu werden, dürfen Waffensysteme hier aber nur vom Bundesheer bedient werden.

„Diese Zusammenarbeit wird von beiden Seiten sehr positiv wahrgenommen“, sagt Meindl. „Wir werden hier nicht als Trittbrettfahrer gesehen“, weist er einen in Österreich bisweilen geäußerten Vorwurf zurück. Mit Verteidigungsausgaben von 1,15 Prozent des BIP liege Österreich auf einem ähnlichen Niveau wie das Nato-Mitglied Belgien. Laut Regierungsbeschluss soll dieser Betrag bis 2028 auf 1,5 Prozent des BIP wachsen. „Damit wird man angesichts der Höhe des österreichischen BIP durchaus ernst genommen“, sagt Meindl.

Für Heinz Gärtner stellt sich die Frage eines Nato-Beitritts Österreichs nicht. Österreich könnte als neutraler Staat wichtige politische Beiträge leisten, meint er. Neutralität müsste aber auch „praktiziert“ werden. „Man muss ständig klarmachen, dass man eben keinem Militärbündnis beitritt, nicht fremde Truppen stationiert und nicht an fremden Kriegen teilnimmt. Würde Österreich sagen: ‚Wir wollen eigentlich der Nato beitreten‘, wäre die Neutralität sofort nicht mehr glaubwürdig.

Man muss als neutraler Staat glaubwürdig bleiben und auch nützlich. Man muss gute Dienste anbieten.“ Tut das Österreich? „Da haben wir viele Möglichkeiten versäumt“, sagt er. Seit der Initiative für ein Verbot von Nuklearwaffen gab es keine entsprechenden Aktivitäten Österreichs mehr, kritisiert Gärtner und verweist auf Katar, das als kleiner Staat eine international beachtete Vermittlerrolle aufgebaut hat. „Österreich hat den gleichen Status wie die meisten Staaten des globalen Südens, nämlich Nuklearwaffen-frei und nicht paktgebunden. Diese Brücke könnten wir nützen, das tun wir aber nicht.“

Österreichs Lebenslüge

Franz Eder ist hingegen überzeugt, dass Österreich seine Neutralität diskutieren müsse. Er verweist auf eine aktuelle Umfrage des Austrian Foreign Policy Panel Projects (AFP3) der Uni Innsbruck, die die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zu sicherheitspolitischen Themen abfragt (Sample: 3.000). Auf die Frage „Wenn Österreich militärisch angegriffen wird, sollten andere Mitgliedsstaaten der EU Österreich militärisch unterstützen?“ antworteten 72,28 Prozent der Befragten mit „definitiv“ bzw. „eher schon“. Umgekehrt sind nur knapp 14 Prozent der Meinung, wir müssten einem anderen EU-Land beistehen – unter Berufung auf die Neutralität. Eder nennt das „ein erschütterndes Ergebnis. Wir haben ein massives Solidaritätsproblem.“

Ein ähnliches Bild biete sich bei der Frage nach der „Wehrbereitschaft“. Auf die Frage „Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf Österreich, wären Sie persönlich gewillt, das Land mit der Waffe zu verteidigen?“ antworten 14,21 Prozent der Befragten mit Ja. Der überwiegende Teil der Österreicherinnen und Österreicher will das nicht. „Man muss darüber reden, was Neutralität bedeutet“, fordert Eder daher. „Das heißt nicht, dass man der Nato betritt, aber man muss den Menschen im Land die Optionen darlegen. Wenn wir nicht wehrbereit sind, dürfen wir nicht erwarten, dass uns andere helfen.“ Zudem sei fraglich, wie sehr Österreich international überhaupt als neutral wahrgenommen werde, „wir tragen ja die EU-Sanktionen mit“. Die österreichische Neutralität sei mittlerweile eine Lebenslüge. „Wir sind von Nato-Staaten umzingelt. Ein Krieg wird nicht in Österreich beginnen. Wir leisten uns einfach den Luxus, zu sagen, wir müssen nicht wehrbereit und solidarisch sein. Ob das auf Dauer geht, bin ich skeptisch.“

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 14/2024.

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