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"Dass es nicht gelungen ist, Frauen in Österreich in Sicherheit leben zu lassen, macht mich wütend"

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Marlene Streeruwitz

©IMAGO/Ex-Press
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Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz schrieb ein Stück über Femizide. Das Kosmos Theater zeigte "Nachsagungen". Ein Gespräch über den Selbstwert von Frauen, männliche Machtverhältnisse und Gendern

Das Verstummen, das Schließen der Augen, das Sich-tot-Stellen war ihre Rettung gewesen. Sonst hätte er sie totgeprügelt. Elisabeth König blickt mit ihren 77 Jahren auf die Schreckensmomente ihrer Ehe zurück, als ihr der Angetraute das Leben auslöschen wollte.

Sie ist eine der Figuren, die Marlene Streeruwitz für ihr Stück "Nachsagungen" geschaffen hat. In verstörenden, virtuosen Monologen schildern Frauen, Ermordete, Überlebende und Hinterbliebene die Gewalt, die ihnen in den eigenen vier Wänden angetan worden ist. Laura Andreß und Stefan Schweigerts haben das Stück mit Gerti Drassl für das Kosmos Theater in Szene gesetzt. News erreichte Marlene Streeruwitz vor der Premiere.

Frau Streeruwitz, wie kommt es, dass Sie Ihr Stück im Kosmos Theater, einer kleinen Off-Bühne, zur Uraufführung bringen und nicht am Burgtheater?
Das müssen Sie das Burgtheater fragen.

Emmy Werner hat Ihre Stücke am Volkstheater aufgeführt. In Deutschland sind Sie auch sehr präsent.
Das Berliner Ensemble, das deutsche Theater, die Münchner Kammerspiele haben meine Stücke aufgeführt, die Theater in Wien nicht. Wie erklären Sie sich das?

Ich kann die Frage auch nur stellen. Lassen Sie uns doch auf Ihr Stück kommen. Haben Sie da reale Fälle abgebildet?
Literatur ist die einzige Möglichkeit, eine Realität zu beschreiben, die immer auch noch anders vorstellbar bleibt. Würde ich True-Crime-Storys, also echte Fälle auf die Bühne bringen, dann ist das schon geschehen. Der Mord ist passiert, und es kann nichts mehr geändert werden. Wir brauchen aber einen Ausblick, in dem das alles nicht mehr vorkommt. Dafür ist die Literatur die beste Möglichkeit. Echte Fälle wären auch so etwas wie Ausbeutung. Die Psychoanalyse hält ihre Fälle geheim. Ich finde das richtig. Die Vorstellung, dass eine Person sich in dem, was ich schreibe, wiedererkennen könnte, wäre falsch für mich. Was ich viel wichtiger finde, ist, wie unendlich groß die Zerstörung ist. Ich kann dann tagelang nicht weiterschreiben, wenn ich darüber nachdenken muss, wie die Großmutter die Kinder des Mörders aufziehen soll.

Ihr Text legt nahe, dass diese Morde zu verhindern gewesen wären. Auf welche Weise?
Der Femizid wurde lange als ganz normal angesehen. Alle waren entsetzt, betrachteten es aber als normales Ergebnis des Geschlechterkampfs. So wurden die Taten an Frauen auch noch Teil der Abwertung der Frau insgesamt. Zuallererst geht es darum, die Fälle nicht einfach abzutun. Dafür ist ein Beispiel die Stelle, in der eine Familie zu Weihnachten noch Jahre nach dem Tod eines Kindes Geschenke unter den Baum legt. Das ist genau das, was wir tun müssten. Wir müssen für alle diese ermordeten Personen dauernd Geschenke unter den Baum legen, damit sie in gewisser Weise erhalten bleiben. Es muss daran gearbeitet werden, dass über dieses Trauern das Thema nicht mehr abgetan werden kann. Das ist ein unglaublich komplexes Thema. Ich habe jetzt einen anderen Text geschrieben. Da fiel mir wieder einmal auf, dass der Habsburger Thronfolger Rudolf zuerst die junge Frau abknallt und dann sich selbst. Das ist eine Erzählung von einem Femizid. Die ist in dieser komischen Monarchie-Nostalgie ohne Bedenken eingebaut. Die Leute staunen, rufen ah und oh, wenn sie diese in Mayerling hören und gehen dann essen. Niemand denkt daran, dass diese junge Frau als Staffage oder was auch immer herhalten musste. Es sind doch immer systemische und strukturelle Gründe, die zu solchen Morden führen. Das ist Politik, die sich im Leben niederschlägt und dann kostet es das Leben. Aber es ist eine schlimme Beschreibung einer Gesellschaft, in der die Verzweiflung so groß werden kann, dass sie sich in diesen schrecklichen Taten entlädt. Das ist eine schreckliche Diagnose, die für uns alle gilt.

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NACHSAGUNGEN“. Marlene Streeruwitz’ verstörendes Stück über Femizide, Frauen, die das Schreckliche überlebt haben oder aus einer anderen Welt auf das Erlittene zurückblicken, und über Hinterbliebene. © ©Bettina Frenzel
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Laura Andreß und Stefan Schweigert haben den Text mit der virtuosen Schauspielerin Gerti Drassl im Wiener Kosmos Theater eindrucksvoll in Szene gesetzt © ©Bettina Frenzel

Bis 1938 war Scheidung in Österreich nicht möglich, ist in Ihrem "Handbuch für die Liebe" nachzulesen. Heute ist das anders. Woher dann die vielen Morde in Partnerschaften?
Zuerst einmal ist da die lange Geschichte. Die "schwarze Wolke" über der Monarchie ist schon auch die unauflösliche Ehe, die von Rom aus den österreichischen Männern diktiert wird. Den Frauen natürlich auch. Aber der Mann geht dann in die Operette, und die ist Gebrauchsanweisung für das Doppelleben, das er führt, weil er von der katholischen Kirche gebunden ist. Das ist die Geschichte des Privaten. Ich könnte mir vorstellen, dass der Hass der österreichischen Männer auf Frauen auch aus dieser Zwangssituation kommt. Ich habe den Eindruck, dass solche Historien unendlich lange Linien sind, die in der Geschichte fortwirken und, dass Frauen als eine Art Zwangsschicksal angesehen werden. Alle leichtfertigen Stammtischwitze über die Ehe benutzen doch immer noch diese historische Situation. So wird die Abwertung der Frau weitergeführt. Gesagt wird, die Frauen sollten doch Spaß verstehen …

Die Taten an Frauen wurden auch noch Teil der Abwertung

Sie schildern im Stück, dass Femizide in allen Schichten der Gesellschaft vorkommen. Wie die Geschichte eines Geigers, der seine Wut auf einen Dirigenten an seiner Frau auslässt und nicht an seiner Geige, weil das Instrument zu teuer ist.
Wir müssen den Wert der Frau neu definieren. Es muss juristische Selfcare geben, die Frauen darüber aufklärt und bestärkt, was ihnen zusteht. Eine Scheidungsanwältin hat mir erklärt, dass sie total frustriert ist, weil Frauen im letzten Augenblick oft alles dann doch dem Mann überlassen. Das ist immer wieder Selbstaufgabe. Natürlich ist der Kampf um die eigenen Rechte sehr schwierig. Aber wir leisten unseren Teil. Wir sollten auf unsere Rechte bestehen. Die Unterhaltungsindustrie allerdings etwa arbeitet konsequent dagegen. Sie suggeriert das Bild von der sich selbst aufopfernden Frau, die keine materiellen Ansprüche hat.

Haben Sie bei Ihren Recherchen herausgefunden, ob es jetzt tatsächlich mehr Frauenmorde gibt, oder wird lediglich mehr darüber gesprochen als noch vor Jahrzehnten?
Früher wurde das in die allgemeine Mordstatistik aufgenommen. Aber zum Beispiel der erweiterte Selbstmord wie der dieses Thronfolgers wird jetzt Mord und Selbstmord genannt. Es ist natürlich ein Fortschritt. Und es gibt die sehr verdienstvolle Gewaltprävention in Österreich, die aber natürlich auch von Einsparungen betroffen ist. Ich würde aber einmal fragen, wie viele Morde dadurch verhindert werden.

Gibt es eine ordentliche psychologische Betreuung für Kinder, die damit leben müssen, dass ihr Vater der Mörder ihrer Mutter ist?
Die gibt es sicher. Es sind aber wir alle, die als Gesellschaft den sicheren Raum für die Betroffenen schaffen müssen. Auch das müsste bewusster geschehen.

Haben Sie auch diesen Trend bemerkt, dass immer mehr Frauen glauben, ihr Glück in einer Ehe zu finden?
Das ist der dauernde Backlash, der sich in verschiedenen Schattenformen durch alle Ebenen zieht. Aber ich gebe zu, es ist schwierig, sich von der romantischen Liebe zu verabschieden.

In Ihrem "Handbuch für die Liebe" schreiben Sie, dass die erste Liebe ein Grundrecht des Menschen sei. Im Stück schildern Sie, was passieren kann, wenn es diese Liebe nicht gibt. Dann werden aus Ungeliebten Mörder.
"Das Handbuch für die Liebe" ist das Gegenstück meines "Handbuchs für den Krieg"*. Das Grundrecht auf Liebe bedeutete, dass der Person von Anfang an das "Leben Wollen" ermöglicht wird. Der Mord ist da das schreckliche Gegenteil im "Sterben Machen Wollen" in der Vernichtung. Dass das überhaupt vorkommt, ist eine große Tragödie in unserer eigentlich friedlichen Gesellschaft. Deshalb setze ich diese erste Zeit der Liebe als Grundrecht ein und das hieße, dass alle Bereiche der Gesellschaft sich danach richten müssten, wie diese erste Zeit gelebt werden soll. Und das hieße zum Beispiel, Kindergärtnerinnen werden besser bezahlt als Universitätsprofessoren. Wir sind in Österreich in einer extrem schlechten Situation. Bei uns haben die Männer eine solche Angst, von einer Frau ausgebeutet zu werden. Da gibt es diesen sogenannten "Playboyparagraphen", damit die Forderungen nach Alimenten nicht ins Unermessliche steigen. Dabei geht es doch um die nächste Generation, die es besser haben soll. Ich verstehe gar nicht, was der Sinn dieser Gesellschaft ist, wenn die Kinder nicht wichtig sind.

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 © Fischer

Es sei unser Grundrecht, vom Beginn unserer Existenz an, Liebe zu erfahren, konstatiert Marlene Streeruwitz in ihrem virtuos verfassten "Handbuch für die Liebe"*. S. Fischer

Wäre es nicht die Aufgabe der Justizministerin, das zu regeln? Das sollte doch das Anliegen einer grünen Politikerin und Mutter sein.
Die kann ja nicht alles auf einmal machen. In der Regierung Kurz war der verpflichtende Kindergartenplatz für Kinder zumindest einen Augenblick auf dem Tisch. Den hat dann der Parlamentspräsident wieder ausgesetzt. Damit die Probleme weiterbestehen. Frauenleben sind eben nicht so wichtig. Als Vorsitzende der Hochschülerschaft und Frühfeministin war ich in den Siebzigerjahren von der ÖVP zu Sitzungen eingeladen. Ich sagte, wenn ihr die Betreuung nicht mehr anrechnet, streicht ihr die Mutterrolle der Frauen. Genau das haben sie gemacht. Das sind alles diese Hinweise darauf, dass jene Dinge, die wir machen, nichts wert sind. Genau das ist zu ändern. Die soziale Frage muss in dieser Hinsicht gelöst werden. Wir müssen nämlich auch noch die Klimakrise in den Katalog der zu bewältigenden Fragen aufnehmen.

Sie reagieren mit Ihrer Literatur auf diese Verhältnisse.
Ich schreie eigentlich anstelle der betroffenen Person. Was Frauen leisten, wird systemisch grob unterschätzt. Dennoch reden wir uns die Sache schön. Die Machtverhältnisse sind heute eindeutig noch in den Händen der Männer. Wahrscheinlich reicht der Selbstwert der Frauen, auch wenn der sehr hoch ist, noch immer nicht aus gegen diese Dauerentwertung. Die geschieht heute jedoch diskret. Früher drückte sich die so aus, dass jemand sagte, du kannst das nicht, weil du eine Frau bist, das drückt sich heute in anderen Formen aus. Sonst würden ältere Frauen anders geschätzt werden. Es müsste niemand erwähnen, dass in Fachgesprächen jetzt eine Frau zu Wort kommt. Es müsste nicht einmal die Frage gestellt werden, ob Frauen repräsentiert werden, wie durch Gendern. Ehrlich gesagt, sind wir in einer scheußlichen Situation. Wir haben Parteien vor uns, die uns wieder aus den Gesetzen rausschmeißen wollen und uns durch die männliche Form ersetzen. Ehrlich gesagt, ich sehe da keinen rosigen Horizont.

Wie meinen Sie das?
Die FPÖ, die uns in Niederösterreich das Gendern verbieten will. Das ist doch ein Wahnsinn! Und die ÖVP macht mit.

Auch Bayern verbietet Gendern in Amtstexten.
Es gibt eine wunderbare Initiative von Leuten, die auch in der Flüchtlingsbetreuung arbeiten. #zusammenHaltNÖ is watching you. Die schreiben genau mit, was in jeder Sitzung im niederösterreichischen Landhaus wirklich gesagt wird, damit wir genau wissen, was geschieht. Ich bewundere das.

Es ist bedrückend, zugeben zu müssen, dass die besten Zeiten lange vorbei sind

Ist das Gendern nicht auch zweischneidig? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass Begriffe wie "Europäer" Frauen und Männer meinen?
Sie können nicht beides haben. Entweder sie sind auf der Welt und dann sieht man sie und es ist umständlich oder sie sind nicht auf der Welt, dann sieht man sie nicht und es ist einfach. Und ist es nicht interessant, dass bestimmte Männer sich ausgelöscht fühlen, wenn auch die weibliche Form vorkommt. Das ist doch der perfekte Nachweis dieser tiefliegenden Verachtung.

Was halten Sie vom Doppelpunkt mit Sprechpause?
Ich hab begonnen, beide Formen zu verwenden. Der Doppelpunkt ist dasselbe. Es wird sich irgendeine Form herauskristallisieren, in der wir das alles bewältigt haben. Ich stelle auch meine Texte nur mehr auf die weibliche Form ein. Das ist jetzt eine Übergangsphase.

Wie sagen Sie, das fordert einen?
Ich sage, das fordert eine.

Männer fühlen sich damit sicher nicht angesprochen.
Dann sollen sie draußen bleiben. Aber durch diese Einseitigkeit merken die dann auch, was das bedeutet, was da in der Sprache passiert. Wir machen das jetzt seit 30 Jahren, dass es immer noch so umstritten ist wie am ersten Tage, ist der schönste Beweis, dass sich nichts geändert hat. Es wäre schon ein Akt der Höflichkeit, uns diesen Platz zu lassen. Alle glauben, sie können uns mit dem Übergehen der weiblichen Form erledigen und dann ist die Sprache wieder schön, wenn die Frauen nicht beschrieben sind. Damit sind wir doch schon beim Kern des Themas. Sie müssen nicht weit gehen, um zu sehen, dass eine grundlegende Anerkennung der Existenz von Frauen in vollem Umfang noch lange nicht erfolgt ist, wenn die Repräsentation der Frau weiterhin so umstritten bleiben kann. Von Gleichstellung sind wir sowieso noch weit weg. Mich macht das sehr traurig. Dass es nicht gelungen ist, Frauen in Österreich in Sicherheit leben zu lassen, macht mich wütend. Dieses Unverständnis, diese vor Verwunderung aufgerissenen Augen, diese Versprechen von Maßnahmen. Nach jedem Femizid neu. Zuerst einmal sollten die bestehenden Möglichkeiten der Gewaltprävention erweitert und gefördert werden. Jetzt wird da gespart. Und dann müsste einfach jede politische Maßnahme auf ihre Auswirkung auf die Situation der Frauen hin untersucht werden. Bis wir gleich geachtet in diesem Land leben können. Ich frage mich manchmal wirklich, warum die uns regieren, wenn sie unser Glück ohnehin nicht wollen?

Im "Handbuch für die Liebe" schreiben Sie, dass uneheliche Kinder bis 1971, bis Bruno Kreisky Kanzler wurde, keine Ansprüche hatten.
Keine Erbansprüche an den Vater. Nichts. Solche Rechtlosigkeit ist entsetzlich. Da stellt sich die Frage, ob es genug ist, was wir haben. Ich halte die Familiengesetzgebung für nicht ideal. Die Kinderrechte müssen dann auch auf allen Ebenen eingesetzt werden. Das hieße Bildung etc. Wenn jetzt wieder das Gendern als Grundlage infrage gestellt werden kann, dann ist ja gar nichts gelungen. Und dann müssen wir das von vorne wieder aufrollen.

Kreisky war eine Lichtgestalt. 
Es ist bedrückend, zugeben zu müssen, dass die besten Zeiten lange vorbei sind.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/2024 erschienen.

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