Es gibt Menschen, die können sich fast alles kaufen. Menschen wie Wenzel Schmidt zum Beispiel. Schmidt verkörpert das, was man gemeinhin eine Lokalgröße nennt. Ein hemdsärmeliger Typ, Mitte fünfzig, Großsponsor eines Fußballbundesligaklubs, Stifter einer Nachwuchsakademie, Gutsherr, ein Selfmademillionär. Der Chef eines Reinigungsunternehmens, das tausend Mitarbeiter beschäftigt, ist ein Mann mit blütenweißer Weste.
Im Sommer letzten Jahres saß Wenzel Schmidt in einem Lokal im Innviertel und hielt in einer Herrenrunde Hof. Am Rande dabei: ein Fahrschulbetreiber. Irgendwann kam das Thema Führerscheine auf den Tisch, und der Unternehmer erzählte freimütig, wie er sich dereinst via Ungarn einen C-Führerschein, also eine Lenkerberechtigung für Lastkraftwägen, besorgte. Freilich ohne jemals in Ungarn eine Fahrschulbank gedrückt oder eine Lenkerberechtigungsprüfung abgelegt zu haben. "Weil bei dir", rief Schmidt dem Fahrschulbesitzer im Scherz noch zu, "ist so etwas ja zu teuer." Es gibt Menschen, die können sich fast alles kaufen. Offensichtlich auch einen ungarischen EU-Führerschein, mit dem man seine Fahrzeuge dann problemlos durch den Euroraum pilotieren kann.
Im Internet florieren Websites anonymer Dienstleister, die mit unmoralischen Angeboten locken. Besonders dreist wird auf der Plattform "fuehrerscheinkaufen.weebly.com" geworben: "Sie haben Ihren Führerschein durch Alkohol, Drogen oder Punkte verloren? Dann kaufen Sie doch einen", heißt es dort. Und weiter: "Sie wissen nicht mehr ein noch aus, haben noch nie einen Führerschein besessen, haben Prüfungsangst oder wollen den (…) Fahrschulen Ihr sauer verdientes Geld nicht in den Rachen werfen? Dann haben wir genau das richtige Angebot für Sie!" Denn: Mit einem im EU-Ausland erworbenen Führerschein dürfe man beispielsweise "rechtssicher auch in Deutschland fahren". Der schöne Schein trügt: Leichtgläubige Kunden, die auf derlei unrealistische Offerte anonymer Onlinebetrüger einsteigen, bekommen für ihr Geld nur - zumeist nicht einmal gut - gefälschte rosarote Dokumente.
Ausgeklügeltes System
Wer sichergehen will, dass er, freilich illegal, einen echten EU-Führerschein erwirbt, der wendet sich - wie weiland Wenzel Schmidt - an Roland Riedling (Name von der Redaktion geändert), der in den letzten Jahren mit seinen Partnern den fast perfekten Führerscheinbetrug organisiert hat, wie selbst erfahrene Ermittler konstatieren. Mehreren Dutzend Österreichern pro Jahr haben Riedling und Partner mit einem ausgeklügelten Betrugssystem zu offiziellen Führerscheinpapieren aus dem östlichen Euroraum verholfen, ohne dass diese Lenkerberechtigten jemals eine osteuropäische Fahrschule von innen gesehen, geschweige denn eine Fahrprüfung abgelegt hätten.
Einst operierte die kriminelle Organisation vornehmlich in Tschechien, später in Ungarn. Derzeit ist das slowakische Bratislava die Hauptstadt für das große Scheingeschäft mit den begehrten Dokumenten im Scheckkartenformat. In Tschechien und Ungarn sind die Behörden mittlerweile achtsamer, in Bratislava laufen die dunklen Deals noch relativ gefahrlos. News hat mit Personen gesprochen, die das verbotene Spiel mitgemacht und ausführlich dokumentiert haben.
Roland Riedling ist ein korpulenter Mann mit Stoppelfrisur, der gar nicht erst verbergen möchte, dass er gern Bier trinkt. Trotzdem ist der ehemalige Handwerker ein wacher Kopf, er hat die Organisation im Griff, ebenso die vier Mobiltelefone, die er abwechselnd benutzt. Der Strippenzieher stammt aus einem Dorf im nördlichen Waldviertel, in der tschechischen Kleinstadt Budweis machte er zuletzt auch gastronomische Geschäfte; eine tschechische Firma, die den Namen eines großen Flusses trägt und an der Riedling beteiligt sein soll, macht wiederum in Immobilien; vor rund zehn Jahren soll er im tschechisch-österreichischen Grenzgebiet im Geschäft mit der Liebe tätig gewesen sein, mit einer Bar für einsame Herzen. Nebenbei, erzählt Roland Riedling seinen Kunden, habe er eine Wohnung in Ungarn, auch dort laufen gute Geschäfte - und Exfrau und Tochter in Manila. Auch die Philippinen werden in dieser Kriminalgeschichte noch eine bedeutende Rolle einnehmen.
Unterschiedliche Motive
Riedlings Kundschaft kommt vorwiegend aus Österreich, mitunter sind aber auch Deutsche darunter, die sich aufmachen, einen echten EU-Führerschein auf illegale Weise zu erwerben; oder einen bereits über Riedling oder andere dunkle Kanäle im Osten Europas bezogenen, jedoch zeitlich limitierten Führerschein problemlos verlängern zu lassen. Die Motivlage der Bedürftigen ist so unterschiedlich wie die Milieus, aus denen sie kommen: Die einen sind intellektuell nicht in der Lage, die Führerscheinprüfung zu schaffen; die anderen kämpfen mit Alkohol-, Drogen- oder anderen gesundheitlichen Problemen, Stichwort Sehschwäche, und würden auf legalem Wege keinen Führerschein mehr erhalten.
Wieder andere besitzen einen legalen Führerschein, scheuen jedoch aus gesundheitlichen Gründen die routinemäßige Untersuchung bei einem gestrengen österreichischen Amtsarzt oder Psychologen, die etwa für die Verlängerung eines Lkw-Führerscheins vonnöten ist. Einige wollen auch nur größere Gerätschaften als Autos pilotieren, ohne sich dafür im fortgeschrittenen Alter noch einmal auf den Stresstest einer Führerscheinprüfung und der dafür notwendigen ärztlichen Atteste einzulassen.
Gekeilt werden diese Führerscheinwerber von einem Geschäftspartner Riedlings, einem Oberösterreicher von drahtiger Figur, knapp 60 Jahre alt, der gemietete Oberklasseautos mit Passauer Kennzeichen fährt und für seine wertvollen Vermittlerdienste pro Mann und Nase mehrere hundert Euro Provision einstreift. Denn das Geschäft mit der Fahrerlaubnis ist für alle Beteiligten ein höchst lukratives: Für den Führerschein der Klasse C, also Lkw, verlangt Riedlings Organisation 5500 Euro plus jeweils 100 Euro für zwei kurze Reisen nach Bratislava. Ein Schein der Klasse B, das klassische Pkw-Zertifikat, wird für 3000 Euro offeriert. Bezahlt wird bar, versteht sich. Riedlings Chefverkäufer stellt dafür sogar handschriftliche Rechnungen aus. Der Betreff lautet etwa: "Dokumentenservice Osteuropa". Oder: "Wohnsitz/Dokumentenservice Slk/PH". Slk steht für die Slowakei, PH für die Philippinen.
Im Bus nach Bratislava
Der Weg zum EU-Führerschein beginnt im Spätsommer 2015 auf dem Linzer Hauptbahnhof, in einem blauen VW-Bus Caravelle mit tschechischem Kennzeichen. Riedling lenkt den Wagen und chauffiert seine Klienten geradewegs in die slowakische Metropole Bratislava, wo die Gruppe von einer Anwältin in Empfang genommen wird, die bereits alles vorbereitet hat, was man für die spätere Ausstellung eines slowakischen EU-Führerscheins benötigt: Erst wird bei der Fremdenpolizei der Aufenthalt registriert, dann bei immer wieder unterschiedlichen Notaren oder Ämtern ein Hauptwohnsitz angemeldet. Hauptwohnsitze und Adressen besorgt die Anwältin, zum Tarnen und Täuschen werden die Personen auf unterschiedliche Wohnsitze und also Ämter verteilt.
Das alles passiert nur zum Schein; die Führerscheinkäufer erfahren nicht einmal, wo genau sie offiziell logieren, sie bleiben auch an ihren Wohnorten in Österreich oder Deutschland gemeldet. Sie reisen nur zwei Mal für wenige Stunden an. Keiner lebt auch nur einen Tag tatsächlich in Bratislava, keiner bekommt Meldezettel oder andere Dokumente persönlich in die Hand. Alles läuft über die Anwältin. Der Hauptwohnsitz in Bratislava ist zwingend notwendig: Nur wer offiziell 185 Tage in der Slowakei wohnt, dem eröffnet sich hernach ein Zeitfenster, um einen ausländischen Führerschein auf einen slowakischen EU-Führerschein umschreiben zu lassen. Früher liefen diese Deals in Tschechien, dann in Ungarn. Doch dort sehen die Behörden mittlerweile viel genauer hin. Jetzt also Bratislava.
In Bratislava haben Bandenboss Riedling und seine Anwältin an diesem Sommertag 2015 unterschiedliche Typen zu betreuen: den 25-jährigen Arbeiter einer kleinen niederösterreichischen Stadtgemeinde, der für den Job zumindest den Führerschein der Klasse B benötigt, auf offiziellem Weg jedoch weder in Österreich noch in Tschechien die Führerscheinprüfung bestanden hat; einen etwa 50-jährigen Nachtclubbesitzer aus der Steiermark, der einen befristeten ungarischen Führerschein der Klassen A und B besitzt und diesen auf einen slowakischen Führerschein umschreiben und verlängern lassen möchte; einen ganz offensichtlich alkoholkranken Getränkehändler aus Süddeutschland, der einen Lkw-Führerschein braucht; oder den 24-jährigen Hilfsarbeiter einer Brauerei, der auf der Fahrt erzählt, dass er in Österreich dreizehn Mal, in Ungarn sechs Mal bei der regulären Führerscheinprüfung durchgefallen ist - wenn der junge Mann richtig gezählt hat. Und trotzdem scheint er frohen Mutes: Es kann sich nur mehr um 185 Tage handeln, bis auch er einen offiziellen EU-Führerschein in der Brieftasche stecken haben wird.
Doch woher nimmt man für den jungen Mann nun einen Führerschein, der dann in der Slowakei umgeschrieben werden kann? Wie kauft man Lkw-Führerscheine für ältere Herren, die sich keine Fahrprüfung mehr antun wollen? Hier kommen die Philippinen ins Spiel.
Tatort Manila
Roland Riedling hat das Scheingeschäft nachgerade vervollständigt. Alle paar Wochen fliegt er nach Manila, wo seine philippinische Exfrau beste Behördenkontakte unterhält. Mit im Gepäck nach Asien führt Riedling nicht nur jeweils zwei Passkopien und vier Passfotos seiner europäischen Kundschaft, sondern auch ausreichend Bargeld, immerhin müssen mehrere offizielle Stellen bestochen werden. Manila hat einen entscheidenden Vorteil: Philippinische Führerscheine werden von der Slowakei anerkannt - und können in weiterer Folge, sobald die Käufer 185 Tage lang in der Slowakei per Hauptwohnsitz zum Schein gemeldet waren, problemlos in slowakische EU-Führerscheine umgeschrieben werden.
Noch keiner von Riedlings Kunden hat in Manila jemals eine Fahrschule besucht; nur wer es sich leisten kann, macht die Reise auf die Philippinen überhaupt mit - allerdings nicht, um eine Fahrprüfung abzulegen, sondern um sich als Tourist in Bars zu vergnügen. So ein Einreisestempel im Reisepass könnte hilfreich sein, sollte es jemals zu Nachfragen offizieller Stellen in Österreich kommen. Um auf Nummer sicher zu gehen, rät Riedling den Daheimgebliebenen, aus dem Reisepass eine Seite herauszureißen, sich einen neuen Pass zu besorgen und das alte, gelochte Reisedokument zu vernichten. Somit wäre nie nachweisbar, dass der Passinhaber niemals auf den Philippinen war.
Papiere per Post
Später wird Riedlings Exfrau in Manila die frisch gedruckten philippinischen Führerscheine per Post an Riedlings Anwältin in Bratislava schicken. Nach Ablauf der 185 Tage, an denen die Kunden offiziell in der Slowakei gemeldet waren, bringt Riedling die Käufer ein zweites Mal für wenige Stunden nach Bratislava. Auch dafür kassiert er bar, 100 Euro pro Kopf. Unter Aufsicht der ortskundigen Juristin führt der letzte Weg zu nachsichtigen Allgemeinmedizinern. Alle Kunden bestehen den Test. Dann werden die Führerscheine ausgestellt. Fertig ist der beinahe formvollendete Betrug, der zumindest von Verkehrspolizisten nicht mehr enttarnt werden kann: Schließlich fahren jetzt alle mit offiziellen EU-Führerscheinen, die in Österreich nicht mehr umgeschrieben werden müssen. Auf den Ämtern in Bratislava liegen ausnahmslos von Notaren beglaubigte Dokumente; wer sollte erahnen, was auf den Philippinen wirklich gedealt wurde?
Mafiöse Strukturen
Andreas Holzer leitet im Bundeskriminalamt die Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Der Ermittler sieht "den Führerscheinbetrug eng mit mafiösen Strukturen verwoben", allerdings seien derartige Causae schwer zu ermitteln, weil der Tatort nicht in Österreich liegt. Dieses Problem bestätigt auch Rudolf Unterköfler, der als Chef der Wirtschaftskriminalisten gerade hundert Österreicher überprüfen lässt, die in Ungarn illegal einen ungarischen Führerschein erworben haben sollen: "Es gilt das Tatortprinzip. Es liegt an den hoffentlich redlichen Beamten vor Ort, genauer hinzusehen und Untersuchungen einzuleiten, wenn sie den Verdacht haben, dass Missbrauch begangen wird." Auf eine Schätzung, wie viele Österreicher überhaupt mit illegal erstandenen Fahrausweisen unterwegs sind, lassen sich die Kriminalisten nicht ein: "Das wäre Kaffeesudleserei."
Roland Riedling weilt dieser Tage wieder einmal im Ausland. News erreicht ihn über sein tschechisches Mobiltelefon, dem Vernehmen nach hält er sich wieder in Manila auf. Nach wenigen Sekunden beendet er grußlos das Gespräch.
Wenzel Schmidt, der Unternehmer aus Oberösterreich, streitet auf Anfrage alles ab. Er habe sich über die Organisation keinen ungarischen Lkw-Führerschein besorgt. Wie es dann aber sein könne, dass am 5. Jänner 2011 ein ungarisches Führerscheindokument auf ihn ausgestellt wurde, mit seinem Namen, seinen Daten, überschrieben von einem philippinischen Führerschein? Schmidt flüchtet sich in eine sonderbare Erklärung: "Da fährt jemand mit einem Führerschein von mir herum ... ich hab keine Ahnung. Da muss ich ja Anzeige machen."
Eigentlich eine gute Idee. Dann würden sich nämlich österreichische Ermittler der Sache annehmen.