Vom teuren Schokoriegel bis zum exklusiven Hotel: Luxusmarken von Louis Vuitton bis Gucci geben sich viel Mühe, um schon sehr junge Käufer für sich zu gewinnen - und später über Jahre bei Kauflaune zu halten.
Das günstigste Mitbringsel in der kleinen Chocolaterie im zweiten Stock des majestätischen Gebäudes in der Avenue Montaigne ist ein schmaler Schokoriegel. Hübsch verpackt im typischen Karton im Farbton "Safran Impérial" mit Logo und blauer Schleife geht der "Louis Vuitton"-Schokoriegel im Minutentakt über die holzgetäfelte Ladentheke - um 15 Euro für ein paar Gramm Schokolade. Wer im gegenüber liegenden Café Platz nimmt, muss tiefer in die Tasche greifen, bekommt dafür aber kleine Patissier-Meisterwerke wie ein Schokotörtchen mit LV-Monogram oder dem bekannten Schachbrettmotiv der Luxusmarke "instagramable" auf einem weißen Porzellanteller serviert.
Das Café "Maxime Frédéric at Louis Vuitton", benannt nach dem Chefkonditor, wurde 2022 im Stadtzentrum von Paris neben dem Hauptsitz von Louis Vuitton eröffnet und ist Teil der Ausstellung "LV Dream", die die Geschichte der Marke nachzeichnet -und die wie in jedem Museum üblich in einem Verkaufsshop mit angeschlossenem Café endet. Die berühmten (und begehrten) Handtaschen sucht man hier vergeblich. Dafür gibt es jede Menge vergleichweise bezahlbaren "Kleinkram" wie Tassen, Reiseführer und Armbänder. Vor allem jedenfalls Produkte, die den vierstelligen Preis einer Ledertasche von Louis Vuitton weit unterschreiten. Das ist gewollt. Sind doch diese Produkte der Türöffner zum teuren Markenuniversum. Denn längst haben die Luxusmarken auch junge Käufer ins Visier genommen.
Kundinnen werden immer jünger
Die Rechnung geht auf. Tätigten die sogenannten Millennials (zwischen 1980 und 1995 geboren) ihren ersten Luxuskauf zwischen 18 und 20 Jahren, steigt die Generation Z (geboren 1996-2012) bereits mit 15 Jahren in den Markt ein. "Die Kaufschwelle wurde heruntergesetzt. Ein Handy-Case kann man sich gegebenenfalls eher leisten. Auf die Limited-Handtasche muss ich sparen", erklärt Branchenexpertin Marie-Therese Marek von der Unternehmensberatung Bain & Company, die gemeinsam mit dem italienischen Luxusgüterverband gerade ein Update ihrer "Luxury Goods Worldwide Market Study" vorgelegt hat. "Den Marken geht es vor allem darum, möglichst früh Begehrlichkeiten zu wecken. Sogar die Generation Alpha (ab Geburtsjahr 2010, Anm.) wird von den Luxusmarken schon mit TikTok bespielt. Machen sie jetzt schon Zahlen aus? Nein." Bis 2030 dürfte die Generation Z laut Bain-Studie voraussichtlich 25 bis 30 Prozent der Umsätze bei Luxusgütern generieren, während der Anteil der Generation Y bei rund 50 Prozent liegt.
Die Studie zeigt auch: Der Luxusmarkt boomt wie nie zuvor. Das weltweite Marktvolumen könnte demnach bis 2030 auf bis zu 570 Milliarden Euro steigen. Gemessen an den 220 Milliarden Euro im Jahr 2020 würde das mehr als eine Verdoppelung bedeuten. "Die Branche ist stärker und schneller aus der Krise gekommen als gedacht", sagt Marek. "Insbesondere die Umsätze mit Luxuserlebnissen wie etwa exklusiven Kreuzfahrten und Hotellerie. Aber auch Luxusautos legten zuletzt kräftig zu, gefolgt von persönlichen Luxusgüten wie z. B. Accessoires, Uhren, Lederwaren, Luxuskleidung und Beauty."
Die Prognosen für das Jahr 2024 deuten auf eine Verlangsamung der Wachstumszahlen hin. Bis Ende des Jahres werde der Markt nur mehr für 65 bis 70 Prozent der Marken ein positives Wachstum generieren -gegenüber 95 Prozent 2022, sagt die Expertin. "Um weiterhin zu den Gewinnern zu gehören, müssen Marken jetzt Widerstandsfähigkeit, Relevanz und Innovationsfähigkeit unter Beweis stellen", so Marek. Laut Bain-Studie werden chinesische Kundinnen und Kunden bis 2030 einen Anteil von 35 bis 40 Prozent am Markt für persönliche Luxusgüter haben.
Von Couture bis Sneaker
Doch was macht ein Produkt zu einem Luxusgut? "Die klassische Einordnung -dieser Preis, diese Marke - gibt es nicht", sagt Marek. "Es gibt den Luxus-Einstiegsmarkt für die 'Massen', das Mittelsegment und das absolute Spitzensegment. Couture-Kleider verkaufen sie nur an eine überschaubare Kundenschicht. Aber sie verkaufen Millionen Sneaker, die zwischen 400 und 600 Euro kosten. Ist ein Handycover von Dior Luxus? Ja, im Vergleich zum normalen Handycover." Der High-End-Luxuskunde hat freilich ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, machen doch zwei Prozent der Luxuskunden 35 bis 40 Prozent der Umsätze aus.
Für alle Kunden gleichermaßen wird von den Luxusmarken zunehmend ein Universum zum Geldausgeben geschaffen. Dior etwa hat sich einen neuen Flagshipstore in Paris gegönnt - und dazu noch ein bisschen mehr. An der Ecke der Rue François Ier und der Avenue Montaigne, wo einst Christian Dior sein Modehaus etablierte, findet man jetzt eine zweistöckige Dior-Boutique mit Haute-Couture-Atelier, dazu ein Restaurant, eine Patisserie und ein 2.000 Quadratmeter großes Museum. Highlight des "Dior-Universums" ist die "La Suite Dior". Wer sie für eine Nacht mietet, bekommt auch die Schlüssel zum Stadtpalais und kann dem Vernehmen ungestört nach Ladenschluss in der Edelboutique auf Shoppingtour gehen. Kostenpunkt: 35.000 Euro für eine Nacht.
570 Milliarden Euro Das weltweite Marktvolumen in der Luxusgüterindustrie steigt laut Experten bis 2030 auf bis zu 570 Milliarden Euro
2 Prozent Schätzungen zufolge erwirtschaften etwa zwei Prozent aller Luxuskundinnen und -kunden rund 40 Prozent der Umsätze.
8 französische Luxusmarken machen ein Drittel des Umsatzes der 100 größten Anbieter aus; 23 der Top- 100-Marken kommen aus Italien
Koste es, was es wolle
Wie Dior gehört auch der Juwelier Tiffany seit 2021 zum Markenimperium der LVMH-Gruppe von Bernard Arnault -und die hat dem Herzstück der Marke ein sündhaft teures Facelifting verpasst. Auf zehn Stockwerken und in Summe rund 10.000 Quadratmetern wurde der von Tiffany in "The Landmark" umgetaufte weltberühmte Megastore auf der Fith Avanue in New York erweitert. Laut Bloomberg soll die Renovierung mindestens 250 Millionen US-Dollar gekostet haben. So viel hat LVMH - wenig überraschend -noch nie in einen einzelnen Store investiert.
"Die Brands haben längst verstanden, dass sie sich mit ihren Kundinnen und Kunden beschäftigen müssen", sagt Marek. "Vor allem aber geht es darum, ein Lebensgefühl zu transportieren und eine Marke mit Werten aufzuladen." Folglich muss man längst nicht mehr in einen Shop gehen, um mit einer Luxusmarke in Berührung zu kommen. Die weltbesten Modehäuser haben in den Sommermonaten ganze Pop-up-Beachclubs "eingekleidet". Ganz in Rot war jener von Valentino im "Palazzo Avino" an der Amalfiküste. Im ikonischen Carretto-Siciliano-Muster von Valentino konnten sich die Urlauber im "Casa Amor" in Saint-Tropez rekeln.
Auch im Hotelgeschäft sind die Marken längst aktiv -die einen früher, andere später. 2026 wird Louis Vuitton sein Hoteldebut in Paris geben. Das Art-déco-Gebäude in der Avenue des Champs-Elysées 103-111 war zuletzt das Hauptquartier einer Bank und noch im Sommer 2023 mit einem XXL-Plakat von Dior verhüllt. Mittlerweile wurde die Fassade mit einem übergroßen, verspiegelten Louis Vuitton-Koffer verbaut.
Pionier auf dem Markt der Fashion-Hotels war Versace mit dem 2000 eröffneten Palazzo Versace Gold Coast in Australien. 2010 ist Modeguru Giorgio Armani unter die Hoteliers gegangen. Das erste Armani-Hotel bezog mehrere Etagen in Dubais Wolkenkratzer Burj Khalifa. Es folgte ein Haus in Mailand, ein weiteres in Saudi-Arabien ist geplant. Das erste Hotel von Christian Louboutin wurde 2023 in Melides südlich von Lissabon eröffnet; ebenfalls 2023 eröffnete das Bulgari Hotel Roma.
Luxuriöses Netzwerk
Eine Marke zu spüren, zu riechen, zu schmecken, zu fühlen, ist das eine. Sie überhaupt erfolgreich luxuriös aufzuladen, etwas anderes. "Es gibt ein paar Regeln", sagt Marek und nennt als Beispiel die Modemarke Monclair, die in den 50er-Jahren vor allem für eines bekannt war: funktionale, warme Jacken. "Und dann hat man begonnen, Laufstegkollektionen zu machen und die Marke mit Luxury-Fashion-Werten aufgeladen. Heute kennt man Monclair als Luxusmarke."
Und was bietet man Kunden und Kundinnen an, wenn sie schon alles haben? Auch darauf haben Versace & Co. längst eine Antwort gefunden. Marek: "Dazu gehört alles, was ich nicht kaufen kann. Also der Zugang zu Erlebnissen, Netzwerken und zu Veranstaltungen, zu denen nur ein elitärer Kreis eingeladen wird."
Auch am Onlinehandel führt mittlerweile kein Weg vorbei. Hier hat man vor allem während der Pandemie viel Lehrgeld gezahlt. Gab es doch Marken wie Bulgari, die vorher gar keinen Onlineshop hatten. Lagen vor Covid die Umsätze über Onlineportale und Plattformen wie mytheresa.com bei zwölf Prozent, sind es heute zwischen 20 und 22 Prozent. Und auch Zweitverwertung auf Second Hand-("PreLoved"-)Portalen rückt in den Vordergrund. "Mittlerweile haben die Marken verstanden, dass es aus unterschiedlichen Gründen wichtig ist, hier mitzuspielen", weiß Marek. "Werden Produkte verramscht, tut das der Marke nicht gut. Also steuert man lieber selbst. Zumal über diesen Markt auch Einstiegsmöglichkeiten für nicht so zahlungskräftige Kundinnen und Kunden geschaffen werden. Das ist jetzt noch kein attraktives Geschäft, aber im Sinne der Nachhaltigkeit ist es wichtig."
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 6/2024.