Die Macht der Marken

Von Apple über Louis Vuitton bis Tesla: Sobald ein Label ein Produkt ziert, wirkt es attraktiver auf uns. Warum Marken so mächtig sind, wie wir uns über sie definieren – und wer davon profitiert.

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Psychologie - Die Macht der Marken © Bild: John Macdougall/AFP/picturedesk.com

Seine erste Markenobsession hatte Armin Bonelli mit neun Jahren: Damals hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, das Haus ohne seine Adidas-Sneaker zu verlassen. Marken faszinierten ihn schon immer, und zwar so sehr, dass er seine Leidenschaft zum Beruf machte.

Heute arbeitet der Markenstratege aus Wien mit namhaften Unternehmen, wie L’Oréal, A1, Uniqa und Microsoft. Seine jüngsten Erkenntnisse über Marken und ihre Magie hat Bonelli nun in Buchform gegossen: In "3 Streifen, 4 Ringe, 1 Apfel"* erklärt der Autor, warum Marken heute mächtiger sind denn je – und verrät auch, wie man sich aus ihren Fängen löst.

Luxus: Eine Hassliebe

Bonellis Buch richtet sich vor allem an Konsumenten: "Es gibt Hunderte Fachbücher zu diesem Thema. Aber die richten sich ausschließlich an Marketingspezialisten. Ich habe nirgendwo ein Buch gefunden, das sich an Menschen richtet, die sich die Frage stellen, warum unsere Kinder Nike-Sneakers wollen und welchen Einfluss Marken auf unsere Gesellschaft haben", so der Autor.

© Getty Images/Jeremy Moeller Luxusmarken wie Hermès arbeiten erfolgreich nach dem Konzept der künstlichen Verknappung. Gewisse Produkte erscheinen wertvoller, wenn sie nicht immer und für jeden verfügbar sind

Dass immer mehr Menschen Marken und vor allem deren Preispolitik hinterfragen, ist ein Trend, der sich schon länger abzeichnet. Auf Tik-Tok haben Videos, die sogenannte "Dupes" (dt. Duplikate) als günstige Alternative zu teuren Originalprodukten vorstellen, Millionen Aufrufe. User stellen hier zum Beispiel billige Duftalternativen vor, die sie auf Amazon gefunden haben, und werden dafür von ihrer Community gefeiert: "Es riecht genau wie das Tom-Ford-Parfum, aber kostet halt 45 und nicht 287 Euro", erklärt ein User, der mehrere Hunderttausend Aufrufe mit seinen Promo-Videos über Fakes generieren konnte.

Dennoch ist die Liebe zu Marken weltweit ungebrochen, was aktuelle Umsatzzahlen verdeutlichen: Machte Sportartikelhersteller Adidas im Jahr 2006 noch knapp zehn Milliarden Euro Umsatz, waren es 2023 bereits sagenhafte 21,43 Milliarden Euro. Luxusgigant LVMH erwirtschaftete 2009 mit seinem Modesektor noch einen Umsatz von etwa 6,3 Milliarden Euro, 2023 knackte der Geschäftsbereich die 40-Milliarden-Grenze. Während der Pandemie haben Luxushäuser ihre Preise im Schnitt um satte 25 Prozent angehoben. Die Folge: Anstatt die Marken zu boykottieren, rannten Konsumenten den Labels die Bude ein.

»Meist sind es Uhren und Taschen, die von den jeweiligen Unternehmen künstlich verknappt werden«

Armin Bonelli Markenstratege und Autor

Das könnte unter anderem an der künstlichen Verknappung der Produkte liegen, vermutet der Markenexperte. "Ein Luxusprodukt definiert sich heute nicht mehr durch seine Qualität, sondern durch einen hohen Preis und künstliche Verknappung", erklärt Bonelli. "Das ist ein simpler psychologischer Trick: Je schwerer wir an etwas rankommen, desto größer ist die Begehrlichkeit. Wenn die Barrieren zu hoch werden und die Nachfrage entsprechend groß ist, dann sucht sich der Markt neue Wege. Produktfälschungen folgen lediglich einer ökonomischen Logik. Die Kopie ist Teil des Spiels."

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Zweifelhafte Geschäftspraktiken

Dem französischen Haus Hermès droht aufgrund ebendieser Strategie in den USA derzeit sogar eine Sammelklage: Einige Konsumenten kritisierten, dass ihnen erst dann Zugang zu Hermès’ berühmtem Taschenmodell "Birkin" gewährt wurde, nachdem sie hohe Summen für andere Produkte aus den Kategorien Accessoires oder Kleidung ausgegeben hatten. Erst die Zusatzkäufe und die "Kaufhistorie" der Interessierten machten den Zugang zum gewünschten Taschenmodell somit überhaupt erst möglich. Damit verstoße Hermès gegen das Kartellrecht, so die Klagsschrift.

Doch der französische Luxushersteller ist nicht das einzige Unternehmen, das diese Verkaufstaktik anwendet: Auch bei Rolex bekommt nicht jeder unbedingt das, was er will. Das Fachmedium "The Business of Fashion" berichtete, dass manche Rolex-Modelle erst dann Interessierten zugänglich gemacht werden, wenn die Kunden zunächst fleißig bei der Tochtermarke Tudor shoppen. Trotzdem sind die Wartelisten voll und beide Marken so gefragt wie nie zuvor.

"Meist sind es Uhren und Taschen, die von den jeweiligen Unternehmen künstlich verknappt werden, um ihren Wert und ihre Begehrlichkeit zu steigern. Die Hersteller produzieren ganz bewusst geringere Stückzahlen oder legen limitierte Editionen auf, um die Nachfrage zu steigern. Das führt zu verzögerten Lieferzeiten, und es entstehen Wartelisten, die gern von den Medien aufgegriffen und in Social Media verbreitet werden, ohne dass dem Unternehmen dabei Werbekosten entstehen", weiß Bonelli. Somit schlagen Unternehmen zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits generieren sie Umsätze und obendrauf noch kostenlose Werbung. Doch wer meint, diese Strategien machen Marken in den Augen der Interessenten zunehmend unbeliebt, irrt. Bonelli erklärt in seinem Buch, dass selbst unfreundliches Verhalten von Verkaufspersonal den Kunden gegenüber zu höheren Umsätzen führen: "Menschen sind tatsächlich bereit, mehr Geld auszugeben, wenn sie zuvor schlecht behandelt wurden", so der Stratege. "Der Grund dieses Verhaltens liegt in der menschlichen Natur. Die schlechte Behandlung führt zu dem Wunsch, einem exklusiven Club anzugehören. Mit dem Erwerb eines teuren Artikels erkaufe sich der Kunde die Anerkennung und demonstriere so, für diese 'Mitgliedschaft' qualifiziert zu sein."

Marken als Religion

Bonelli geht davon aus, dass Marken eine ähnliche Faszination auf viele Menschen ausüben wie Religionen oder Kulte. In seinem Buch widmet er dieser Behauptung sogar ein ganzes Kapitel: "Ich habe versucht nachzuweisen, dass Apple-Stores und 'NikeTown' nach den gleichen Prinzipien gebaut sind wie Kathedralen. Die Lebensgeschichte von Steven Jobs liest sich ganz ähnlich wie die von Jesus und Mohammed. Es wird deutlich, dass die Marke das Produkt in eine transzendente, spirituelle Sphäre verschiebt." Doch nicht jede Marke wird automatisch zum "Kult": Marktpsychologe und Marketingexperte Gert Gutjahr geht davon aus, dass der Hype um viele, gerade junge Marken oft nur von kurzer Dauer ist. Das Grundproblem ist die Markenloyalität, die Studien zufolge überraschend gering ist: Viele Konsumenten, darunter 90 Prozent der als Markenrückgrat geltenden "First-" und "Second-Choice-Käufer", drehen Brands nach einer kurzen Hypephase von maximal drei Jahren den Rücken zu. "Die Mehrheit der Marken sind nur 'Märkchen', die von Wettbewerbern mit vergleichbaren Produkt- oder Dienstleistungsangeboten leicht verdrängt werden, oft nur mit geringen Preisvorteilen und ohne erkennbaren Produktvorteil", so der Psychologe. Sein Fazit: "Nur starke Marken können ihre Kunden dauerhaft binden."

© Adidas Adidas setzt bei limitierten Sonderkollektionen auf das Konzept der künstlichen Verknappung: Grace Wales Bonners' Kollektion für den Sportartikelhersteller war nach kurzer Zeit restlos ausverkauft. Auf Second-Hand-Plattformen werden die Sneaker mittlerweile um den dreifachen Preis verkauft

Als starke Marke definiert er jene, bei denen der Kunde schon im Vorfeld weiß, dass nur diese eine Marke infrage kommt. Die Kaufentscheidung wurde also bereits im Vorfeld getroffen. "Für starke Marken gibt es keine Alternative." Gutjahr erklärt, dass Marken im Gehirn an neuronale Prozesse gekoppelt sind: Die Lieblingsmarke aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, und Marken, die man noch aus der Kindheit kennt, werden unauslöschbar im Gehirn verankert. So tief, dass sie für immer Teil neuronaler Entscheidungsprozesse werden, so der Experte.

Jeden Tag treffen Konsumenten somit unbewusst Entscheidungen für bestimmte Brands und Produkte: "Unser Verhältnis zu Marken spielt sich weitgehend im Unbewussten ab. Mein Anliegen ist es, dieses Verhältnis besser zu verstehen", so Bonelli. Für sein Buch hat er deshalb einen Persönlichkeitstest entwickelt und zehn Markentypen identifiziert: "Es ist eine spielerische Diagnostik, um uns selbst besser kennenzulernen und unserem eigenen Kaufverhalten auf die Schliche zu kommen."

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Das Buch
Markenstratege Armin Bonelli erklärt in "3 Streifen, 4 Ringe, 1 Apfel"*, warum das menschliche Gehirn die Lieblingsmarke für einen Freund hält und warum wir anders kaufen, als wir glauben.

Homo oeconomicus

Dass Kaufentscheidungen losgelöst von der jeweiligen Marke getroffen werden sollten, ist eine utopische Vorstellung. Für Bonelli wäre eine Welt ohne Marken allerdings denkbar: "Den Nährboden für Marken bilden eine globale Marktwirtschaft, Massenmedien und Überproduktion. Nehmen sie eine dieser Komponenten weg, und es gibt es keine Marken im heutigen Sinn." Marken, so der Autor, sind Teil unserer Zivilisation "so wie Kirchtürme oder Verkehrsampeln".

Dennoch ist es sinnvoll, die eigenen Präferenzen genau unter die Lupe zu nehmen: aus dem einfachen Grund, Ressourcen zu sparen. Schließlich gibt es keine Garantie dafür, dass ein teures Markenprodukt das eigene Leben nachhaltig bereichert. Bonelli: "Im Laufe des Lebens ändert sich nicht nur unser Idealbild, sondern auch die Mittel, die wir als hilfreich erachten, um diesem Ziel näherzukommen. Haben wir einmal ein solches Idealbild entworfen, sind wir naturgemäß unzufrieden mit dem Ist-Zustand. Diese Differenz bezeichnen Psychologen als 'Identity Gap'. Da wir diese Lücke gern so schnell wie möglich schließen möchten, halten wir nach Abkürzungen Ausschau. Marken und Produkte erscheinen uns oft als diese willkommene Abkürzung." Dabei sind es aber eben einfach nur Uhren. Oder Taschen. Oder Schuhe.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 14/2024.

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